Die Entscheidung: Yogalehrerausbildung – erster Akt
Ja, jetzt kann ich es laut sagen – jetzt, wo ich das Ganze bestanden und überstanden habe: ich habe eine Yogalehrerausbildung gemacht.
Über neun Monate, der Dauer der Ausbildung, hatte ich dazu keinen Mucks gewagt. Es gab ja das Risiko durchzufallen, frühzeitig abzubrechen oder auch einen Bestechungsversuch in Form einer Lobhudelei zu unternehmen (das hätte nicht geklappt, aber ich wollte gar nicht erst in Versuchung kommen) und wer weiß noch was. Dabei hätte es nach jedem Modul schon so viel Berichtenswertes gegeben. Zuerst waren da die Zweifel an meiner Entscheidung. War mein beschauliches Leben etwa nicht mehr gut genug für mich? Reichte es nicht, einfach als Schüler mindestens vier mal die Woche ins Yoga zu gehen? Sollte ich jetzt über Mitte Vierzig anfangen, meinem Geist und meinem Körper, der gute und satte 30 Jahre auf der Couch lag, neue Herausforderungen aufzubürden? Überhaupt: würde ich auf der anderen Seite des Yogaraums überhaupt stehen wollen? Und was nie fehlen darf: meine Arme sind doch viel zu kurz! Und ausgerechnet ich, die bei jedem Schulreferat wie Espenlaub zitterte?
Nein, ich wäre nicht auf die Idee gekommen, dass ich genug wäre oder überhaupt den Anforderungen genügen könnte. Wenn mich nicht Mario gefragt hätte, ob ich die Yogaauslehrerbildung machen wollte. Seit diesem Zeitpunkt arbeitete es in mir. Eine 500 Stunden-Ausbildung im Yoga Vidya? Das Yoga Vidya ist wie gesagt nicht meine Liebe auf den ersten Blick, dafür auf den zweiten oder dritten. Zum Yogalehrerkurs im Yoga Vidya hatte sich meine Freundin Pia angemeldet – sie war mir aber um Lichtjahre voraus. Und sie nahm ich mir als Maßstab für die Mindestanforderung an einen Yogalehrer. Den Anmeldetermin ließ ich also verstreichen. Mario riet mir weiter beharrlich zu, ich solle unbedingt eine Ausbildung machen, egal wo. Er gewährte mir alle Freiheit in seiner grenzenlosen Großzügigkeit. Damit konnte ich jetzt zu Hause meinen Wunsch untermauern. Großartig punkten konnte ich nicht mit meiner Leidenschaft zur „esoterischen Gymnastik“, wie mein Mann Yoga zu nennen pflegte. Das Argument, man wolle mir doch nur etwas verkaufen, war aber jetzt zumindest entkräftet. Und wenn man so lange darüber nachdenkt, etwas zu tun, dann will man es auch. Ich wollte – mit jeder meiner Zelle!
Verschiedene Ausbildungs-Modelle schaute ich mir seit meinem Entschluss an. Eine 200-Stunden-Ausbildung war mir definitiv zu wenig. 200 Stunden sind so das übliche Maß auf dem Markt der Yoga-Ausbildungen. Die näher unter die Lupe genommene Hatha-Ausbildung war mir für meinen Geschmack zu statisch und fast zu puristisch. Als nächstes schaute ich mir eine Yogatherapie-Ausbildung an – die Lehrerin war mir suspekt (im Gegenzug zu ihrer Vermittlerin). Warum also nicht doch gleich eine Jivamukti-Ausbildung machen, wenn ich doch so sehr für diesen Stil brannte? Dass eine Yogalehrer-Ausbildung finanziell kein Pappenstil war, daran gewöhnte ich mich bei meinen Erkundigungen. Ist man in einem Kaufhaus von lauter Handtaschen in einem höheren Preissegment umringt, schreit man plötzlich auch „Hurra“, wenn man das eine „Schnäppchen“ für 799 Euro rausgefischt hat (sollte man an diesen Punkt geraten, ist es hilfreich, sich kurz die Beine an der frischen Luft zu vertreten und sich von der geistigen Umnebelung zu befreien). Die Jivamukti-Ausbildung übertraf meine finanziellen Möglichkeiten aber nochmals um ein Mehrfaches. Bei näherem Umhören stellte sich auch raus, dass die meisten, die sich für eine Jivamukti-Ausbildung anmeldeten, bereits eine andere Yogaausbildung vorab genossen hatten. Vermutlich entgehen dem Jivamukti-Kader auch einige Talente, weil die geforderte Summe einfach nicht mal eben aufzubringen ist. Zudem konnte ich auch in meiner Anstellung in einem Kleinbetrieb unmöglich einen Monat am Stück frei nehmen.
Und da lief sie mir über den Weg: die Yogablume in Ludwigsburg unter Leitung von Nicole! Eine 300Stunden-Ausbildung und ich würde zumindest einen kleinen Jivamukti-Touch mitbekommen, weil Nicole selbst eine Jivamukti-Ausbildung genossen hat. Perfekt. Ich kam zum Infoabend, der draußen auf der Terrasse des Studios stattfand.
Die Yogablume ist eines der schönsten Yogastudios, die ich je betreten habe. Das war allerdings nicht das Kriterium für meine Entscheidung, sondern eher fast abschreckend. Wollte ich doch vor allem des Yogas wegen eine gute Ausbildung machen. Würde ich danach jemals wieder downgraden können? Hätte ich eine Pro/Kontra-Liste gemacht, wäre das schöne Studio wohl eher auf die Minusseite gerückt (für diese Argumentation muss man wohl nicht alle Tassen im Schrank haben, aber nie habe ich etwas anderes von mir beahuptet). Um es kurz vorwegzunehmen: in diesem schönen Studio habe ich eine tiefgründige Lehre absolviert. Vielleicht lernt ja jetzt endlich mein Geist, dass gut und schön doch beides funktioniert. Ein schöner Mensch ist ja auch nicht automatisch mit einem schlechten Charakter versehen. Apropos schöner Mensch: Julia Roberts! Also Nicole. In Nicole sehe ich Julia Roberts vor mir. Mein Mann sagt immer, ich solle die Menschen nicht vergleichen, es könnte beleidigend sein. Aber ist Julia Roberts nicht das schönste Kompliment, was zu vergeben ist? Konnte ich bei ihr unterschrieben, ohne sie besser zu kennen, konnte ich dem durchdringenden, bis aufs Knochenmark scannenden Blick stand halten? Ganze 300 Stunden – ohne die regulären Yogastunden mit eingerechnet! Und wie wäre es andersrum? Würde Nicole mich überhaupt nehmen … mit meinen zu kurzen Armen, meinen Ängsten und Zweifeln, würden meine Vorkenntnisse ausreichen, was wäre ihr Mindeststandard? Und sie ahnte noch nichts von meinen nicht enden wollenden Fragen – wie würde sie wohl darauf reagieren?
Länger wollte ich mich mit meinen Zweifeln nicht aufhalten – ich würde nur noch älter werden dabei. Ich unterschrieb den Vertrag wie man schnell ein Pflaster abzieht, wenn es nicht weh tun soll, überwies mein Erspartes, und reichte die notwendigen Urlaubstage beim Arbeitgeber ein. (Was ja auch ein ziemlicher Wermutstropfen ist, wenn man reiselustig ist. Aber wenn man etwas so dermaßen will, darf es auch ein klein bisschen weh tun.) Nun müsste also Ruhe in meinen Kopf einkehrt sein: yogas-citta-vritti-nirodah.
Da hatte ich die Rechnung aber ohne mein Unterbewusstsein gemacht. Mein Körper rebellierte, und gleichzeitig mit meiner Unterschrift ein paar Monate vor Ausbildungs-Beginn lief mein Krankmodus auf Hochtouren. Sehr zäh war meine Schleimbeutelentzündung an der unteren Achillessehne, die über Monate anhielt. Da ich noch nie eine Entzündung im Körper hatte, konnte ich diese anfangs gar nicht als solche diagnostizieren, und es war keine Besserung am Horizont. Jede Yogastunde wurde mehr und mehr zum Martyrium: Beinestrecken im herabschauenden Hund wurde immer unmöglicher, in Parsvottonasana schossen mir regelrecht die Tränen vor Schmerzen hoch, und nachdem ich meinen Körper keine Ruhe gegönnt hatte, konnte ich zeitweise nicht mal mehr richtig laufen. Und auch wenn meine Asana-Praxis zur Verschlimmerung des Problems beitrug, war sie übrigens nicht die Ursache. Heute bin ich mir hundertprozentig sicher: es war der viel benutzte Crosstrainer, dessen zu weite Fußpedale nicht mit meinen Hüftgelenken im Lot standen. Lektion 1: Richtige Ausrichtung ist unabdingbar – und das wird in der Yogalehrer-Ausbildung auch so vermittelt.
Das Geld war nun weg – jetzt musste ich auch durch. Vermutlich brockte sich da mein Körper einen Test ein, Körper gegen Geist: wer war stärker, und wie sehr wollte ich es überhaupt? Von der berühmten Einheit, die Yoga bedeutet, entfernte ich mich dabei immer weiter.
Die Ausbildung fing an und ich hatte bereits alles eingenommen was der pharmazeutische und homöopathische Markt so her gab, ich fühlte mich wie ein wandelndes Chemiefass. Mit zu meiner Heilung, die verzögert eintrat, trugen unter anderem mein Hausarzt, als letzter in der Ärztekette, der meinte ich solle den Kopf nicht hängen lassen und das wird schon (alles, was ich wohl hören musste) und meine Anatomie-Lehrerin in meiner Ausbildung bei. Nicole hat für unsere Yogalehrerausbildung mit jeder Menge Fachdozenten aufgewartet, was sicher in dieser Form einmalig ist. Anatomie wurde gleich zu Beginn von Stefanie Zimmermann aus Zürich unterrichtet. Sie reichte mir etliche Übungen an, und diese waren punktgenau.
Der Begriff Yogalehrerausbildung ist etwas irreführend, weil jeder denkt, man wird als fertiger Lehrer mit Schein entlassen. Tatsächlich ist es einfach nur wieder ein neuer Startpunkt mehr, wieder eine neue Nullskalierung, von der wieder von der Pieke auf neu gelernt werden darf. Eine Yogalehrerausbildung ist ein Geschenk, das man sich selbst macht (für mich das größte Geschenk überhaupt) und mit der Ausbildung bekommt man Werkzeuge anreicht, sich wieder einmal selbst weiter zu entwickeln. Tiefer und tiefer. Ebene für Ebene. Es birgt ein Potential an unendlichen Möglichkeiten, die ich im Augenblick nur erahnen kann.
Ein guter Yogalehrer ist gemeißelt aus Mitgefühl, Toleranz und Erfahrung. Erfahrung kann man wohl kaum gesammelt haben, wenn man frisch mit seinem Zertifikat entlassen wird. Sicherlich gibt es Naturtalente, aber die Regel ist harte Arbeit und Disziplin – immer begleitet von dem Enthusiasmus, es machen zu dürfen. Eines Lehrer-Scheins bedarf es ja nicht mal, um Yogalehrer zu sein. Yogalehrer ist kein geschützter Beruf, und jeder dürfte sich so nennen, auch wenn ziemlich schnell enttarnt wird, wenn keine Substanz vorhanden ist. Und als frisch gebackener Yogalehrer darf man nicht darauf hoffen, dass sich dann jedes Yogastudio auf einen stürzt. Es gibt eine wahre Yogalehrer-Schwemme, und mit jeder neuen Lehrer-Generation machen sich die „alten Hasen“ auch gerne lustig über die inflationär ansteigenden Yogalehrerausbildungen. Keiner hat also auf neue Yogalehrer gewartet. Aber Yoga ist Leben, Yoga ist für alle, für jeden gibt es eine Nische und für jeden gibt es einen Lehrer. Es kann gar nicht genug Yogalehrer geben. Da draußen warten noch viele Kerzen, die angezündet werden wollen.
Die meisten machen eine Yogalehrerausbildung, um ihr eigenes Wissen zu vertiefen, die Reise in sich selbst fortzusetzen, vielleicht gar nicht mit dem Ziel, selbst zu unterrichten. Aber vielleicht ist da doch der Funke Hoffnung, irgendjemandem irgendwann mal etwas Gutes zu tun.
Meinen Weg in der Ausbildung dokumentiere ich weiter, aber ich wiederhole gerne nochmals meine Schlussfolgerung: es war das schönste Geschenk, was ich mir selbst gemacht habe.
Und weil ich so viel über Geld geredet habe: man kann sich für Geld Unbezahlbares kaufen!