Elke’s Love
Als ich meinen letzten Beitrag verfasst hatte, zitterte ich ein wenig, wie viele Feinde ich mir wohl wieder gemacht haben würde – stellte ich doch das Kinderkriegen in Frage. Geht es mich überhaupt etwas an? Da wir alle schicksalhaft miteinander verkettet sind und ich nicht losgelöst von allen anderen vor mich her leben kann, geht es mich etwas an. We are all ONE! Und ein Beispiel aus meinem Freundeskreis ließ mir keine Ruhe und zwang mich in Knie und dazu, mir überhaupt Gedanken zu machen. Elke!
Außer Katja habe ich ja noch eine weitere Jivamukti-Lehrerin in Stuttgart und das ist Elke – sie war schon meine Lehrerin, bevor ich überhaupt wusste, dass Jivamukti Jivamukti heißt. Bis zu diesem Zeitpunkt dachte ich nur, sie ist einfach eben verdammt gut (zweifelsohne wäre sie natürlich auch verdammt gut ohne Jivamukti-Ausbildung, aber diese war einfach noch das das Tüpfelchen auf dem i). All die Zeit fragte ich mich, wie man nur dazu kommt, so viel Tiefgang zu haben? Hat man es nötig, wenn man gut aussieht, an seiner Herzensbildung zu arbeiten? Zu meiner Schulzeit war das anders. Also bekam ich schon wieder nicht in meinem Kopf zusammen, dass man sowohl von außen als auch von innen schön sein kann. Ich verfolgte Elkes Unterricht wie ein Reh, das gebannt in die Scheinwerfer starrt. Meine Synapsen mussten Vollgas geben, um sich für diese neue Menschenkategorie zu öffnen.
Elke leitet ihre Yoga-Klassen immer mit einem philosophischen Thema an. Und obwohl es für sie klipp und klar ist, welchen Weg sie mit voller Überzeugung und Inbrunst geht, hat sie trotzdem niemals ihre Lehre mit einem Brecheisen vermittelt. Viel eher bediente sie sich des Mittels, das Herz weich zu klopfen. Eine Geschichte, eine Fabel oder ein Gleichnis waren passend zu ihrem philosophischen Thema vorbereitet. Wie ein Kind wünschte ich, sie würde niemals aufhören zu erzählen, und ich dürfte sitzen bleiben und weiter lauschen. Zuhören, fallen lassen, reflektieren.
Mein ursprünglicher Plan war ja, mich gegen Sanskrit zu wehren. Wann sollte ich dieses Zeugs auch jemals gebrauchen können? Es war mir schon zu viel, dass Positionen, also Asanas, einen Sanskrit-Namen bekamen. Muss es „Uttanasana“ heißen, wenn man sich vornüber beugt? Ich erklärte es mir damit, dass das wohl schick und elitär sei.
Asanas hundert mal gehört, prägen sich irgendwann mal ein. Aber Elke hat auch zwei bis drei philosophische Ausdrücke auf Sanskrit angereicht. Auf einmal hatte ich wieder Hausaufgaben – nicht von ihr sondern mir selbst auferlegt! Und doch ja, es interessierte mich. Was wäre nur passiert, einer meiner Mathe- oder Physiklehrer hätte mich für sein Fach so begeistern können? Sanskrit ist die Sprache des Yogas. Kommt man allerdings zuhause auf die Idee, Sanskrit-Worte und philosophische Anschichten nachzuschlagen, ist man verloren auf weiter Flur. Um einem Wort auf die Schliche zu kommen, findet man sich im Dickicht von hundert neuen Fremdwörtern wieder. Man trudelt vom Hunderstel ins Tausendstel. Die Steine auf dem Weg sind mühsam beseite zu schieben. Aber hat man erst mal angefangen, geht man den Weg weiter. Manchmal schneller, manchmal langsamer, und gefühlt bleibt man oft auf einer Stelle stehen und schaut sich erstmal um.
Und „Weg“ ist das richtige Stichwort! Elke klärte mich auf, dass ich wohl, wie sie, den Maryada Marga einschlage – das ist der Pfad der Mühe. Vermutlich hat sie es erzählt als ich wieder einmal über meine zu kurzen Arme gejammert habe. Zufallen tut mir ja nichts, weder Asanas noch Wissen. Der Pfad der Gnade hingegen nennt sich Pushti Marga – das ist der Weg der Schüler, die sich, wenn der verbotene Seitenblick nicht täuscht, sofort und auf Anhieb in alle Richtungen ausdehen können.
Elkes Worte haben mir über eine Durststrecke hinweggeholfen und mir Trost gespendet. Auch wenn ich überzeugt bin, dass sie von sich behauptete, den „Maryada Marga“ gegangen zu sein, damit ich mich einfach nur besser fühlte. Zu pädagogischen Zwecken eben. Aber es ist immer beruhigend, einen Lehrer zu finden, der den gleichen Weg schon gegangen ist. Sicher unterliegt mein Maryada Marga einer noch viel größeren Anstrengung als der Elkes, aber wer weiß schon, was das Eichmaß ist, von dem man da ausgehen muss.
Im Yoga kommt man an dem berühmten Satz von Pattabhi Jois nicht vorbei: „Practice, practice and all is coming“. Und ja, vielleicht wird es besser. Selbst wenn man selbst mal wieder denkt, man tänzelt auf der Stelle herum. Aber nach wie vor gilt: die Asans sind gar nicht Yoga, sondern nur das Mittel, um Yoga zu erreichen. Kein Grund also, verbissen, mit rotem Kopf und mit Wuttränen sich reinzuzwängen. Aber genauso wenig Grund, die Flinte ins Korn zu werfen. Auch für diese beiden Gegensätze hat Elke mich die richtigen Begriffe gelehrt: Abhyasa und Vairagya. Disziplin, stetes Üben – aber immer auch das Nicht-Anhaften an das Ziel. Das ist so schwierig, dass jede Yogastunde zur Anfängerstunde wird, und so soll es auch sein.
(Das ganze Sutra 1.12 – ich merke mir die Zahl wie die Nummer des Notrufs – dazu: abhyāsa-vairāgya-ābhyāṁ tan-nirodhaḥ, bedeutet: die Kontrolle der Gedanken im Geist wird durch Übung und Losgelöstheit erreicht)
Nach ein paar Yogaeinheiten bei Elke war ich süchtig nach ihrem Unterricht – und diesen nicht mehr missen wollend, musste ich mich doch verabschieden von ihr. Sie ging für einige Zeit nach China, und es war ungewiss, ob sie wiederkommen würde. Ich konnte mein Glück kaum fassen, als sie nach dieser Zeit doch wieder auf der Matte war. Aber kaum da, entschied sie sich für ein anderes Yogastudio, und mir fehlte der achte und neunte Wochentag dazu. Vairagya, das Nichtanhaften, lehrte sie mich also gründlich.
Jivamuktis sind Aktivisten – das sind sie in der Regel aber auch schon, bevor sie Jivamuktis wurden. Und Elke (genauso wie übrigens auch Katja) setzt sich für alle Lebewesen mit flammendem Herz ein. Sei es ein Rabenbaby, das aus dem Nest gefallen ist, Vierbeiner-Vermittlung oder eine vegane Lebensweise. Hoffentlich zündet sie noch mehr Herzen an und viele folgen ihrem Beispiell! Man lässt keine gequälten Herzen hinter sich und schaut weg. Es ist verpflichtend zu helfen. Und ich bin so unendlich dankbar, dass Elke diese Kraft aufbringt! Abgesehen vom Helfen bekommt man „Zusatzgeschenk“, dass man von seinen Mitmenschen fast angefeindet wird. Mir selbst wird von Zeit zu Zeit das Tierleid unerträglich, ich fühle mich ohnmächtig, rede gegen Wände und stoße auf Kälte. In diesen Momenten weiß ich, dass ich auf Elke zugehen kann und sie meine Rettungsinsel ist. Man kann nicht immer mutig vorpreschen und einstecken, man muss sich zum Kraftholen hin und wieder in die Blase der Gleichgesinnten zurückziehen.
Umso überraschter war ich, als Elke mir die Botschaft überreichte, dass sie schwanger ist.
Ich schluckte. Meine Freude war anfangs verhalten. Doch wie ein Blitz durchfuhr mich dann, dass mein Verhalten nicht richtig war. Ohne Mitfreude, das simpelste und grundlegendste an Herzensbildung, brauchte ich doch gar nicht in ihre Yogastunden zu gehen. Ich schämte mich bis aufs Knochenmark. Wie undankbar konnte ich sein gegenüber dem Menschen, der mir soviel beigebracht hat? Ich nahm und gab nichts? Verzweifelt suchte ich, wie ich meine Schlechtigkeit umwandeln kann in positive Gefühle. Ich fasste mir ein Herz und fragte sie, ob sie sich freute. Und wie hätte die Antwort wohl ausfallen können, wenn ein Lebewesen in einem selbst heranwächst? Natürlich freute sie sich und endlich ich mich mit. Ich atmete auf, dass sich doch mein Herz öffnen konnte – und es fühlte sich richtig an.
Elke hat sich seit der Geburt übrigens wahrlich nicht verändert, sie kämpft weiterhin für aller Lebewesen Rechte. Ihr Herz teilt sich nicht auf in ein entweder-oder. Liebe wächst und das grenzenlos.
Und wenn ich Fotos von ihrem Baby sehe, sprühe ich vor Freude. Ich danke für diese Lektion, und dass ich lieben darf!
Herzlich wilkommen kleiner Baby-Aleksander!
lokāḥ samastāḥ sukhino-bhavaṁtu
Mögen ALLE Lebewesen überall glücklich und frei sein. Mögen meine Taten, Gedanken und Worte in einer Form zum Glück und Freiheit aller beitragen.
Trotzdem hoffe ich, dass Elke in naher Zukunft wieder unterrichtet! Ich bin auf ihr Wissen angewiesen und komme noch nicht ohne sie als Guru aus.