Wieviel Mensch erträgt die Welt?
Über 7,5 Milliarden Menschen drängeln sich auf unserem Globus … und ich meide den Bus, weil ich diesen schon überfüllt finde! Das Leben in Menschenform scheint ja recht erfolgreich zu sein. Brachten wir es doch zumindest in der westlichen Heimsphäre dazu, uns kontinuierlich zu ernähren, uns mit technischen Errungenschaften in Watte zu packen und mit jeder Generation auch noch immer wieder länger zu leben als für uns wahrscheinlich jemals vorgesehen war.
Jeder einzelne dieser Milliarden Menschen hat ein Recht darauf, satt zu sein, Rohstoffe zu nutzen und sich in Freiheit zu entfalten. Was aber, wenn jeder so viele gelbe Säcke, also Plastikmüll, vor die Türe stellt wie ich (und ich versuche schon, soviel zu vermeiden)? Und der Babyboom scheint jetzt erst recht richtig ausgebrochen zu sein. Noch nie sind so viele Kinderwägen an mir vorbeigeschoben worden, noch nie gab es so viele überfüllte Schwangeren-Yoga-Klassen. Dabei beträgt die Zeit einer Schwangerschaft ja gerade einmal 38 Wochen.
Immer wieder werden mein Mann und ich gefragt, warum wir keine Kinder hätten. Und sofort tickte die Rechtfertigungsmaschinerie in mir und ich zählte auf:
Grund 1: Wir sind doch ganz glücklich, noch nie und zu keinem Zeitpunkt hat etwas gefehlt.
Grund 2: Das unbedingte Verlangen, sich zu vermehren, ist nicht besonders bis gar nicht ausgeprägt.
Grund 3: Meine eigene Schulzeit würde ich nicht als besonders glücklich beschreiben. Mit Kind müsste die Schulzeit auf jeden Fall nochmals durchlebt werden. Kann ich einem anderen, den ich auf jeden Fall lieben werde, dieses Martyrium aufbürden? Und ich wäre gezwungen, mich dem gesellschaftlichen Druck zu fügen und das Menschlein in dieses Regelwerk hineinzupressen.
Grund 4: Im Leben glücklich zu sein, kann der Ritt auf der Rasierklinge werden – der Pfad ist hauchdünn.
Grund 5: Eigentlich haben wir uns viel zu spät kennengelernt, die biologische Uhr wäre viel zu hektisch getaktet gewesen.
Grund 6: Nur weil es einem gesellschaftlichen Standard entspricht und normal ist?
Grund 7: Und dann doch immer diese Sorgen, ob mögliche Abwege und Grabenlandungen des Nachwuchses dann doch wieder auf den Weg führen.
Hinzu kommt, abgesehen von meinem Mikrokosmos, der Makrokosmos:
Grund 8: Wir sind doch längst genug Menschen.
Grund 9: Das Argument, dass die Menschheit aber nun wirklich mit diesem einen Sproß besser würde, kann ich kaum noch hören.
Grund 10: Das politische Geschehen ist nicht gerade hoffnungserweckend. Wahrscheinlich sind wir vom Frieden übersättigt und benötigen dringend wieder Reibung.
Grund 11: Der gesellschaftliche Druck ist enorm, viele Ausweichformen abseits des Hamsterrades gibt es nicht, wenn man Geld verdienen muss.
Grund 12: Die Umweltprognosen sind verhehrend. Mit viel Mühe bin ich mit mir selbst beschäftigt, mich positiv in jeden Tag zu bringen.
Ach, sicherlich fallen mir noch eine ganze Reihe weiterer Gründe ein, aber das sollte doch ausreichen!
„Ja, aber es sind doch gerade die gescheiten Leute, die Kinder bekommen sollen“, wurde uns entgegengebracht. Bitte? Sollte ich etwa „ein gescheites Leut“ sein? Auf einmal? Beinahe und für den Bruchteil einer Sekunde fühlte ich mich geehrt. Noch nie wurde ich in diesen honorigen Kreise erhoben. Aber wer sind denn nun diese gescheiten Leute? Da geht es doch wieder um unser anerzogenes Wertesystem und auch unseren Lebensstandard. Menschen werden bewertet, zu welchem Kulturkreis sie gehören, welcher Religion sie angehören und welche Religionen die höheren und die niederen sind – und natürlich Wert Nummer Eins: Geld! Bewerten darf der, der obenauf schwimmt. Vergessen wird dabei, dass „guter“ Status auf dem Rücken der Unbegüterten erreicht wurde. Die Armen bleiben arm, die Macht ist mit dem Geld – und unserem Wirtschaftswachstum, was laut Betriebswirtschaftslehre Gesetz ist. Unser Mehr bedeutet aber immer ein Weniger anderswo – das ist eben auch Naturgesetz.
Also, ein Müllsammler in Kalkutta ist nicht so viel wert, ein Hartz-IV-Empfänger aus dem Plattenbau in Marzahn ist auch nicht so viel wert, ein afrikanischer Ziegenhirte ebenfalls nicht so viel wie ich … anscheinend. Dagegen ist aber jeder Unternehmensberater, jeder Vorstand, jede Zahnärztin sehr viel mehr wert als ich. Habe ich das jetzt richtig aufgefasst?
„Wie? Du würdest Dein Kind nicht in die Schule schicken, weil der Druck zu groß ist? Ja aber so ist doch das Leben, da muss man halt eben durch.“ Achso! Echt jetzt? Ehrlich gesagt kommt das für mich schon fast einer Vergewaltigung gleich.
Aber! Ein Blick in einen Kinderwagen und auf das kleine Wesen darin genügt, und ich zerfließe vor Liebe. Natur in Perfektion: zwei Hände, zwei Füße, dieser kleine Rücken mit Wirbelsäule, ein Herz, Augen, ein Lachen und und und. Das ist nicht nur ein genetisches Misch-Ergebnis (viele sind ja auch einfach nur neugierig, was bei so einem Experiment überhaupt rauskommt – wie beim Überraschungsei). Auch nicht nur ein Resultat von Liebe. Das ist ein komplett eigenständiger Mensch, dessen Entwicklung jetzt davon abhängt, wie ich ihn behandle. Ein Gefäß, in dem sich eine eigene Seele breitmacht. Fehler bei der „Erziehung“ und im Miteinander können vergessen werden, oder aber auch tiefe Narben graben. Und so bereitwillig ich vielleicht mit meinem Leben spiele, so sehr verspüre ich Verantwortung für mein Baby, das ich nun mal nicht habe.
Aber woher kommt eigentlich diese Bevölkerungsexplosion? Glaubt man an die Wiedergeburt, müsste sich doch alles die Waage halten – nicht weniger und nicht mehr Menschen. Jeder Tod müsste eine Geburt bedeuten. Kann sich eine Seele etwa auf mehrere Körper aufteilen? Und dann gleich so viele? Explosive Vermehrung passiert, wenn etwas schon erkrankt ist, und ein Urtrieb zum Überleben antreibt. Teilt sich die eine Urseele auf, weil die Menschheit nicht gesund ist? Oder gibt es sogar unzählige seelenlose Menschen?
Glaubt man an Karma, wird man erst aus dem mühevollen Kreislauf von Geburt und Tod erlöst, wenn der wahre Wesenskern, Ananda, erkannt worden ist. Da manche Menschen gar nicht im jetzigen Leben versuchen, sich auf den Weg zu machen, ihre wahre Glückseligkeit zu finden, wird man immer und immer wieder in diese Waschmaschine, genannt Samsara, geworfen. Also haben es doch viele nicht geschafft, glückselig zu werden, und wir sind unsere eigenste Bestrafung? Und vielleicht ist es auch schon „Teufelswerk“, dass wir überhaupt mit unserem Bewusstsein erkennen, uns weiterzuentwickeln zu müssen? Und zwar zurück zum Wesenskern. Pflanzen und Tiere sind von der Natur gelenkt und Teil des großen Ganzen, halten so also das Gleichgewicht. Der Mensch entfernt sich jedoch von der Natur und stellt sich darüber, ist also nicht integriert. Gehört das zum Plan oder nicht? Ist die Menschheit ein Experiment?
Das, wovon die Menschheit lebt, ist endlich. Machen wir so weiter und denken nur an den schnellen Gewinn, an das Mehr-haben, vernichten wir uns selbst. In dieser Zwischenzeit hängen alle anderen Lebensformen vom Goodwill der Menschheit ab. Gibt es Hoffnung für uns? Einen Ausweg? Widerspricht nicht jede Geburt eines Kindes dem Gebot von Ahimsa, der Gewaltlosigkeit? Ich werde so schnell wohl keine Antworten finden.
Und all dieses Leben in dieser Vielfältigkeit! Tiere haben leider das von Menschen auferlegte Schicksal bekommen, als Tiere benannt zu werden – egal ob Schnake oder Walfisch. Auch bei Pflanzen gibt es nach wie vor die Kategorie „Unkräuter“. Und mit der Rechtfertigung, dass wir das Feuer entdeckt und das Auto erfunden haben, stellen wir uns über alles. Nehmen wir einen Teil aus dem Kreislauf raus, läuft die Sache nicht mehr rund. Und wie mit einem geplatzten Autoreifen in der Wüste bleibt man stehen, und alles Leben weicht. Hinzu kommt, dass Tiere über exakt die gleichen Schmerzempfindungen verfügen wie wir Menschen. Ist es nicht einleuchtend, dass alle Lebewesen in allen ihren Formen in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen müssen? Dass es proportional mehr Bäume und Bienen geben muss als Menschen?
Den von mir vermuteten Sinn des Lebens sehe ich in der Liebe. Sie MUSS der Sinn des Lebens sein! Es ist schön, lesen, schreiben und rechnen zu können – aber es ist die Herzensbildung, die auf jeden Stundenplan muss. Wir Lebewesen sind so unfassbar faszinierend, und das auch abgesehen von unserem physischen Bauplan. Jede Zelle, jedes Organ greift ineinander, und ein Körper wird geformt. Jedes Leben braucht Nahrung und Energie. Nicht nur Luft, Wasser und Zucker – die Liebe ist die Hauptnahrungsquelle. Die Liebe kann jedes Hindernis überwinden und Nutzen überhaupt erst einhauchen. Versiegt die Liebe, sind wir in der Tat seelenlos geworden. Liebe ist übrigens erlernbar, davon bin ich überzeugt.
Und sehe ich dann ein neugeborenes Baby auf dem Arm einer meiner Freundinnen und sehe ich Tierbabys bei ihren Müttern, dann ist sie genau da: die Liebe! Und dieser so klein wirkende Aspekt macht alle meine Argumente gegen das Kinderkriegen zunichte.
Mein wichtigster Grund, der mich lange Zeit aufatmen ließ, dass ich kein Kind habe, war: „Es ist so furchtbar auf der Welt. Nur ich, nur meine Generation noch, und nach mir die Sintflut“. Aber das zieht nicht mehr. Eure Kinder sind auch meine Kinder, und ich trage genauso Verantwortung mit.
Hier meine Botschaft: Liebe Eltern, ja genau, Ihr habt recht, macht die Welt besser. Liebe ist alles, was Kinder brauchen, verteilt sie großzügig! Schmeißt alte Werte über den Haufen, kreiert neue und mutige. Eure Kinder braucht die Menschheit!
LOVE IS ALL YOU NEED!