Herbststurm oder Murphy’s Law
Und schneller als man gucken kann und auch ohne je eine Absicht gehabt zu haben, ziehen sich die Maschen zu und man ist mitten ins Dornendickicht geraten. Tief verstrickt! Ein scheinbar misslungenes Ereignis führt zum nächsten. Es reicht auch nicht, dass man nur einen Knochen zugeworfen bekommt, an dem man zu beißen hat – sondern wie von einer Ballwurfmaschine angeworfen ist man damit beschäftigt, Tennisbälle von allen Seiten aufzufangen. Wenn erstmal ein Molekül aufgewirbelt ist, bekommen auch die anderen Fahrtwind, und das Gestöber bricht über einen zusammen. Kann man einfach mal niederkauern, sich ducken und den Herbststurm vorüberziehen lassen? Warum und wo bin ich nur wieder reingeraten?
War ich nicht zu allen freundlich oder wenigstens neutral? Ich bilde mir ein: eigentlich schon. Aber das hat eben nicht ausgereicht. Handlungen und Entscheidungen zu treffen, hinterlässt Spuren, und Gegenreaktionen bleiben nicht aus. Das sind die Zeiten, in denen Bewegung stattfindet. Die Nahtstelle von Sommer auf Herbst ist ziemlich turbulent und übrigens auch aus ayurvedischer Sicht zum Detoxen geeignet. Bei mir führt es leider zu gegenteiliger Reaktion. Der Geist ist noch im Sommer verhaftet und macht Strandspaziergänge, aber der Körper spürt erste Kälte, und der Hals fängt an zu kratzen. Erste Zeichen zur Innenkehr. Und da dieser Wechsel auch wie eine plötzliche Sprungschicht auftaucht, scheinen viele verrückt zu spielen. Sind es die anderen oder bin doch ich es?
Diesmal ist es nur Berg an Kleinigkeiten – aber jede davon besorgt mir Grummeln in der Magengegend. Missverständnisse im Büro, im Freundeskreis, in der Familie und sogar unterhalb der Yogis. Meiner Natur liegt zugrunde, mit allen am liebsten auf der Stelle Freund zu sein. Für die Harmonie gehe ich gerne auch als erste auf andere zu, um mich zu entschuldigen. Einfach um des Friedens willen, selbst wenn ich mich im Recht fühlte – aber das ist ja tatsächlich nur subjektiv wahrzunehmen. In manchem Fall ist die Kommunikation zum Erliegen gekommen, und auch eine Entschuldigung landet nicht mehr. Hilflos wird man dann mit seinen Gefühlen und Lösungssuchen sitzen gelassen. Ein Machtspiel! Der Rächer und das Opfer! Einer bestimmt, wie es weitergeht oder ob überhaupt. Das ist ziemlich unfair – für mich gleicht ein Aussitzen einer Folter. Oder aber ich bin der Mensch, der am schlechtesten mit Konflikten umgehen kann. Und so kreisen meine Gedanken um mehrere Achsen, und kein Lösungsansatz ist am Horizont erkennbar. Der Kalenderspruch „Die Zeit heilt alle Wunden“ ist alles, was bleibt.
Gedankenverloren säbelte ich mir neulich noch beinahe den Finger in der Brotschneidemaschine ab. Zum Glück traf es nur den Fingernagel.
Aber ist mir nicht Yoga angereicht worden, um gerade diese kleinen Konflikte besser handzuhaben? Ich lehrte es mir selbst, lange bevor ich wusste, dass Yoga eine Lösung bieten könnte. Yoga ist Leben – und somit war ich schon lange vor Belegen eines Yogakurses im Zustand von Yoga.
Einer der Tiefpunkte meines Lebens ereilte mich zu dem Zeitpunkt, an dem Frauen noch in letzter Minute über Familienplanung nachdenken. Mein damaliger Freund beschloss von einem Tag auf den nächsten ohne Frühwarnsystem, die Beziehung mit mir zu beenden. Liebe war schon immer mein Fundament und der Lebensinhalt, aus dem ich schöpfte – und es zog mir buchstäblich den Boden unter den Füßen weg. Ich wollte nie Kinder, aber es ist doch etwas anderes, ob ich selbst in Freiheit darüber entscheide oder mir die Entscheidung per Zwangsbeschluss abgenommen wird. Dieser unfreiwillige Wandel in meinem Leben löste eine ganze Kettenreaktion aus. Es reichte nicht, dass ich litt und mein Herz sich ergoss. Sondern da kamen aus dem Umfeld Fragen, ob ich jetzt vielleicht abnehmen wolle … wenigstens für den nächsten. Sogar ob ich zu dumm wäre, eine Beziehung aufrecht zu erhalten. Eine Sekunde meines Lebens zog sich endlos in die Länge und war kaum auszuhalten. Ein angeblicher Freundeskreis zog sich zurück.
Ach ja, und wer genau wissen will, wie viele Freude er hat, der fragt, wer ihm beim Umziehen helfen könnte. Ich musste mir schließlich eine bezahlbare Single-Wohnung suchen. Bis heute sitzt dieser Umzug als Albtraum fest verankert in meinen Knochen. Der Mensch, der mir ein Lastenauto auch noch bis einen Tag vor dem Umzug zugesagt hatte, ließ mich sitzen. Kein einfaches Unterfangen, einen Schrank und ein Sofa mit einem Kleinwagen zu transportieren. Eine noch größere Last verteilte sich noch auf weniger Freunde um – und proportional wuchs auch mein schlechtes Gewissen. Konnte ich diese Freunde noch halten? Einer bekam sogleich einen Hexenschuss und fiel aus, mein Computer krachte aus dem Umzugskarton und zerbrach in tausend Einzelteile, der nächste stellte sich die Waschmaschine auf den Fuß, und das Auto, das dann mit Zeitaufwand doch noch aus einer Firma herbei geholt werden konnte, bekam eine Beule ab. Selbst schleppte ich die Farbeimer in meine neue Wohnung und wurde beim Straßeüberqueren von einem Radfahrer erwischt. Die Farbe – ich hatte in eine hochwertige investiert – ergoss sich über die Straße, zusammen mit meinem Blut. Die Straße säuberte ich, nicht der Radfahrer. Die Kaffeemaschine ließ mich nach über 12 Jahren Dienst im Stich, und der Duschschlauch platzte auch. Nach jedem Unglück war ich mir immer sicher, ich bin am Boden angekommen – und rutschte dann doch immer tiefer ab. Eins ums andere summierte sich. Dieser Zustand nennt sich so schön „Murphy’s Law“ – was schief gehen kann, wird auch schief gehen.
Aber wisst Ihr was? Es hätte mir nichts Besseres passieren können. Und als wirklich keine Kraft zum Ankämpfen mehr da war, konnte etwas Neues wachsen. Ich wurde stark. Ich blühte auf. Wann hatte ich denn schon zuletzt eine Entscheidung selbst getroffen? Meinen Tag selbst bestimmt? Wie lange hatte ich schon kein Buch mehr in der Hand! Freunde? Ich lernte, mir selbst zuzuhören. Und bei meinen tägliche Spaziergängen durch den nahegelegenen Wald merkte ich, dass ich gar nicht allein war. Ich freute mich mit der Natur und über jedes kleine Moos, das wuchs. Ich fühlte mich von den Bäumen umarmt – auch wenn ich diejenige war, die umarmte. Eine unglaubliche Energie und Freude durchströmte meinen Körper und Geist. Alles in meinem Leben wurde besser. Ich platze fast vor Glück. Und als ich gerade merkte, ich genüge mir selbst, kam mein jetziger Mann und bester Freund um die Ecke.
Da hat das Universum einen schlauen Plan für mich gehabt. Während man sich im Getöse befindet, wie soll man da auch nur über den Tellerrand blicken können? Schließt sich eine Türe unwiderruflich, öffnet sich mindestens eine Neue, auch wenn man einige Zeit auf dem Flur verharren muss. Dazu sind diese ganzen Herbststürme gut, wenn alles zu entgleiten scheint. Ein Sturm, manchmal auch ein Orkan, wälzt um und reinigt und trägt einen über eine größere Strecke als es die Babysteps zu tun vermögen. Der Grundstock für neues Wachstum wird erschaffen. Vielleicht fliegt man die die Achterbahn einfach mal mit und gibt sich in Vertrauen hin, ohne ein Ziel bestimmen zu können. Von den Grundmauern aus bekommt man die Chance, sich neu aufbauen. Wenn das nicht eine gute Botschaft ist?! Verliebt bin ich in die Filmszene aus „Eat, Pray, Love“, in der Julia Roberts inmitten von Ruinen in Rom steht und erkennt, dass erst alles einstürzen muss, damit man etwas neu errichten kann. Hach, Julia! Ich schau‘ Dich so gerne an! Was mich insbesondere mit Julia verbindet, berichte ich ein anderes Mal, aber eine Schlüsselfunktion hat sie in meinem Leben.
Wer ist jetzt noch Rächer und Opfer, wenn sich das scheinbare Opfer transformieren konnte?
Ja, und mein Finger in der Brotschneidemaschine ist zwar glimpflich ausgegangen, aber immer noch so unglücklich gehandihapt, dass das Duschen mit Gummihandschuh ganz schön umständlich ist. Also wurde die morgendliche Prozedur auf den Abend verlegt, und dafür wurden morgens nochmals ein paar Minuten mehr Platz geschaffen zum Meditieren. Was für ein Geschenk! Es wäre vermessen von mir, zu behaupten, dass jedes Unglück sich in Glück wandelt. Aber vielleicht sind viele Missgeschicke in unserem Leben einfach auch gar nicht so tragisch und im Nachhinein sogar zu umarmen.
Von den drei wichtigen Göttern, die nicht nur im Hinduismus eine Rolle spielen, sondern auch bis ins Yoga rüberreichen, steht Shiva für die Zerstörung. Das hört sich finster an, aber genau diese Zerstörung macht die Bahn frei für neue Welten.