Auf allen acht Füßen oder Armen geht es schneller vorwärts!
Was habe ich für ein Glück, dass ich eine Freundin habe, die so gut zeichnen kann. Der Octopus wie auch meine kleinen Elefanten sind von Heike Hummel. Und mittlerweile ist Heike von London nach München gezogen. Also: wer hübsche Zeichnungen braucht, ist bei ihr richtig und muss bei persönlichem Kontakt nicht mehr ganz so weite Wege gehen.
Es ist auch ein Riesenglück, einem Octopus frei lebend in der Meereswelt begegnet zu sein. Zu meinen Tauchzeiten hatte ich schon die ein oder andere Bekanntschaft gemacht – und wenn man sich ruhig verhält, kann es passieren, dass man nicht beobachtet, sondern selbst beobachtet wird – und von so einem schlauen, empfindsamen Tierchen umgarnt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Octopus sich auf die Hand setzt, ist größer als dass es ein Vogel tut. Die samtigen Streicheleinheiten vergisst man nie – nur ab einer gewissen Größe des Tieres und bevor einer der acht Arme nach der Tauchmaske angelt oder gar dem Atemregler, ist eine respektvolle Distanz oder Rückzug einzuhalten. Wer einem Octopus und seiner bezaubernden Art schon mal begegnet ist, kommt nie mehr auf die Idee, ihn sich auf einem Teller servieren zu lassen (wie auch sonst kein Tier).
Nun, acht Arme und acht Glieder – sie könnten im Yoga gar keine wichtigere Rolle spielen. Es gibt das eine oder andere Asana, das mit der Zahl „acht“, sprich „ashta“ anfängt. Wie zum Beispiel Ashtanga Namaskar, ein Rückbeugen-Asana, das oft in den Sonnengruß eingebettet wird, und bei dem schlichtweg acht Körperstellen den Boden berühren (zwei Fußzehballen, zwei Kniee, zwei Hände, ein Brustbein und entweder das Kinn oder die Stirn). Eine andere Asana nennt sich Ashtavakrasana (der achtfach Verknotete) – daran übe ich noch.
Es gibt einen eigenen Yogastil, der sich Ashtanga nennt – und die Mutter aller uns im Westen bekannten Yogastile ist.
Und letztendlich nennt sich dieser Stil so, weil er sich auf den achtgliedrigen Pfad in den alten Schriften bezieht. Mit die wohl wichtigste Literatur im Yoga sind Patajanlis Yoga Sutras. Die Sutren, auch Sutras genannt, sind codierte, kurze Sätze. Sutra bedeutet auch „der Faden“ oder Leitfaden. Diese Sutras müssen jedoch erst decodiert werden, damit sie mit ihrer Botschaft zur vollen Entfaltung kommen. Ein Leitfaden für ein Leben ohne Leiden – wer wollte das nicht?
Den Streit, ob es nun 195 oder 196 Sutren sind, überlasse ich gerne anderen. Die wohl wichtigste Essenz aus Patanjalis Yoga Sutren: Lass Deinen Geist zur Ruhe kommen! Wenn Du dachtest, Du bist, was Du denkst, wäre das nochmals zu überdenken! Vielleicht lässt sich das Denken aber nicht mal so eben abstellen. Identifizieren soll man sich jedoch keinesfalls mit seinen Geisteswellen. Patajanli fängt bereits mit dem Wichtigsten an – trotzdem lohnt es sich, auch nach dem ersten Sutra noch weiter zu lesen und zu verstehen.
Patanjalis Sutren sind in vier Kapitel gebündelt, und diese Kapitel nennen sich „Pada“ – der Fuß. Fuß bedeutet im Schwäbischen übrigens auch Bein, weshalb sich schwäbische Yogalehrer im Unterricht schwer tun mit der Ansage von Körperteilen. Und Pada ist wie ein Pfeiler, eine Säule, gar ein Fundament gedacht.
Samadhi Pada beschreibt das zu erreichende Ziel und Resultat von Yoga – das Aufgehen in einem Bewußtsein oder wie es entsprechend erlebt wird. Außerdem die Quellen der Vrittis (Geistesbewegungen) und die Antharayas (Hindernisse in der Yogapraxis), und alles was wir dagegen tun können.
Sadhana Pada, die spirituelle Praxis. Hier wird insbesondere beschrieben, welche Leiden im Leben (Kleshas) einen befallen können. Und in mindestens einem Leiden erkennt man sich auch wieder – auch wenn man es vorher gar nicht wahrgenommen hat. Die Quelle allen Leidens ist nicht umsonst Avidya, die Unkenntnis. Die Karmas (Gesetz von Aktion und Reaktion) und die Samskaras (die Spuren in unserem Dasein) werden beschrieben und zu guter Letzt fängt das Herzstück des Yogas an: der achtgliedigre Pfad. Genauer wird in diesem Kapitel erstmal auf die ersten fünf Stufen eingegangen.
Vibhuti Pada. Vibuthi bedeutet Asche – das, was übrig bleibt. Es wird auf die letzten drei Stufen des achtgliedrigen Pfades eingegangen, diese aber auch zusammengefasst als Samyama benannt. Die letzten drei Glieder fließen im Idealfall aber auch ineinander über, sodass es nicht abwegig ist, diese zusammenzufassen: die Stufen der Mediation, die wahres Wissen bringen.
Der eine oder andere vermag Siddhis zu erreichen. Siddhis, auch Vibhutis genannt, sind Superkräfte: Telepathie, Fliegen, zum Riesen anwachsen und noch so manche mehr. Da es nie eine gute Idee ist, zu viel Ego anzuhäufen, ist es auch nicht gerade förderlich für ein bescheidenes Leben, wenn man Siddhis erlangt. Siddhis dürfen niemals zur Schau gestellt werden, egal wie sehr Du Deinen Kollegen damit imponieren willst, wie gut Du durchs Büro fliegen kannst.
Die Aneinanderreihung von Momenten, das was wir als Zeit verstehen, wird auch beschrieben. Insgesamt zählt aber das große Ganze – Zeit ist das Gegenteil von Yoga, weil Zeit separiert in Vergangenheit und Zukunft.
Kaivalya Pada, die Befreiung und Loslösung! Patanjali erklärt in diesem Kapitel, wie man die Siddhis erhält, wie das Karma eines Yogis aussieht, den Nährboden der Erleuchtung und im zweiten Teil von Kaivaly Pada die Reflektion von Purusha (der Urseele oder dem höchsten Bewußtsein). Hier wird also alles etwas abstrakter.
Erlerntes soll wieder losgelassen werden. Wie ineffektiv! Aber ist es etwas anderes als der Spiegel unseren Seins? Wir hätten ja auch gleich ungeboren und ohne Erfahrung in einer grauen Dunstwolke bleiben können. Jetzt sind wir auf der Welt und müssen da durch, Erfahrungen machen, uns Mühe zu geben und gute Energie erzeugen. So zumindest mein Versuch, den Sinn des Lebens zu verstehen.
Wer glaubt, diese Vorworte wären etwas zu langatmig – ich habe mich kurz gefasst, um endlich auf das Herzstück zu kommen: Der berühmte achtgliedrige Pfad, worauf sich unser ganzes Yoga bezieht, ist wie eine Geschichte in den Sutras eingebettet (sowie Ashtanga Namaskar im Sonnengruß). Und auch hier fängt Patanjali hierarisch mit dem Wichtigsten an. Um ein guter Yogi, oder überhaupt Mensch zu sein, solltest Du beim Umgang mit Deinen Mitlebewesen ein paar Regeln einhalten – schlussendlich fällt der Umgang so oder so auf Dich zurück und Du befolgst diese Regeln auch Dir zuliebe.
- Halte die Yamas ein!
Diese Yamas haben wiederum fünf Untermenüs:
– Ahimsa – das ist die Gewaltfreiheit gegenüber Menschen, Tieren und auch gegenüber uns selbst. Das fängt bereits mit den Gedanken an.
– Satya – die Wahrhaftigkeit. Spreche immer die Wahrheit und verletze dabei aber niemanden. Was für eine Kunst!
– Asteya – das Nichtstehlen. Und denke dabei nicht nur an materielle Sachen. Klaue nicht fremde Ideen, aber lass Dich inspirieren. Stiehl niemanden die Zeit durch Zuspätkommen. Interessiere Dich, aber achte auf die Energie-Ressourcen Deiner Mitmenschen.
– Brahmaricharyia, die Mäßigung. Wisse, wann es genug ist und verfange Dich nicht im Luxus, im Alkohol oder in anderen Süchten und zügle Deine sexuellen Energien, damit diese nicht in Gewalt ausarten oder missbraucht werden. Sex ist unsere größte Urkraft und schneller beherrscht sie uns als wir sie. Ohne gleich ganz verzichten zu müssen, können wir diese Energie auch subtiler wirken lassen.
– Aparighara, das Nichtanhaften und Nichtbegehren. Ein guter Anfang ist, sich von dem ein oder anderen Possesivpronomen wie mein, dein, sein, etc. zu verabschieden. Schließlich sind wir alle miteinander verbunden. Wenn etwas „mein“ wird, ist nicht auszuschließen, dass es zu wenig „dein“ beibt. Am Ende des Lebens haben wir uns für „mein“ so viel abgeschuftet, und uns dämmert, dass wir alle Eins sind – jetzt aber auch noch schlechtes Karma und schlechte Energie erzeugt haben. - Die Niymas welche Eigenschaften zu kultivieren sind, damit das Leben nicht allzu sehr zwickt. Und auch hier gibt es fünf Untermenüs:
– Sauca: die Reinheit, sowohl die des Körpers als auch des Geistes
– Samtosha: die Zufriedenheit. Zufriedenheit erreicht man, wenn man endlich aufhört, Vergleiche anzustellen.
– Tapas: das ist Disziplin, vielleicht auch Leidenschaft, eigentlich Erhitzung. Also iss nur soviel wie nötig, arbeite an Dir so viel und regelmäßig wie möglich.
– Svadhaya: das Selbststudium. Höre niemals auf zu reflektieren und zu erkennen – sowohl mit Hilfe des Studiums alter Schriften als auch durch Dein eigenes Tun und Sein.
– Ishvarapranidhana: einfach mal vertrauen. Schnell merkt man, dass das Wort „einfach“ nicht einfach ist. Vertrauen ist die Kunst, die Zügel abzugeben. Das passt nun gar nicht zu unserem westlichen Stil, wo alles optimiert wird und nichts dem Zufall überlassen werden darf. Versicherungen für alle erdenklichen Fälle werden abgeschlossen. Vertrauen grätscht da wie eine Glückslotterie rein. Und dann auch noch Gottesvertrauen. Für Gott steht im Yoga das Wort Ishvara – auch wenn es sonst vor Göttern nur so wimmelt (aber dazu ein anderes Mal). Ishvara ist formlos und jeder, der aus seiner Lebensform rausschaut, kann ihn sich gestalten, wie er möchte. Das kann vom abstrakten Begriff „Liebe“, über Natur, Allah, bis hin zum Rauschebart-Typen wirklich alles sein. Es ist jedoch immer eine gute Idee, sich nach etwas auszurichten – und alle Zellen folgen.Vielleicht ist jetzt schon aufgefallen, dass die Yamas und Niyamas mit den zehn Geboten des Christentums weitgehend deckungsgleich sind. Eigentlich beinhaltet jede Religion dieses Regelwerk. Überall rund um den Globus sind es die gleichen ethischen Grundsätze, die gelten – und einem einvernehmlichen Zusammenleben steht nichts mehr im Weg. Nur werden dem armen Gott manchmal doch Worte in den Mund gelegt, und Gottes Bodenpersonal bestimmt über seinen „Kopf“ hinweg. Macht und Gier wollen zu gerne Oberwasser gewinnen, deswegen ist die Kontrolle des Geistes so unumgänglich und hierbei steht jeder in der Verantwortung. - Erst an dritter Stelle zählt Patanjali die Asanas auf – das, was bei uns als Yoga interpretiert wird. Ein guter Mensch zu sein ist definitv wichtiger. Die Asanas sind der Umgang mit dem Körper. Und vielleicht brauchen wir genau diesen Körper, der uns Grenzen aufweist, als Transportmittel, um darin auch unsere Unbegrenztheit zu erleben. Eine täglich schweißtreibende Praxis reinigt uns zudem, heilt, erdet, beruhigt und überträgt sich auf den Geist.
- Das vierte Glied ist dann Pranayama: der Umgang mit dem Atem. Prana bedeutet außer Atem auch noch Lebensenergie oder gar die universelle Energie. Wenn wir diese aufnehmen und vielleicht sogar zu lenken vermögen, werden sämtliche Blockaden gesprengt. Es gibt verschiedenste Pranayama-Übungen mit erstaunlichen Ergebnissen. Der Atem ist die Brücke zwischen Körper und Geist, der Atem sagt Dir ganz genau die Wahrheit über Deinen aktuellen Zustand.
- Prathyara – das Zurückziehen der Sinne. Was der Herbst unter den Jahreszeiten ist, ist Prathyara für den Lebenszyklus. Sinne ausschalten und die Leere wie auch die Fülle zugleich spüren. Einkehr nach innen nehmen, sich zurückziehen, um neu erblühen zu können, und mit klaren Gedanken neue Wege gehen.
- Dharana – das ist die erste Stufe der Meditation. Noch konzentriert man sich auf einen Ablauf, den Atem, ein Mantra oder auf einen Gegenstand. Noch sind wir im Hier verwurzelt und wissen, dass wir uns von dem Gegenstand unterscheiden. Dharana ist die kurze, unterbrochene Form der Meditation, die einem tropfenden Wasserhahn entspricht. Sie eröffnet schon den ersten Ausblick, was danach kommt.
- Dhyana – ist die längere, durchgehend fließende Form der Mediation. Fließend hier wie Öl – ohne Unterbrechung. Wir fangen an, uns nicht mehr abzugrenzen. Das Bewusstsein erweitert sich.
- Samadhi – vielleicht erreichen diese Stufe nur sehr wenige und vielleicht auch nur für Bruchteile von Momenten. Frei von jedem Bedürfnis – die Erkenntnis, dass alles eins ist und kein Ego mehr existiert. Es ist Befreiung! Es Überbewusstsein! Es ist Selbstverwirklichung! Es ist die höchste zu erlangende Stufe. Jetzt sagt Patanjali, dass es auch noch unterschiedliche Formen von Samadhi gibt. Der Zustand von Samadhi wird laut Literatur auch nochmals unterteilt, vielleicht werde ich es eines Tages selbst erleben und dann darüber berichten können, dass danach noch Erinnerung übrig bleibt, ist jedoch fraglich. Patanjali sagt, dass selbst Samadhi nicht zur direkten Erleuchtung führt, aber mögliche Hindernisse entfernt.
Der achtgliedrige Pfad, gleichbedeutend mit Ashtanga Yoga, ist auch als Raja Yoga bekannt. Während Patanjalis Yoga-Sutren circa vom zweiten Jahrhundert vor Christus bis circa zum vierten Jahrhundert nach Christus entstanden sind, taucht der Begriff Raja Yoga vermutlich erst in der Hatha Yoga Pradipika auf – einem fortführenden Leitfaden, der dann etwas konkreter wird in der Ausführung von Asanas, Pranayama und Kriya-Techniken und erst im frühen Mittelalter, circa im 14. Jahrhundert, verfasst wurde.
Die Quellen für Yoga sind ganz schön alt – aber immer noch brandaktuell und damals wie heute einzusetzen!