No mud, no lotus – Im Interview mit Noeli

Noeli hat mich eingeladen – in ihren Garten zum Interview. Mich? Ausgerechnet mich, die lieber schreibt, lieber ein bisschen länger nachdenkt, bevor sie etwas sagt. Aber aus der Erfahrung heraus ist es manchmal besser, einfach zuerst zuzusagen und dem, was sich daraus ergibt, dann einfach zu folgen. Der ganze Yoga-Weg besteht aus Mut. Das erste Om zu chanten erfordert Mut – man hofft ja so sehr, in der Gruppe unterzugehen, aber es kommt auf Dich an! Es erfordert Mut, sich für andere einzusetzen und sich damit nicht populär zu machen, es erfordert Mut, als Yogalehrer ein Angebot von da vorne zu machen. Also stellte ich mich Noelis Fragen, wohlwissend, ich kann es nicht ausmerzen, bekomme keine zwei Chance für treffendere Worte oder die Gesagten gar auszuradieren.
Über Noeli hatte ich ja schon in meinem Blog-Beitrag „Mutige Frauen im Yoga“ geschrieben. Sie macht seit Jahrzehnten Yoga, ist Heilprakterin in Ausbildung, Ayurveda-Beraterin und arbeitet mittlerweile vorwiegend auf der feinstofflichen Ebene – sprich mit Energien. Sie hat alles Wissen, was zur Heilung beiträgt. Dabei spielen Klang, Geschmack, Geruch, Ernährung eine große Rolle. Noeli schlüpft in andere Körper, um tief ins Fühlen zu gehen. Wir Westler denken ja gerne, dass wir unser Geist sind, und dieser Geist dann wiederum das Gehirn ist. In der Tat, unser Gehirn ist ein Wunderwerk – aber auch ein Meister in selektivem Aufnehmen, im Aussortieren und Verdrängen. Verdrängtes kann sich in ganz anderen Körperregionen absetzen, aber diese können hirnlos wiederum nicht klipp und klar zu uns sprechen – aber ein Munkeln bleibt. Sicher muss auch nicht alles aufgearbeitet werden, wenn wir nicht allzu sehr darunter leiden – ein bisschen Dreck schadet nicht zum Daraufherumbeißen und um vielleicht daran zu wachsen. Aber wenn wir das Gefühl haben, mit angezogener Handbremse durch unser Leben zu fahren, dann sollten wir alles daran setzen, den Rost loszuwerden. Übrigens schafft Noeli es auch, mit den Ölen verschiedener Hersteller zu arbeiten (darunter auch die eine Marke, die mir durch ihr aggressives Auftreten auf dem Markt viel vergällt hat), ohne dass es zur Schwäbische-Hausfrauen-Tupper-Aktion wird. Noeli bedient keine Gruppen und arbeitet nur individuell. Es lohnt sich, ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen: noelinaima@noelinaima.com
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Es war also eine Ehre, von Noeli eingeladen zu werden, und bei ihr im Garten zu sitzen. Das Nachbarskind war laut – aber wir leben auf einem Planeten, auf dem manche noch den Mut aufbringen, Kinder zu bekommen. Unsere Asana-Praxis dient uns dazu, uns nicht von der Welt abzuwenden, in eine Blase hinein, sondern da draußen zurechtzukommen im Sturm – sich nicht gleich mitreißen zu lassen, sondern seinen Stand zu verbreitern, ab und zu sogar das Auge im Sturm zu sein. Sprich: unser Resilienz-Fenster immer weiter aufzusperren.
In unserem Interview werden verschiedene Punkte angeschnitten, ich möchte kurz noch ein wenig nachliefern, ohne auch hier bis zum Grund zu gelangen:
1. In der Tat, ich habe Yoga angefangen aus Mitleid. Ich hatte geraucht, ich habe nie getanzt, Sportunterricht mit seinem Leistungsmessen hat mich eher ans Sofa gefesselt als Freude an Bewegung zu fördern. Aber ich wollte Freundinnen haben, mit denen ich mich über Gott und Welt unterhalten kann. Ich war es leid, mich auf einen Prosecco zu treffen in zu lauten Lokalitäten, dumm in der Ecke zu stehen und mit dem Kopf zu nicken, dass das Wetter kalt oder warm ist. Man weiß nie, wo und wie ein Mensch für Yoga abzuholen ist. Also wollte ich Yogalehrerinnen als Freundinnen haben.
2. Die Frage, „Woher kommst Du?“. Ich habe gelernt, dass man das nicht mehr fragt – und jemanden damit zu verletzen oder auszugrenzen wäre herzzerreißend. Zumal viele der Befragten ja dann doch im nächsten Umfeld aufgewachsen sind. Deshalb fällt mir mittlerweile ein Stein vom Herzen, wenn Menschen von sich aus erzählen, dass sie aus einem anderen Land, von einem anderen Kontinent kommen. Allein die Frage „woher kommst Du“ zielt auf Unterschiedlichkeit ab – gefühlt suche ich aber genau danach. Ich liebe Geschichten aus anderen Kulturen, um mehr zu erfahren – und dann in der Unterschiedlichkeit auch wieder die Gemeinsamkeit zu finden. Neulich hat sich eine Sport-Trainerin geoutet als Mongolin. Natürlich bleibt nicht aus, dass mir sofort ein Bild vor Augen entsteht. In diesem Falle hatte ich sie auf einem Pferd durch die Prärie reiten gesehen – Freiheit pur. Und wenn wir uns nicht unterhalten, nicht miteinander beschäftigen, haben wir sehr oft falsche Bilder im Kopf. Manche Vorurteile drehen sich dann genau ins Gegenteil – nur selten spiegeln Menschen, denen man persönlich begegnet, die Berichterstattung über die Politik in ihrem Heimatland wider. Was bleibt, ist, dass wir alle Menschen sind, die gleich fühlen. Beispielsweise war als Kind tatsächlich mein Lieblingsfaschingskostüm, mir einen Indianerfederkranz auf den Kopf zu setzen. Heute wird gezweifelt, ob das kulturelle Aneignung ist. Aber meine kindliche Begeisterung, mit dem Federkranz ein Held zu sein, führte vielleicht auch dazu, sich mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen und dabei darauf zu stoßen, dass alles in einem anderen Licht erscheint. Manche Gräueltaten sind so furchtbar, dass alles, was wir tun können, darauf hinausläuft, Geschichte sich nicht wiederholen zu lassen. Nur in gemeinsamen Gesprächen finden wir heraus, wo Schmerz und Empfindlichkeiten liegen. Ein Schweigen und nicht die Frage zu stellen, „woher kommst Du“ ist für mich nicht die Lösung. Nur individuell erkennen wir, wir warm die Frage gestellt ist und ob wir uns gegenseitig willkommen sind. Lasst uns gegenseitig Raum zum Lernen.
3. Vorwiegend Frauen werden von der Wirtschaft nach wie in einem Mangelzustand gehalten. Jedes Hochglanzmagazin, jedes Kosmetikprodukt, jede Diät zielt darauf ab, dass wir uns zu verbessern haben. Wir werden aufs Unwohlsein konditioniert. Trotzdem finde das Maß, Dich zu pflegen wie es Dir gefällt – es ist ja auch ein hoher Grad an Selbstliebe dabei. Nur sei Dir dessen bewusst, dass von der Wirtschaft gewollt ist, dass Du Dich nicht gut zu fühlen hast – mit Dir wird Geld verdient. Vielleicht kannst Du das eine oder andere Gewohnte doch aufgeben und freier leben. Letztes Jahr saß mir in der Bahn eine junge Frau gegenüber mit unrasierten Beinen. So weit bin ich tatsächlich noch nicht, diesen Schritt zu gehen – dabei entspräche es ja eigentlich der Natur. Was Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte aufrechterhalten wurde, darf zumindest hinterfragt werden.
Noch ein Punkt, falls Du Dich für eine Yogalehrer Ausbildung entscheidest: Ich bereue meinen Weg nicht. Wenn Du Dich für die Ausbildung entscheidest, bist Du nämlich schon voll dabei. Und alleine der Wunsch, eine Ausbildung zu machen, macht Dich schon zum Yogalehrer, denn das Wichtigste ist Deine Authentizität. Und die Ausbildung reicht Dir einfach noch ein paar Werkzeuge an. Egal welche Ausbildung Du auswählst, wie viele Stunden – es scheint ohnehin vorne und hinten nicht auszureichen. Wenn Du danach denkst, „huch, jetzt bin ich fertig, aber ich bin doch noch gar nicht soweit“, dann ist das normal. Gehe danach über Dich hinaus und fange an zu unterrichten. Du wirst die ersten paar Male vermutlich die schlimmste Zeit Deines Lebens haben, vielleicht Dir wünschen tot umzufallen – in meinem Fall hätte ich mir ein Sparkonto gewünscht, damit ich jeden ausbezahlen kann, der bei mir mitmachen wollte. Es ist genau NACH der Ausbildung, dass das größte Wachstum beginnt und Du aus Dir heraustreten kannst. Und nach diesen ersten vielleicht furchtbaren Yogaklassen, wächst Du sehr schnell mit Deinen Schülern zusammen, spürst diese enormen Energien, gibst und bekommst gleichermaßen. Ich verspreche Dir, es wird Spaß und Freude machen! Du wirst lernen, es nicht jedem recht machen zu können, und damit umzugehen und mit den Energien zu spielen.
Und jetzt Du: Woher kommst Du, wo bist Du, wo willst Du hin? Am Ende: Wir sind bereits, wir sind genug, es gibt nur jetzt. Genieße Dein Leben!