Kleines Symbol, viel Geschichte
Zu viele Yoga-Workshops, die ich mir buche – bereut habe ich bis jetzt keinen einzigen. Aber ich hinke damit hinterher, meine Eindrücke ins Netz zu schreiben. Und mittlerweile lasse ich auch absichtlich etwas Zeit ins Land gehen, um zu prüfen, wie nachhaltig meine Eindrücke waren.
Und durchaus erwähnenswert war der Workshop vor ein paar Wochen mit Cat Alip-Douglas aus London, der tatsächlich im beschaulichen Stuttgart auf dem Programm stand. Aber zuerst zum Studio, in dem mein Erlebnis stattfand: Der Wohlfühlbereich von Almut.
Almut hat ja gleich zwei Studios in Stuttgart. Einmal im Süden und einmal im Westen. Bis jetzt kenne ich nur das Studio im Stuttgarter Westen. Es ist sehr einladend, warm, modern und liebevoll eingerichtet. Wohlfühlbereich eben! Den großen Raum ziert ein mannshoher Ganesha vor einer gemütlichen Backsteinwand, und er sieht verdammt gut aus – ich hoffe und bete, er wird nie geklaut, sonst stehe ich als erste unter Verdacht!
Zum Studio gehört natürlich auch die Inhaberin: Almut. Eigentlich weiß ich viel zu wenig über sie, aber hier meine ersten Eindrücke – und wenn das nur dazu taugt, diese wieder zu revidieren.
Theoretisch hätte ich ja schon vor Jahren in ihren Unterricht gehen können. Ich arbeitete um die Ecke ihres Studios im Stuttgarter Süden. Die mir bekannten Yoginis, die aus ihren Stunden kamen, machten mir aber Angst und Bange. Schweißtreibende Stunden mit ganzem Muskeleinsatz! Und „Sergant Almut“ war zwar liebevoll gesagt, aber es hat ausgereicht, mich von ihren Kursen abzuschrecen – zumal ich noch am Anfang meiner Yogapraxis stand und meine weichen Körperteile gegenüber den festeren in der Überzahl waren. Alle Zeichen sprachen für einen fordernden Stil bei Almut. Aber das unbehagliche bis angstvolle Gefühl ist heute zu meiner Motivation geworden, dass ich mich stellen muss.
Der Name „Sergant“ ist mir allerdings nach meiner dritten Begegnung mit ihr ein Rätsel. Ja, Almut hat Oberarme, wie ich sie mir bei meinem Fitnesstrainer immer mal wieder in meiner Wunschvorstellung bestelle. Diese Oberarme geben auch einen Hinweis, wie diszipliniert Almut wohl an sich arbeitet. Aber wer sagt denn, dass nicht ein großes Herz unter dem gestählten Körper schlägt? Im ersten Workshop mit Cat bereits ein Jahr zuvor hatte ich Almut direkt neben mir auf der Matte. Ihr dürft Eurer Fantasie freien Lauf lassen, was sich bei mir im Kopf abspielte, als ich von der Chefin nebenan gemustert wurde. Als wir zu Mayurasana (Pfau) kamen, raunte Almut mir Tipps zu, wie ich in das Asana besser kommen könnte – nicht, dass ich es bis heute in Mayurasana schaffen würde, aber ich bin ihr bis heute dankbar dafür. Und ich denke, ich würde noch viel lernen können von Almut. Mal gucken, was die Zukunft bringt und ob ich mehr Wochentage geschenkt bekomme.
Aber wieder zurück zum Workshop mit Cat. Cat steckt vom Fuß bis zum Hals in wunderschönen, kunstvollen Tattoos, und man kann sich gar nicht satt sehen. Mein Blick kam an ihrer Kehle zum Stocken: war das ein Hakenkreuz? Und ich vermutete schon richtig, das Kreuz musste eine andere Bedeutung haben, und eine Lücke in meinen Geschichtskenntnissen klaffte auf. Es verging ja eigentlich kein Schuljahr, in dem in Geschichte nicht der Nationalsozialismus eine Rolle spielte. Aber so mancher Ursprung liegt noch viel weiter zurück und hat es als solcher nicht ins Klassenzimmer geschafft. Das Hakenkreuz bleibt das Melanom unserer finsteren, deutschen Geschichte. Aber seine Urform war das Sonnenkreuz, das man sogar bis circa 10.000 v. Chr. nachvollziehen kann. Und in dieser ursprünglichen Form, senkrecht stehend, heißt das Symbol auch heute noch Swastika. Die Swastika ist ein Glückbringer sowohl im Hindusimus und Jainismus als auch im Buddhismus.
Dieses glücksbringende Symbol um 45 Grad gedreht wurde im 18 Jahrhundert zum Hakenkreuz und brachte auch kein Glück und keine Sonne mehr, sondern stand ab diesem Zeitpunk für die arische „Rasse“. Dabei ist das Wort Rasse unangemessen, denn wir stammen ja alle aus der Wiege Afrikas. Die ursprünglichen Arier waren ein indogermanischer Stamm, der sich durch Migration verbreitet hat. Gesund gehalten hat er sich durch Vermischung mit anderen Nomadenvölkern wie auch mit sesshaften Kulturen. Die Arier haben sich aufgesplittet in einen indischen und einen persischen Teil.
„Aria“ bedeutet „edel“ und „gastfreundlich“. Wer hätte gedacht, dass man den Ursprung am Hindukusch suchen muss? Lange dachte ich, Arier stehe für blond, groß, farbstoffarm und sonnenscheu. Und natürlich auch nicht für gastfreundlich, sondern für abgeschottet und genetisch möglichst sein eigenes Süppchen kochend – was niemals gesund sein kann. Dass Menschen trotz gleicher genetischer Beigaben äußerlich verschiedenen Regionen zuzuordnen sind, haben wir der Anpassungsfähigkeit zu verdanken, die Natur und Klima erforderten. Hirn- und Herzgröße sind stets gleich. Jedenfalls wurde da doch gewaltig etwas verdreht in der späteren Geschichte und führte zu Blutvergießen, Leid, Ungerechtigkeit und Mord. Aber jetzt, wo wir unsere Geschichte nicht mehr rückgängig machen können, sollten wir sie doch nehmen, um wenigstens daraus zu lernen und uns weiterzuentwickeln. Weiterentwicklung und Lernen wird ist fürs Menschsein zwingende Voraussetzung. Und da unsere westliche Hemisphäre größtenteils in Frieden lebt, darf diese Entwicklung sogar empathischer Natur sein.
Wenn ich mir Nachrichten anschaue, keimt in mir allerdings der Verdacht, dass der Geschichtsunterricht vollkommen zum Erliegen gekommen sein muss. Empathie wird im Schulalter gesät und entwickelt sich im Alter weiter – aber die erste Saat muss gesetzt werden.
Angesichts meiner geschichtlichen Lücken wünsche ich mir doch wirklich mal, in einer Zeitkapsel zu reisen, um der Wahrheit auf die Schliche zu kommen. Nicht in jeder Ära möchte ich aussteigen, aber wenigstens beobachten und immer tiefer auf den Grund reisen. Wer weiß, ob der blasse Jesus mit seiner europäischen Nase, der so in allen Kirchen abgebildet wird, nicht doch ein braun gebrannter stattlicher Mann war. Es mag ja um die Botschaft gehen, aber eine Quelle zu ergründen ist immer sinnvoll. Das fängt schon an, wenn wir für einen Yogastil brennen: reise an den Ursprung seiner Entstehung. Und für die eigene Person gilt: keine Reise ist tiefgründiger als die zu sich selbst.
Aber jetzt habe ich aufgrund von Cats Äußerlichkeiten mich schon wieder ablenken lassen zu anderen Themen, in die ich selbst noch tiefer eintauchen muss. Auf mich warten noch viele Bücher im Regal, um meinen kleinen geschichtlichen Anriss noch weiter zu ergründen.
In Cats Yogastunden wird gelacht. Spätestens, wenn sie die Schüler vom Gedanken-Abriften abhalten will, erwähnt sie beiläufig, in welche Richtung sich die „Nipples“ richten sollen. Also, Blickrichtung im Yoga ist ja gang und gebe und nennt sich „Dristhti“ – ob Drishti aber auch für die Nippel-Aussrichtung gilt, wage ich zu bezweifeln. Sollte man das Wort „Nipples“ überhört haben, weil man mit seinem Asana zu sehr beschäftigt war, weiß man, dass es Cat über die Lippen kam, wenn sie selbst in schallendes Gelächter ausbricht. Aber Nippel hin oder her, bei Cat geht es alles andere als oberflächlich zu. Im Gegenteil: tiefgründige Philosophie steht bei ihr auf dem Programm und durchzieht ihre Stunden. Die sanft beginnende Asana-Praxis zieht dann hinterrücks von Null auf Hundertachtzig an – meine Grenzen sind mir deutlich aufgezeigt worden. Man lernt viel bei ihr. Cat ist Jivamukti-Lehrerin, und sie bereichert ihren Unterricht durch buddhistische Philosophie. Yoga, was keine Religion ist sondern eine Weltanschauung, teilt sich mit Buddhismus eine Wurzel. Der edle achtfache Pfad, auch mittlerer Weg genannt, ist die Essenz des Buddhismus. Und wenn man diesen genauer betrachtet, findet man Übereinstimmungen mit dem gleichnamigen achtfachen Pfad aus dem Yoga, zumindest mit den ersten beiden Gliedern – den Yamas und Niyamas. Und fast schon richtig geraten: die zehn Gebote im Christentum besagen auch nichts anderes.
Ich schätze, dass Cat weiterhin einmal im Jahr nach Stuttgart kommt in den Wohlfühlbereich. Es ist auch gar nicht schlimm, manche Asanas nicht zu können – Hauptsache man beherrscht die Fertigkeit zu lachen, und wenn es über sich selbst ist. Und wem es zu lange dauert mit dem Jahr, der kann sich ja unter Almuts Fittichen die berühmten Oberarme antrainieren.