Gibt es Zufälle? Oder wie aus New York eine Kleinstadt wurde.
Diese Geschichte ist so unglaublich und unfassbar für die Kapazität, die mein Hirn bereit stellt. Aber sie ist so passiert.
Vor circa eineinhalb Jahren war ich in New York, und in direkter Nachbarschaft zum Hotel lag das Yogastudio „New York loves Yoga“. Ehrfürchtig davor, dass in New York eine andere und schnellere Gangart in den Yogaklassen betrieben wird, dass ich nicht alles verstehe, und ich egal in welcher Sprache die rechten und die linken Gliedmaßen verwechsle, habe ich angemeldet. Was hatte ich schon zu verlieren? Mehr als sterben konnte ich nicht. Es könnte Schlimmeres geben als in einer Yogaklasse in New York tot umzufallen. Aber wenn einen kein Mensch kennt, schenkt das so viel Freiheit und baut Hemmungen ab. Vielleicht macht einen dieser Zustand sogar mehr zu dem Menschen, der man wirklich ist. Von der Tatsache, dass mich dort kein Mensch kennt, war ich jedenfalls überzeugt.
Nun, Yoga heißt Verbindung. Wir verbinden Geist und Körper, wir verbinden uns mit unseren Mit-Yogis, wir verbinden uns mit unserer Umwelt, wir verbinden uns mit dem Universum und wir verbinden uns mit unserer Göttlichkeit. Auch unser Tun, unsere Aktion, bleibt selten ohne Reaktion. Dieses wechselseitige Verhältnis nennt sich Karma. Also ist auch Karma eine Verbindung. Wer weiß letzendlich, welche Kettenreaktion ausgelöst wird, wenn der Sack Reis umfällt oder man gar seinen Mitmenschen ein Lächeln schenkt. Irgendwie hängt alles zusammen und voneinander ab. Das sogenannte „Kleine-Welt-Phänomen“ aus der Soziologie besagt, dass jeder Mensch jeden anderen über höchstens sechs Ecken kennt.
Ich scherte mich nicht darum, ich war in New York – einer 8-Millionen-Einwohner-Stadt. Und an jeder Ecke davon gibt es ein Yogastudio. Wer sollte mich bitte kennen oder ich ihn oder sie? Mit dieser Unbedarftheit ging ich in die Yogastunde von Yuliana. Und genauso unbedarft kam ich wieder raus – nur eben erfüllt von Glückseligkeit. Neben der Tatsache, dass ich überlebt hatte, war diese Stunde einfach überragend fantastisch. Ein Grund, warum ich mir Yuliana extra in mein Gedächtnis einbrannte. Wer weiß, wann ich wieder nach New York kommen sollte – dann wollte ich nämlich unbedingt wieder zu ihr.
Die Zeit rieselte durch die Sanduhr, und ein nächster New-York-Trip lag in weiter Ferne. Meine Aufschriebe und Pläne für den nächsten Besuch gilbten in irgendeinem Reiseführer vor sich hin.
Und dann traf mich der Blitz: vor ein paar Monaten auf einem Social-Media-Kanal postete Liz, eine Freundin aus London, dass sie mit Yuliana gerade Essen genießt. Ich war schon wieder am Weiterscrollen, bis meine Synapsen verspätet reagierten. Yuliana? In dieser Schreibweise und diese attraktive Erscheinung? Das war doch meine Yogalehrin aus New York! Also kannte Liz aus London, einer 4-Millionen-Stadt, Yuliana aus New York, einer 8-Millionen-Stadt.
Liz ist eine Freundin meines Mannes – auch diese beiden trafen sich zufällig. Als Journalisten sind sie sich auf einer Pressereise vor circa 18 Jahren in Tokio begegnet. Gerne bleibt man bei solchen internationalen Events in landsmännischen Gruppen unter sich. Aber hier entstand eine britisch-deutsche Freundschaft. Und so kam auch ich Jahre später in den Genuss, Liz kennenzulernen.
Wie sich dann herausstellte, war Yulianas Mann ein Studienkollege von Liz. Und nun sind Liz und Yuliana schon seit mehr als zwanzig Jahren dicke Freundinnen.
Meine Notizzettel waren noch nicht ganz vergilbt und der nächste New-York-Trip kam schneller als erwartet. Und diesmal saßen mein Mann und ich mit Yuliana zusammen beim Essen. Die Umstände wollten dieses Mal allerdings, dass es mir trotz Yulianas umfangreichem Yoga-Stundenplan nicht zu einer Yogastunde bei ihr gereicht hat. Aber Yoga bedeutet auch: runter von der Matte und Erlerntes und noch zu Lernendes ins wahre Leben übertragen.
Unter Verbindung im Yoga stellte ich mir immer etwas Ätherisches, Unfassbares, Geistiges vor. Dass die Verbindung nun plastisch greifbar und direkt wurde, hat mich sprachlos hinterlassen. Manchmal ist alles viel einfacher und simpler als man denkt.
Yuliana hat Ausbildungen, die mehr als 1000 Stunden umfassen – unter anderem auch Yogatherapie. So saugte ich von ihr am Esstisch viel mehr Wissen auf, als dass ich mir krampfhaft eine Asana-Abfolge in einer Yogaklasse gemerkt hätte. Bei dieser Gelegenheit bekam ich von ihr wertvolle Tipps für das Yogalehrer-Dasein und einen Einblick in das Leben einer New Yorker Yogalehrerin mit den entsprechenden Anforderungen.
Das Foto beweist diesen eigentlich unglaublichen Zufall, den ich sonst bis heute nicht glauben würde.
Um aber um nochmals Gewissheit zu erlangen, werde ich mich wohl im September Yulianans Yoga-Retreat an der Amalfi-Küste anschließen. Das Retreat ist ausverkauft, aber langsam finde ich Gefallen an meinen zu kurzen Armen: damit kann ich mich überall reinquetschen – zumindest für ein paar Tage. An der Amalfi-Küste wird dann auch das Dreieck geschlossen: Yuliana aus NYC, Liz aus London und wir aus Stuttgart!
Wer auch das Glück hat, nach New York zu kommen, sollte unbedingt in eine von Yulinas Klassen gehen:
Tuesdays:
9:15 AM Vinyasa, @equinox E 74th St
6:30 PM Power Vinyasa, @equinox E 61st
8:00 PM Yin Yoga Meditation, @equinoxE 74th St
Fridays:
6:45 AM Heated Vinyasa @equinox E 53rd St
4:00 PM yin yoga @equinox —Rockefeller
5:30 PM, @equinox — Rockefeller
Saturdays:
11:15-12:15 power vinyasa @equinox —E 61st
Sundays:
10:15 AM Vinyasa, @equinox W 76th St
1:00 PM Vinyasa, @equinox E 74th St
Natürlich habe ich noch so viel mehr erlebt auf dieser letzten Reise. Neben vielen Yogaklassen und vielen Studios, die ich besucht hatte, war es aber immer das größte Wunder für mich, was Yoga abseits der Matte bedeutet. Mit den New Yorkern kommt man schnell ins Gespräch, und wenn man sich darauf einlässt, hat man schnell einen Freund für die nächste Stunde gewonnen. So der Mann, der uns im Central Park begegnet ist und der vor über 25 Jahren von Virginia nach New York gezogen war. Mit seinem neuen Wohnort hatte er so lange gehadert, bis 9/11 passierte. Danach wurde aus all den Menschen, die vorher nur Hindernisse im Straßenbild waren, eine Einheit, und eine Zeit lang war jeder für jeden da.
Oder im Café, wo Shelly und Ed uns ansprachen. Shelly, die mit ihren 76 Jahren noch als Professorin für Kindererziehung arbeitet und deren allererster Satz war, wie sehr sie sich für ihren Präsidenten schämt. Daraufhin haben wir uns erstmal als Deutsche geoutet – aus dieser Warte kann man sich ja auch für so manches entschuldigen.
Oder wie sich Love Pride (bei uns als Christopher Street Day bekannt) zum 50sten Mal gejährt hat und alle so glücklich waren, zu zeigen, wer und wie sie sind. Liebe hat immer recht. Eine kleine Gruppe, die vor 50 Jahren für Gleichberechtigung gekämpft und das Feuer schnell entzündet hat. Es geht dabei nicht nur um Homosexualität, sondern um Freiheit und Liebe – Love is Love! Die Regenbogenfarben haben in dieser Zeit in New York die Nationalflaggen abgelöst. Sie vermittelten ein Gefühl von Einheit über Landesgrenzen hinaus. Amerika war hier wieder genau so, wie ich es mir wünschte.
Oder wie ich im letzen Hotel in Williamsburg die nächtliche Aussicht vom Balkon auf das bunte Treiben von Manhattan genießen konnte, wo ich kurz vorher selbst noch Akteur war. Irgendwo schrillten immer noch Sirenen, kam laute Musik aus Boxen und Autos hupten sich gegenseitig an. Und in diesem ganzen Treiben wurde plötzlich alles um mich herum ganz ruhig und still. Ich war nur noch Beobachter und konnte mich von allen Seiten schwebend in das Geschehen einzoomen, ohne dass es mich selbst betraf. Ich verlor das Zeitgefühl, es war ein glücklicher Moment. Diesen Moment werde ich immer in mir tragen. Und sollte mich je einer meiner Gedanken um den Verstand bringen wollen, werde ich auf diesen Hotelbalkon fliegen und mir all den Trubel mit Abstand anschauen.