Ich bin dann mal weg – Portugal
Ich hatte mir mal geschworen, die Welt zu bereisen. Nun bin ich das vierte Jahr in Folge in Portugal – am gleichen Ort. Denn es ist einer der schönsten Orte für mich: kilometerlange Strände, Dünenlandschaften, und dort entlang der würzige Geruch von Kräutern gemixt mit salziger Luft vom Atlantik. Kein Land verfügt aus meiner Sicht über mehr Leuchtkraft, ich tanke Farben auf für ein weiteres Jahr.
Hier setze ich mich hin und komme an!
अथ योगानुशासनम्
atha yoga-anuśāsanam
Übersetzung: Jetzt beginnt Yoga! Und es ist immer „jetzt“ – es ist nie zu spät.
Es ist keine Frage, dass ich meinen Alltag bereichere, indem ich meine Aufmerksamkeit auf das kleine Glück lenke, was dann auch zu einem großen Wunder anwachsen kann. Oft sieht man mich in Bodennähe kriechen, um einfach nur ein paar Moosgewächse anzuschauen und dabei vor Freude auszuflippen. Manch Ärger über den Büroalltag verschwindet im Nu.
Aber es reicht nicht aus, den Blick immer auf Teleobjektiv geschaltet zu haben. So wie man hinsieht, gleichen sich auch die Gedanken an. Das Weitwinkel-Objektiv darf ruhig auch mal zum Einsatz kommen.
Das bekomme ich in Portugal. Hinter den Dünen wartet die grenzenlose Freiheit: der Atlantik, wild, ungezähmt.
Genau dieser Blick auf den Atlantik, der laut tosende Wellengang, ist das Spiegelbild zu so manchen Gedankengängen.
Die Wogen türmen sich hoch, werden kleiner und ebben am Ufer ab. Nichts anderes vermittelt Yoga. Das gefühlt eigene Unglück und Leiden des Lebens oder auch nur des Tages kommt zur Ruhe und wir werden Beobachter unserer selbst. Wir wiegen uns nicht mehr zwischen Vergangenheit und Zukunft auf und ab, vergrößeren unsere To-Do-Listen. Wir sind nun wie die gestrandete Welle. Endlich gibt der Geist Ruhe.
योगश्चित्तवृत्तिनिरोध
yogaś-citta-vṛtti-nirodhaḥ
Übersetzung: Die Gedanken und Strömungen des Geistes werden wieder zur Wurzel zurückgeführt oder man identifiziert sich nicht mehr mit seinen Gedanken.
Das sind die Anfänge in Pantajalis Yogasutra. Patanjali wird als Urvater des Yogas betrachtet und als erster gibt er über die Theorie hinaus praktische Tipps. Seine Botschaften sind dennoch verschlüsselte Verse in Kurzform. Seine Steno-Schrift muss dechiffriert werden. Gelingt dies – ein erfahrenenr Yogalehrer ist dabei eine große Hilfe – merkt man, wie sehr diese Verse, genannt Sutras (Singular Sutra) bis heute Gültigkeit haben. Es verblüfft mich, dass schon vor Jahrhunderten, einem Zeitalter ohne Medien, die Menschheit sich nach Verbundenheit und etwas Höherem sehnte – wenn sie es nicht sogar dringend benötigte. Mit meinem eingebauten Teleobjektiv denke ich natürlich, dass erst ab meiner Generation, vielleicht auch noch bis zu zehn Genartionen zuvor, man angefangen hat, sich vor seiner wahren Natur zu entfremden. Und diese Kurve wächst exponentiell an. Patanjali wird jedoch der Zeitraum zweites Jahrhundert vor Christus bis viertes Jahrhundert nach Christus zugeschrieben – also ist es unwahrscheinlich, dass es sich um einen einzelnen Menschen gehandelt hat. Aber wie es eine vergangen Zeitspanne an sich hat, und wenn dann auch noch ein Name vergeben wird, ist ein „Täter“ gefunden. Mehr übersteigt vielleicht auch unseren Horizont. Und als einzelne Person wird „er“ eben auch greifbarer. Sollte der Kerl jedoch als eine Person so lange gelebt haben – also 600 Jahre alt geworden sein –, hätte er auch wirklich Zeit geahbt, seine Werke zum Perfektionismus zu treiben. Als Autor ist er für drei Werke bekannt. Erstens für die Grammatikregeln des Sanskrit, zweitens für das erste Ayuverda-Werk. Und zu guter Letzt hat er den Leitfaden des Yoga verfasst. Somit hätte er fast alle Bereiche des Lebens abgedeckt: die reine Sprache, den reinen Körper und den reinen Geist.
Das Werk des Yogasutra wird mir jedenfalls noch eine Menge Inspiration für weitere Blogbeiträge liefern. Erstaunlich für mich ist nur, wie gut es sich in der Praxis anwenden lässt.
Portugal und die Natur unterstützen mich dabei. Das Meer erinnert mich daran, grenzenlos zu sein, die Sonne erwärmt die verhärteteten Gliedmaßen und lässt sogar eingefrorene, starre Gedanken schmelzen. Und zuletzt hilft auch das bisschen Fremdsein, allein zu sein mit seiner Sprache, sich selbst wieder ein Stück näher zu rücken – und genau in diesem Moment dann doch auch die Verbundenheit mit allem zu spüren.
Wie reich sind wir nur beschenkt auf unserem Planeten?! Wir haben Luft zum Atmen, Wasser zum Trinken, Nahrung zum Erhalten und die schönsten Sonnenauf- und -untergänge für unsere hier geliehene Zeit. Und jedes Lebewesen ergänzt in seiner Nische den ganzen Lebenskreislauf.
Dazu, diesen Lebenskreislauf länger zu erhalten, kann jeder ein Stückchen beitragen, insbesondere bei der Auszeit am Meer. Was früher Muscheln sammeln bedeutete, ist heute Müll auflesen. Sogar der am saubersten wirkende Strand bringt etliche Plastikteile ans Tageslicht. Ohne Tasche zum Auflesen gehe ich nicht mehr an den Strand. Natürlich wird man mit der Arbeit nicht fertig, aber wer weiß, vielleicht rettet es das eine oder andere Leben, und eine Meeresschildkröte muss nicht mehr eine Platiktüte mit einer Qualle zum Verspeisen verwechseln.
Danach kann man mit gutem Gewissen auch ein paar Handstände am Strand üben. Das macht Spaß, denn nirgendwo fällt man schöner – derweil meine Hauptsequenz im Handstand.
Ansonsten ist weniger Denken, dafür mehr Atmen und Sein angesagt! Portugal – I love you!