Einmal Ashram und … immer wieder!
Hätte mir jemand gesagt, dass ich eines Tages in einen Ashram gehe, ich hätte lauthals höhnisch gelacht. In meiner Vorstellung war ein Ashram das Gleiche wie ein Kloster – nur eben in der weiß-gelb-bis-orangen Version statt in der schwarz-weißen. Ernste Frömmigkeit statt ausgelassenes Lachen? Nö Danke!
Neulich lief auch eine junge Dame an mir in Ordenstracht vorbei. Dass es so etwas noch gibt?! Aber ich lachte über Menschen wie sie schon lange nicht mehr. Einem Menschen, der weiß, dass er geradlinig seine Werte verfolgt und lebt, schenke ich mittlerweile meine höchste Bewunderung. Und übrigens war die Ordensdame alles andere als lebensfremd, immerhin schaute aus ihrem Rucksack Bauwerkerzeug einer hochwertigen Marke heraus. Also konnte sie mit etwas hantieren, was in mir den Neid hochtrieb und mich schmerzlich an meine Unselbständigkeit erinnerte. Schon lange überlege ich mir, wie peinlich es wohl wäre, einen Wie-schließe-ich-eine-Lampe-an- oder Wie-bohre-ein-Loch-in-die-Wand-Kurs im Baumarkt buche, und komme mir dabe vor wie ein unemanizipierter Mensch, der auf den Silberrücken wartet.
Der Weg des Yogas zieht einen aber immer tiefer in den „Höllenschlund”: am Ashram führte kein Weg mehr vorbei! Also nicht das schwarz-weiße Leben, sondern das gelb-orangene. Ob letzteres nur aufgrund der Farben fröhlicher ist, hängt wohl vom Individuum ab, der inneren Einstellung. Ob Religion, Spiritualität oder Philosophie als Vehikel zum Weiterkommen gewählt wurde, kommt vielleicht sogar auf das Gleiche raus.
Unter einem Ashram stellt man sich eine Einsiedelei vor, irgendwo in Indien. Überall laufen schweigende, ausgehungerte und weltabgewandte Menschen umher. Tatsächlich ist ein Ashram auch eine Blase, in die sich Menschen begeben, um sich auf ihren Weg und die dazugehörigen Praktiken zu besinnen, darin tief einzutauchen und für eine gewisse Zeit nicht abgelenkt zu sein. Wenn freundlich strahlende und friedfertige Menschen als weltabgewandt bezeichnet werden, ist das jammerschade – eigentlich ist ein Ashram ein Ort der zeigt, wie das Zusammenleben in der Welt auch bei aller Verschiedenheit funktionieren könnte. In meinem wissenschaftlichen Arbeitsumfeld habe ich allerdings aufgenommen, dass das, was im kleinen Maßstab im Labor funktioniert, noch lange nicht hochskalierbar ist auf größere Maßstäbe.
Aber auch in Deutschland gibt es diese Ashram-Oasen. Bekannstester Betreiber von vier deutschen Ashrams (Allgäu, Westerwald, Nordsee und der Größte in Bad Meinberg) ist der Yoga Vidya Verein. Yoga Vidya ist Anfang der 90er Jahre gegründet worden und deutschlandweit die größte Yoga-Institution. In fast jeder Stadt gibt es ein Yoga Vidya Yogastudio. Der Gründer heißt Sukadev, mit bürgerlichen Namen Volker Bretz. Den Namen Bretz kennt man von dem Möbelhersteller, für dessen Sofas man einen doch sehr speziellen Geschmack haben muss. Aus dieser Fabrikanten-Familie stammt auch Sukadev – ein überaus intelligenter und hochbegabter Mensch, der das Talent hat, fotografisch Lektüre zu erfassen und jederzeit wieder abzurufen.
Wer schon mal einen Begriff aus dem Yoga im World Wide Web nachschlagen wollte, ist unweigerlich auf Yogawiki gestoßen. Auch dieses Online-Wissens-Angebot stammt von Sukadev. Gute einfache Erklärungen fand ich dort allerdings nie – vielmehr war ich in einer Endlosschleife gefangen, weil ein Fachbegriff mit hundert weiteren unbekannten Begriffen erklärt wurde. Schlussendlich wusste ich nicht mehr, was ich anfangs gesucht hatte. Wie oft kochte deswegen schon vor Wut über! Von einem friedvollen Zustand, einem Erkenntnisgewinn und allem, was Yoga nachgesagt wird, entfernte ich mich meilenweit. Sukadev war bestimmt nicht mein Freund! Auch seine Videobeiträge waren eher einschläfernd als mitreißend oder erklärend. Die Yogaklassen von Yoga Vidya empfand ich als bizarr. Die traditionelle Rishikesh-Reihe, die Yoga Vidya praktiziert, fängt doch tatsächlich mit einem Kopfstand an – im „normalen“ Yoga ist der Kopfstand eine Peak-Pose gegen Ende der Yogastunde, wenn er überhaupt vorkommt. Die Yoga-Vidya-Anhänger sind der Tradion von Swami Sivananda aber stets treu geblieben und neue wissenschaftliche Erkenntnisse fanden keinen Platz. Allerdings hat die Wissenschaft schon so oft Kehrwendungen gemacht, dass die ursprüngliche Tradition doch nicht ganz so falsch war. Sukadev hat diese Tradition nach Deutschland und eigentlich ganz Europa gebracht und vielleicht leicht verfeinert.
Um für Yoga Vidya geeignet zu sein, musste man der Räucherstäbchen- und Sockenstrick- Fraktion angehören – so mein Vorurteil. Und sollte mir Sukadev jemals begenen, ich würde ihm meine Meinung über seinen Verein geradeaus ins Gesicht sagen. Leider bin ich ihm bei meinem jetztigen Ashram-Besuch nicht über den Weg gelaufen. Ansonsten wäre nämlich das Gegenteil passiert – ich hätte ihm gedankt. Alles braucht eben seine Zeit. Vielleicht ist Yoga Vidya nicht auf den ersten Blick „hip“ – aber letzendlich führen alle Wege des Yogas nach innen, ungeachtet aller Äußerlichkeiten. Man erreicht diesen Weg in orangen Batik-Klamotten und selbstgestrickten Socken ebenso wie auch mit Undercut und schrillen Leggings. Alles ist erlaubt. Nirgendwo gibt es eine größere Wissensanhäufung als bei Yoga Vidya und nach anfänglicher Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit treten erst die Erschöpfung und dann der Gleichmut ein. Einige Zeit später erschließt sich dann vielleicht der ein oder andere Zusammenhang. Geduld ist eben der zäheste und widerspenstigste Muskel.
Kurzum, ich war jetzt im Ashram Bad Meinberg. Ich buchte mir den Ashram für Weicheier und Anfänger: nur 3 Nächte, Einzelzimmer statt eines Schlafsaals und dann das Jivamukti Summer Experience. Jivamukti, der von mir geliebte Yogastil! Das Jivvamukti Summer Experience jährte sich nun zum dritten Mal und wird immer ausgerichtet von Peace Yoga Berlin, also Moritz und Niklas plus dem Jivamukti-Lehrer aus Sidney: Doug! Eine Traumkombi und alle drei keine Unbekannten für mich, sondern die Kirsche auf der Torte. Aber ob das wohl zusammenpassen würde: Jivamukti im traditionellen Yoga Vidya Ashram?
Zuvor kamen mir alle erdenklichen Horror-Geschichten zu Ohren, die um diesen Ashram kursierten. Das architektonische Scheusal spielte dabei eine große Rolle: eine umgebaute Kurklinik in einem lieblosen 70er-Jahre-Betongebäude an einem Ort, den niemand kennen würde, wenn nicht gerade dieser Ashram dort stünde. Die Betten waren bessere Pritschen, und sogar die Yogaräume waren mit gelb-orangenen Teppichen geflort (geübte Yogis wissen, dass in Balance-Übungen sogar die eigene Matte ein Zuviel zwischen Fuß und Boden ist – wie sollte das erst auf einem Teppich funktionieren?). Jivamukti im Saal mit Holztäfelung und Lampen der Marke „Gruselkabinett“. Meine Erwartungshaltung war jedenfalls in die Minusgrade gesunken. Und das war gut so. Schlussendlich war ich nämlich hellauf begeistert!
Über 1000 Gäste finden in Bad Meinberg ein Bett, aufgeteilt in drei aneinanderhängende Gebäude, die sich ästhetisch nichts schenken. Es gibt über 25 Yogaräume, Gänge mit Türen ohne Ende, die wieder in neuen Gängen münden. Es werden Seminare angeboten in einer Vielzahl, dass jede Volkshochschule in einer Großstadt vor Neid erblasst. An der Rezeption – glücklich wer diese wieder findet – weist wie am Flughafen ein digitales Billboard auf die Tageskurse hin, für meinen Geschmack zu dicht und eng beschrieben.
Mehrere Auslageregale mit gedruckten Flyern werfen einen in die pure Verzweiflung – der Druck sitzt im Nacken, wie bei einem Schüler am Berufsorientierungstag. Schließlich sollte die Berufswahl das restliche Leben anhalten (was bei mir schon mal gründlich daneben ging). Aber diesmal war alles freiwillig und einfach nach Interesse verfeinert, wenn auch erstaunlich, dass für Yoga mehr Auswahl als bei der Berufswahl von einst zur Verfügung steht.
Nach langer Fahrt wurde ich entgegen aller Vorhersagungen freundlich an der Rezeption begrüßt und mein Einzelzimmer war so, wie ich es mir vorgestellt hatte – vielleicht sogar etwas besser. Auf der sogenannten Pritsche schlief ich besser als daheim, einzig: Ich musste mein Bett selbst überziehen. Für eine Gebühr von gerade mal 5 Euro bekam ich saubere, gemangelte Bettwäsche, die ich beim Überziehen erfolgreich in einen Klumpenberg verwandelte.
Ich unternahm den Versuch, an der Rezeption zu fragen, ob gegen Gebühr, eine Bett-Überzugs-Dienstleistung zu erwerben wäre. Nun wurde mir der Unterschied zwischen Hotel und Ashram deutlich erklärt und meine weitere Frage nach dem Infinity-Pool im Keim erstickt. Gut vorbereitet war ich in Sachen Kaffee. Hatte ich doch einst einen Tauchsieder geschenkt bekommen, mit dem ich Wasser aufkochen konnte, in das ich meinen mitgebrachten löslichen Kaffee und die Hafermilch einrühren konnte. Ohne Kaffee wäre ein Aufstehen für mich unmöglich.
Es gibt tatsächlich auch ein Café im Ashram, aber der Nutzen ist gering, wenn dieses erst um 8.00 Uhr aufmacht, die ersten Kurse aber schon um 5.45 Uhr anfangen. Laut Erzählungen bietet der Kaffee dort auch weder Geschmack, noch macht er wach. Die Frage nach dem Infinity-Pool wäre allerdings gar nicht so abwegig gewesen – als umgebaute Kurklinik verfügt der Ashram nämlich tatsächlich über ein Schwimmbad.
Die meisten aus meiner circa 90 Kopf starken Jivamukti-Gruppe haben bei dem herrlichen Spätsommer-Wetter allerdings das ortsansässige Freibad in der Mittagspause genutzt. Nächstes Mal sind meine Badesachen mit dabei! Aus Furcht vor dem Kantinen-Essen, bewaffnete ich mich mit einer Tüte voll Müsliriegeln. Und mit genau der gleichen Anzahl an Müsliriegeln reiste ich auch wieder ab. Das Essen in der Kantine, das es zweimal am Tag gab, war fantastisch. Ich hätte ich mich am liebsten mit Messer und Gabel direkt ans Buffet gesetzt. Endlich konnte ich mir bedenkenlos meinen Teller auftürmen, ohne Angst zu haben, dass ein Hühnerbein oder sonstige Leichenteile sich im Essen verirrt haben. Alles war frisch und pur, ohne in undefinierten Gewürzbädern ertränkt zu sein.
99,9 Prozent aller Menschen im Ashram sind mir offenen und freundlichen Blickes begegnet, während ich immer nach ausgehungerten, weltabgewandten, verstrahlten Aliens Ausschau gehalten habe. Vergebens!
Mein kleines Jivamukti-Retreat, bei dem ich dieses Jahr das erste Mal dabei sein durfte, ist die schönste Erinnerung, die ich mir hätte schenken können. Die Lehrer haben sich ideal aufgeteilt, jeder mit seinem Schwerpunkt. Moritz unterrichtet mit all seinem geradlinigem Wissen und seinen perfekten Ansagen – sobald er anfängt zu chanten, öffnen sich alle Himmelspforten und mein Herz schmilzt wie Butter in der Sonne. Niklas vereint Klang und Wissenschaft – wie sehr hätte ich ihn doch in der Schule als Lehrer gebraucht! Konnte ich ernsthaft Spaß an Physik empfinden und jede meiner Zellen daran teilhaben?! Mit Doug kam der Spaß hinzu, keiner kann Asanas so sehr auf den Punkt beschreiben und gleichzeitig die Lachmuskulatur so sehr beanspruchen.
Die meisten Teilnehmer kannten diese Kombi auch schon, und während ich anfangs erwartete, nur von Berlinern umringt zu sein, traf ich Menschen aus Polen, Norwegen, Kanada und aus jeder Ecke Deutschlands. Wer Jivamukti-Retreats kennt, weiß, wie sehr man sich in Unkosten stürzen kann – nicht so auf dem Jivamukti Summer Experience.
Allein trat ich die Anreise an, und zu dritt fuhren wir im Auto wieder nach Hause. Es waren wundervolle Begenungen, eine unvergessliche kleine Auszeit in meinem Leben.
Für nächstes Jahr habe ich mich übrigens gleich schon wieder angemeldet, und meine Aufgabe bis dahin wird sein, die Erwartungshaltung wieder schön unten zu halten. Ach nee, ich freue mich einfach darauf!