Aus der Reihe der kleinen Feinen: Mattengold
Mattengold?! Nein, das ist nicht die Patina auf meiner Yogamatte, bestehend aus Schweiß, Tränen, Herzblut, Blut, Katzenhaaren, den eigenen Haaren und dem Stuttgarter Feinstaub. Mattengold ist ein kleines feines Yogastudio in Stuttgart Wangen. Und damit beginne ich jetzt, sporadisch immer mal wieder ein Yogastudio vorzustellen, das im Suchmaschinen-Ranking nicht gleich ganz oben aufpoppt und auch sonst die etwas leiseren Töne anschlägt.
Der Plan war, mir einen flexiblen Wochentag einzurichten, um immer mal wieder neues Studio auszuprobieren. Mehr „Tag“ erübrigt sich nicht, so lange ich dem Gesetz der Siebentage-Woche unterliege. Also opferte ich eine meiner festen Yogastunden zugunsten des Ausprobierens. Pläne gehen selten auf. Prompt bin ich hängengeblieben – und zwar genau in Mattengold. Mein nächster Plan war, mich über mich zu ärgern. Pläne gehen selten auf. Nun genieße ich und gebe mich meiner neuen festen Stunde im Mattengold einfach hin.
Etwas Neues für mich auszuprobieren und mich auch auf eine neue Gewohnheit einzulassen, ist für mich erst mal nicht ganz stressfrei. Ein neuer Anfahrtsweg erwartet mich – wie oft verfahre ich mich wohl trotz Navigationsgerät und finde ich heute einen Parkplatz, mag ich die Studio-Atmosphäre, die Stimme des Yogalehrers, komme ich im Unterricht überhaupt mit, wo ist der Notausgang und wo die Toilette? Yoga fängt schon so viel früher an als mit den Füßen auf der Matte. Und nichts ist gesünder als sich immer wieder neu auszuprobieren und ausgetrampelte Pfade und Gewohnheiten zu verlassen.
Mit dem Stadtteil Wangen hatte ich bisher kaum Berührungspunkte. Die Adresse „Renzwiesen 6“ war aber ohne Verfahren schnell gefunden. Man landet vor dem Heinrich-Hermann-Areal, einem ehemaligen Fabrikgebäude. Heinrich Hermann abgekürzt ergibt HERMA – bis vor Kurzem hatte ich mir über den Ursprung dieses Namens, mit dem ich nur Lochverstärkungsringe assoziierte, keine Gedanken gemacht (genauso wenig wie der Klopapiername „Hakle“, bei dem Hans Klemm der Namensstifter war, oder „Haribo“ für Hans Riegel Bonn – also sollte jemanden kein origineller Firmenname einfallen, nehmt einfach die Initialen aus Vor- und Nachname). In diesem Herma-Gebäude sind jetzt jede Menge Werbeagenturen und Architekten angesiedelt – und mittendrin das Mattengold. Es könnte einen wahrlich schlimmer treffen. In Wangen stehen überall sowohl historische Gebäude als auch einfallslose Nachkriegs-Industrie-Vierecke, gepaart mit moderner Architektur, die für Stuttgart fast ungewöhnlich ist. Kurzum, ich habe mich in Wangen verliebt und in das Yogastudio Mattengold auch.
Die Begrüßung im Mattengold war dermaßen herzlich, dass ich beinahe erschrak. Und auch jetzt, wo ich schon einige Male dort gewesen bin, ist die Freundlichkeit nicht abgeebbt. Es gibt Studios, da wird man kaum herzlicher behandelt als das Inventar. Schlimmer jedoch ist Abweisung, und auch die kommt durchaus vor. In der Yogawelt wird gerne kokettiert – und Studiobesitzer stellen sich über andere, indem sie sich als feinfühliger, feinstofflicher und ökonomischer mit Energien haushaltend bezeichnet. Also bitte kein Hallo-Du-auch-da, kein Wangenbussi und keine Umarmungen – all dies wäre vor einer Yogastunde zu kräftezehrend. So kann eine Umarmung tatsächlich als Energieraub empfunden werden, statt als simple Sympathiebekundung. Schnell kommt man sich als Bauerntrampel vor, wenn man auf den anderen mit einer Umarmung zugehen will, schließlich hat man in seiner Freude nicht gemerkt, wie sensibel so eine freundliche Geste doch gewertet werden kann. Aus meiner Sicht ist eine Umarmung ein gegenseitiges Geben, und kein Nehmen. Der Schüler weiß seinen Lehrer zu schätzen und der Lehrer seinen Schüler. Ohne Schüler gibt es schließlich keinen Lehrer. Eine Umarmung ist ein gelebtes Namasté. Namasté bedeutet „ich grüße das Licht in Dir“ oder auch „das Göttliche in mir grüßt das Göttliche in Dir“. Nun gibt es neuerdings den Energie-Clean-Schick. Eine Abweisung kommt jedoch zum Glück selten vor, und im Mattengold dürfte so etwas nie passieren – dafür lege ich meine Hand ins Feuer.
Betrieben wird das Mattengold seit fünf Jahren von Nicole und Ralf. Das Studio konnte sich in den letzten zwei Jahren von einem Raum auf zwei Räume ausweiten. Nicole und Ralf sind authentische Yogalehrer, freundlich, nicht anbiedernd, nicht ihr Können über den grünen Klee preisend, sondern sie sind einfach feine, verständnisvolle Menschen, bodenständig und um die Sorgen von Menschen, die im Berufsalltag stehe, sehr genau wissend. Der Schüler darf hier das Können der Lehrer noch selbst erkennen dürfen. Die Räume sind hell und freundlich, und ich kann, wenn es die Asanas und das Wetter zulassen, über den Architekturhimmel in den Sonnenuntergang blicken. Meine Montagabende könnten schlimmer aussehen. Und während man selbst die Reise zu sich selbst beginnt, golden eintaucht, dämmert einem, woher der Name „Mattengold“ wohl kommt.
Den Montag habe ich mir ausgesucht, weil der Yogastil „Ashtanga“ auf dem Stundenplan steht. An Ashtanga habe ich mich bereits einige Male herangewagt und immer wieder sofort aufgegeben. Ashtanga ist ein schneller, kraftvoller und äußerst herausfordernder Yogastil (zu diesem Yogastil irgendwann mal mehr). Jetzt endlich habe ich bei Ralf eine modifizierte Ashtanga-Variante gefunden: Ashtanga Yoga Innovation, kurz AYI. AYI ist ein geschützter Begriff für die Ashatanga-Variante von Ronald Steiner, einen der Größen im Yoga in Deutschland. Zum Glück hat Ralf bei Ronald neben mehreren themenausgerichteten Modulen seine zweite Yogalehrerausbildung gemacht und darf diesen modernen Stil genau so unterrichten. Ralf praktiziert selbst seit ungefähr 18 Jahren Yoga, hat also eine Wahnsinns-Erfahrung auf seinem Buckel, äh seinen geradesten Rückenstreckern. Seine erste Ausbildung war eine Jivamukti-Ausbildung, aber in Jivamukti hat Ralf nie seine Heimat gefunden. Dafür unterrichtet er Ashtanga mit Leidenschaft. Die Leidenschaft hat so sehr gebrannt, dass er nach 17 Jahren seine eigene Kommunikationsagentur aufgelöst hat und das Mattengold nun hauptberuflich betreibt. Für ihn war das ein Geburtstagsgeschenk – für die, die lernen dürfen, vielleicht ein lebenslanges Geschenk.
Immer noch bin ich auch mit der modifizierten Ashtanga-Variante sehr herausgefordert, aber nicht ganze Lichtjahre vom Praktizieren entfernt wie bei der klassischen Ashtanga-Serie. Während das klassische Ashtanga davon lebt, kontinuierlich Tag für Tag gleichbleibend zu sein und die Unterschiede nur in der eigenen Verfassung wahrnehmbar sind, werden bei AYI auch Veränderungen im Unterricht zugelassen, immer um einen feste Struktur herum. Und so kann es sein, dass der Fokus mal auf Twists, mal auf Rückbeugen und mal auf energetischer Ebene liegt. Warum ich Ashtanga überhaupt machen möchte: weil ich mich dabei so sehr als Anfänger fühle. „Beginner’s mind“ wird diese Einstellung genannt und so sollte jede Yogini und jeder Yogin auf seine Matte gehen. Demut lässt unser Ego verbrennen – auch ein Ziel im Yoga übrigens.
Natürlich war ich auch schon bei Nicole im Unterricht. Nicole ist Ralfs Frau und natürlich haben die beiden sich im Yogaunterricht kennengelernt. Nicole unterrichtet Pilates und Yin Yoga und auch sie hat ihre Ausbildungen bei namhaften Lehrern gemacht. Pilates bei Davorka Kulenovic und Yin Yoga bei Helga Baumgartner. In einer Pilatesstunde war ich noch nie in meinem Leben, aber sollte ich es vorhaben, dann im Mattengold bei Nicole. Ehrlich gesagt habe ich Angst vor Pilates, weil es sich so anstrengend anhört. Aber ähnlich habe ich ja auch gedacht als ich Yoga angefangen und mich gegen Sport entschieden hatte. Nun muss ich erkennen, dass ich wohl eher im Sport als im Yoga entspanne. Bei Nicole war ich im Yin Yoga – und das ist nun wirklich einer der entspannten Yogastile. Es war himmlisch. Ich vermute mittlerweile zwar, dass der Name Nicole schon zu Yin Yoga verpflichtet, aber die „Mattengold-Nicole“ hat meinen Vagus-Nerv (das Ding, das für die Entspannung verantwortlich ist) wirklich in den Griff bekommen. Ich hatte nach der Freitagabend-Stunde eine Verwandlung um 180 Grad erlebt. Ich muss es dringend öfters machen. Zudem ist Nicole einfach so herrlich unkompliziert und fröhlich.
Ralf und Nicole werden auch noch unterstützt von einem Team, alle kenne ich noch nicht. Sicher bin ich, dass auch die anderen Lehrer neben Können nach Nettigkeit ausgesucht werden. Jasmin ist eine der Lehrerinnen, ich kenne sie bis jetzt von Montagabend als Schülerin auf der Matte bei Ralf. Vielleicht fühlt sie sich als Schülerin – aber ich platziere mich gerne hinter ihr und nehme sie dann als meine zweite Lehrerin wahr.
Also wenn sich einer von Euch blechern und bleiern anfühlt, ist es höchste Zeit Euch golden zu verwandeln und das Mattengold zu besuchen – der Ort, wo die Alchemie stattfindet!
Nicole und Ralf haben ein goldenes Herz – das zeigt auch einfach der kleine beiläufige Umstand, dass sie Hunde von der Straße aus Spanien und Ungarn gerettet und bei sich aufgenommen haben. Das ist eine der größten Taten, die man im Yoga vollbringen kann!