Seitenverkehrt: Yogalehrerausbildung – zweiter Akt
16 Schüler fanden sich in der Yogablume ein, die sich für das Teacher Training angemeldet hatten. Konnten 16 Schüler wirklich so unterschiedlich sein, wenn man doch als gemeinsames Ziel hat, tiefer in Yoga einzusteigen? Die zunächst einzige feststellbare Gemeinsamkeit: wir saßen alle auf dem Boden in einem Kreis zusammen, stellten uns einanander vor – und jeder von uns hatte sich zu der Ausbildung durchgerungen. Jeder hatte sein Päckchen zu tragen und seine Hürden zu meistern: die Ausbildung mit Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen, Jobwechsel, Umzüge, Trennungen, Schwangerschaft, das finanzielle Stemmen oder auch das eine oder andere gesundheitliche Problem, das aufkam.
Aber von Modul zu Modul wuchsen wir immer enger zusammen. Vielleicht merkten wir unseren eigenen Fortschritt nicht – weder am Körper noch beim Wissen. Der yogische Lernstoff hat nämlich das große Talent, erst mal mehr Verwirrung zu stiften als Klarheit zu bringen. Aber selbst wenn wir uns einen Schritt zurück bewegten, waren es doch letztlich eineinhalb Schritte vorwärts. Vielleicht verzweifelte der ein oder andere, weil er doch merkte, dass es mehr Theorie gab als erhofft – viel Historie, viel Sanskrit – und nicht gleich damit warm wurde. Sicherlich war jeder einmal an der Reihe, sich auf weiter Flur allein zu fühlen und zu glauben, man passe überhaupt nicht ins Team oder Schema hinein. Wir saßen alle im gleichen Boot, nur nicht immer zur gleichen Zeit. Einzig unsere Ausbilderin „Julia“ hatte die Lässigkeit und das Urvertrauen, dass wir immer wieder aufstehen würden, wenn wir fielen. Sie wusste, was sie tat. Für uns hingegen setze sich das Puzzle erst gegen Ende zusammen. Es wäre „Julia“ zuzutrauen gewesen, dass sie sogar extra die Stellschrauben gedreht hätte, damit wir der Bodenlosigkeit entgegen sehen. Die besten Lehrmeister sind bekanntermaßen nicht die Freude und das Glück, sondern das Straucheln und Hinfallen. Wir haben soviel Halt wie nötig bekommen, und soviel Entfaltungsfreiheit wie möglich. Keiner von uns wurde zur Marionette erzogen, die ihre Lehrerin imitierte oder ihr nach dem Mund redete. Viele Yogalehrer halten ihre Methode ja für erprobt und haben sich ihr Erarbeitetes – vielleicht auch zu Recht – zum absoluten Fakt gemacht. Genau die richtige Dosis hat Nicole (also Julia) eingesetzt, um die ganze Gruppe einzubinden. „Und? Was und wie denkt ihr darüber?“ war eine oft gestellte Frage. Andere Meinungen waren durchaus erwünscht. Das erfordert Selbstbewusstsein auf Seite der Lehrerin.
Mit im Ausbilder-Team von „Julia“ und außer den Fachdozenten waren dabei: die wunderbare Amelie – sie hatte es definitiv am härtesten erwischt als sie uns das Modul einer Anfängerklasse näher bringen durfte und wir uns benommen haben, wie wir uns die schaurigsten Anfänger vorstellten. Amelie, selbst noch relativ frisch gebackene Yogalehrerin, steckte es narbenfrei weg und ließ uns nicht einen Grad an Genervtheit spüren (weit oben auf meiner Liste noch zu erlernender Tools).
Der nächste bezaubernde Mensch war Tina. Mit einer Engelsgeduld hat sie in jedem von uns das Beste hervorgezaubert und in uns immer wieder den Glauben an uns selbst erweckt. Amelie und Tina waren für mich unverzichtbar. Von dem Stress, den das Leiten eines Studios so mit sich bringt, wurden wir Schüler komplett abgeschirmt. Wir hatten unsere Wohlfühloase. Als ich Ende 20 war, war ich von dieser Reife weit, weit entfernt. (Entwickelt sich die Menschheit doch von Generation zu Generation weiter und bringt die Menschen hervor, die dringend benötigt werden? Ich werde diesen Gedanken weiterspinnen. Aber ein Funke Hoffnung flackert auf.)
Mein Dank gilt auch der Vierten im Bunde: Lina Galli – ein engelhaftes Wesen, eine fantastische Jivamukti-Lehrerin, die für manch ein Modul extra aus Freiburg angereist ist. Nie hat sie oberschullehrerinnenmäßig unterrichtet – dafür mit einer Menge Humor. Und sie kann einen in himmlische Sphären singen. Für mich stehen jede Menge Freiburg-Besuche im Ommm Yoga im nächsten Jahr an.
Aber welche Vorstellungen von der Ausbildung saßen mir im Nacken! Und so malte ich es mir aus: Gleich würde ich bestätigt finden, wo meine Grenzen sind. Gleich würden es alle sehen: ich kann weder Titibasana, Marichiasana F noch Ashtavakrasana. Zum hundersten Mal, das hat so was von gar nichts mit Yoga zu tun … aber vielleicht jetzt doch mit dem Yogalehrer-Dasein? Wie ein aufgescheuchtes Reh wartete ich nun auf das Asana, das ich endlich nicht konnte. Und es kam! Tadasana! Das ist die Berghaltung. Die Haltung, in der man einfach so herumsteht, die Ausgangshaltung für viele fortführende Asanas. Also die Haltung, die man ungefähr ab seinem ersten Lebensjahr beherrscht. Ich musste mich von Grund auf neu ausrichten. Es gibt im Yoga ein Spiralprinzip, das sich vom kleinsten DNA-Strang bis zum großen Ganzen überträgt und für Stabilität, Balance und Aufrichtung sorgt, so wie es uns die Natur vormacht. Nun wie herum die Spirale sich dreht, ist wohl Geschmackssache. Und wie bei noch so vielen Dingen: es gibt kein falsch und kein richtig. Aber für mich galt, dass ich mich erst mal andersrum pole als ich es sonst gewohnt war. Dafür bin ich jetzt mittlerweile flexibel wie ein Chamäleon – ich beherrsche beide Spiralen und verstehe beide Argumentationen dazu. Die Knie waren bei mir zu durchgestreckt und das ach so einfache Herumstehen wurde nun anstrengend – ein Asana eben. Plötzlich würdig, als Asana benannt zu werden: das einfach so Herumstehen!
Adho Muka Svanasana – der herabschauende Hund: selbst diejenigen unter uns, die Yoga mit der Muttermilch aufgesogen haben, verbessern und veränderen diese Haltung stetig. Yoga als alte Tradition bindet immer neue Einflüsse und Wissen ein, und zusätzlich verändern sich unsere Körper und brauchen ab und zu eine Neujustierung. Spätestens, wenn man überzeugt ist „jetzt kann ich es“, ist das eigentlich das Warnsignal, sich zu verändern. Bequem ist Yoga selten. Komm immer mit einem „beginner’s mind“ auf die Matte!
Ja, und als Schüler fließt man so bei unterschiedlichen Lehreren durch verschiedenste Sonnengrüße, man hat sich schon eine richtige Klugscheißer-Attitude angeeignet und weiß so sicher wie das Amen in der Kirche, was als nächstes folgt. Genau das soll für den Schüler auch so sein, damit dieser abschalten kann und alles fließt. Der Sonnengruß sitzt in- und auswendig, egal welcher. Es müsste also doch ganz einfach sein, als Lehrer diesen anzuleiten. Es geht ja nur um den Rollentausch. Vorne stehen und das ansagen, was man seit Jahren getan hat. Welch einem Irrtum unterlag ich da! Ich wusste, dass es für mich aufregend sein würde, vor einer Gruppe zu stehen, aber dass man Gliedmaßen plötzlich nicht mehr benennen kann, oben, unten, rechts und links verwechselt und in einer Abwärtsbewegung soviel Ausrichtungsansagen braucht, dass der Atem in Stocken gerät und dann auch noch entsetzt feststellt, dass die Klasse alles seitenverkehrt macht … das Leben gab mir eine Ohrfeige, und mein Schock darüber saß erst einmal. Meine bisherigen Yogalehrer bewunderte ich nun noch mehr.
Ein weiteres Modul, was mich an meine Grenzen brachte, war das Assistieren. Beim Assistieren kitzelt man das ganze Asana-Potential seiner Schüler hervor. Jeder Handgriff muss sitzen, es wird genau erkannt, wie die Kräfte und Zuglinien wirken, und man hat nicht lange Zeit zu überlegen, wohin am Schüler man sich beim Assistieren stellt. Der Druck der Hände muss auch noch perfekt stimmen. Gefordert ist, sich in Sekundenschnelle mit dem Schüler zu verbinden. Dabei ist es so faszinierend, einen Menschen länger beobachten zu können und auf seinen Atemfluss zu achten. Berührungen haben wir verlernt – der Partner ist uns vertraut, aber mit Dritten tauschen wir nicht mehr als Umarmungen oder Wangenbussis aus. Wir fremdeln. Und so muss eigentlich jedes Asana neu erlernt werden: komme ich von vorne, von der Seite oder von hinten? Die „alten Hasen“ machen das instinktiv, aber für einen Anfänger prasseln hunderte von Regeln ein. Selbst fühlte ich mich lange Zeit kritisiert, wenn ich assistiert wurde, dann verlangte ich danach und mittlerweile ist es für mich die höchste Form des Dienens. Yogalehrer sind nichts anderes als Diener. Ich werde auf diesem Metier des Assistierens noch viel lernen müssen. Man findet mich dann auch demnächst hier: Intense-Assist-Workshop!
Wir wurden gefordert auf allen Gebieten und von vielen Dozenten. Anatomie, Philosophie, Geschichte, Energiesysteme, Mantrasingen, Stimmbildung, Atemtechnik, Ayurveda, Meditation, Reinigungstechniken und und und. Die Dozenten-Combo war umfangreich. Das ganze zusammengehalten hat Nicole. Und abgesehen davon, dass sie ihr Studio noch gemangt hat, haben unsere Fragen kein Ende genommen (manchmal war es auch nur das Flehen um Gnade). Ein ganz schöner Kraftakt, gerade wenn man das Geschehen hinter den Kulissen nur erahnt.
Zum „Ziel“ gestreichelt wurde aber keiner von uns.
Auch jede Menge „Zwangslektüre“ musste bewältigt werden. Zum Teil kryptisch geschrieben und mit Vokabeln, die auch nach langer Yogapraxis wie von einem anderen Stern erschienen. Man las die verordneten Bücher sogar zwei Mal, um beim zweiten Durchgang nochmals die Essenz für die Zusammenfassung parat zu haben, die wir bis zu einer festgesetzten Deadline abliefern mussten. Eines der Bücher entpuppte sich als besonders harter Brocken, für die ersten zehn Seiten hatte ich wohl auch zehn Mal angesetzt. Erst wieder mit der Einstellung „egal, dann werde ich es wohl nicht verstehen“ kamen dann ein paar Puzzlestücke zusammen. Und Herrje, wann habe ich zuletzt so viel gelesen? Wenn ich abends nach meinen Yogastunden nach Hause kam und der Uhrzeiger weit fortgeschritten war, verschwammen all die Buchstaben, und ich schaffte es tatsächlich, am Buch vorbeizulesen und mich in meinen Gedankenschlaufen aufzuhalten. Ich brauchte ein Konzept, das Lesen in meinen Alltag einzubinden. Es waren dann meine Mittagspausen und der erdenklich schönste Ort zum Lesen: meine Sommertage in Berlin am Paul-Lincke-Ufer! Mein magischer Ort.
Das Bücherlesen ist jetzt ein von mir wieder entdeckter Schatz. Hoffentlich hat sich die Gewohnheit tief eingeprägt, und ich es behalte es bei. Jedes Buch birgt einen Schatz.
Und überhaupt bin ich tief dankbar für alle Werkzeuge, die mir angereicht wurden, für alle Herzen, die mir entgegen kamen, und für meine wunderbare Gruppe.
Zum Zeitpunkt des entstandenen Gruppenbildes im Aufmacher – fotografiert von Falko, dem Freund von Laura aus meiner Gruppe – war Sabrina, meine Buddy-Kollegin, krank. Deswegen hier nachgereicht.