Wie die Welt eine Verschnaufpause bekommt
Über den derzeitigen Ausnahmezustand kein Wort zu verlieren ist schlichtweg unmöglich. Quasi über Nacht wurden wir in eine für uns vorher unvorstellbare Situation geworfen. Mit vielem haben wir gerechnet – von der Überhitzung der Erde, Artensterben bis zu sich ausweitenden Kriegen. All dies trachtet uns nach dem Leben. Aber ein Virus? Das Neue an der Situation: wir sitzen alle im gleichen Boot, es gibt nicht mehr die Guten auf der einen Seite und die Bösen auf der anderen. Wir wurden gleichgemacht – dem Virus ist der Kommunismus gelungen. Das Gras des Nachbarn ist nicht grüner, und nur weil ein Keller mit mehr Ravioli-Dosen gefüllt ist als ein anderer, bedeutet das allenfalls einen minimalen Zeitvorsprung. Volle Keller nehmen Platz zum Tanzen weg. Von unserem gemeinsamen Boot aus können wir allesamt kein Ufer erkennen. Die Folgen des Corona-Virus sind noch nicht bis ins letzte Detail erforscht oder errechnet worden. Aber der Corona-Sturm wird wohl so heftig über uns hinwegfegen, dass er bestimmte Berufsgruppen, viele Selbständige, vor allem Kunstschaffende wegpustet. Dann müssen die Ravioli-Dosen eben gleichmäßig nett aufgeteilt werden. Wir wollen schließlich irgendwann mal wieder ins Museum, in unser Yogastudio oder ins Lieblings-Restaurant, um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Wie alles anfing? Natürlich mit einem Schulterzucken. Im fernen China hat sich ein Virus wieder mal so angepasst, dass er zu Husten und bei geschwächten Personen zu ein „bisschen“ Tod führen konnte. Die Rate war jedoch gering, immer noch gab es mehr Hungertote auf der Welt, über die nicht gesprochen wurde. Empathie, trotz weltweiter Vernetzung und Nachrichtenlage, gilt immer nur unseren Nächsten. Da sind wir in unseren Steinzeitschuhen einfach stecken geblieben. Je ähnlicher uns etwas ist, desto eher bekommt es die Chance, beschützt zu werden. Und kaum einer von uns versteht Mandarin oder Kuhisch. Es braucht schon einiges an Willenskraft, das Steinzeitkorsett abzulegen, sich zu entwickeln und sich nicht mit dem Satz zu begnügen, „so ist es halt“. Die Menschheit ist der Überlebenskünstler schlechthin, weil sie sich schnell an neue Umstände anpassen kann. Im Yoga ist es sogar die Hauptaufgabe, sich von unten nach oben zu arbeiten. Und wer den Knoten (zu den drei Haupt-Granthis, auch Knoten genannt, demnächst mal mehr) im Herzen durchbrochen hat, ist schon auf einem guten Weg.
Zwischenzeitlich wurden aus China Bilder über den Äther geschickt, die zeigten, wie sich die Menschen durch die Nacht von Fenster zu Fenster Mut zuriefen. Es glich Schreien der Verzweiflung. Und spätestens nachdem die Pharmaindustrie sich äußerte, dass die Grundstoffe fast aller Arzneien aus zwei Labortöpfen in China kommen, fingen wir in unseren Breitengraden doch an, uns vielleicht auch betroffen zu fühlen. Und das war erst der Anfang. Das Kopfkino fing zu rattern an: kommen nicht auch die Atemschutzmaske, das Handy und die Unterhose aus China?
Kurze Zeit später war Norditalien betroffen. Restaurant-italienisch sprechen wir fast alle, im schlimmsten Fall bekamen die Kellner halt Ohrenkrebs bei der Bestellung von „zwei Expressos“. Aber immerhin, man hatte sich bemüht. Italien ist uns so viel näher. Nicht nur Skigebiete wurden geschlossen, jetzt zog ganz Italien nach. Das Virus forderte immer mehr Tote – sogar unter Menschen außerhalb der vermeldeten Risikogruppen der Älteren und Vorerkrankten. Mediziner müssen entscheiden, wen sie weiterbehandeln und wen sie sterben lassen. Statistiken aus dem Nachbarland schenkt man auch mehr Glauben als aus Ländern, in denen Nachrichten gefiltert werden. Dann Ausgangssperren um uns herum, Ausnahmen nur noch für den Einkauf von Lebensmitteln und Medikamenten. Restaurants und Geschäfte machten dicht, Konzerte und Fußballspiele wurden abgesagt. Die Entwicklung ging rasanter als es Menschen, die auf Wirtschaftswachstum getrimmt waren, verarbeiten konnten. Und während Wissenschaftler erklärten, dass es darum ging, die Kurve des Krankheitsverlaufes flach zu halten, und dafür jeglicher Kontakt zu vermeiden ist, guckten wir immer noch blauäugig in die Röhre. Erzählen Wissenschaftler nicht schon lange, was man tun muss und dieses sofort, um nicht einen Wüstenplaneten an unsere nächste Generation zu hinterlassen? Handelten wir etwa danach? Warum ging das beim Corona-Virus diesmal so schnell? Die Prognose war verheerend: wenn auf die Infrastruktur der Großeltern für die Obhut der Kinder weiterhin zurückgegriffen wird, könnten diese Großeltern innerhalb kürzester Zeit um 20 Prozent dezimiert sein. Nicht alle, aber die meisten begriffen allmählich, dass es nicht um den eigenen Kragen ging, sondern darum, unsere Mitmenschen zu schützen. Damit jeder, der sie benötigen würde, medizinische Versorgung bekommen könnte.
Ich wurde letzte Woche ins Home-Office geschickt und dachte zu diesem Zeitpunkt noch, ob das nicht ein bisschen übertrieben sei. Schon lange wäre ich sehr gern ins Home-Office geschickt worden, zumindest für einen Tag in der Woche – mein An- und Abfahrtsweg zum Arbeitsplatz ist schließlich ganz schön weit und kostet täglich wertvolle Zeit. Aber nun war ich gar nicht darauf vorbereitet. Wie sollte das nur funktionieren? Doch aktuell müssen wir alle schneller sein als wir es uns vorstellen können. Zwischen Entwicklung und Phantasie bleibt der Zustand von Angst. Angst, die ansteckender sein kann als jedes Virus. Angst wird selten von allen Seiten betrachtet und fliegt immer nur die Oberfläche an – dort lassen wir sie sitzen. Angstumnachtet schwirren wir aus und kopflos fangen wir an, wie Heuschreckenschwärme die Supermärkte zu überfallen, wider jede Vernunft. Man muss kein Yogi sein, um die Regel bei Panikanflug zu lernen: Stoppen, Atmen, Nachdenken, Handeln. Dafür hat mein Tauchkurs vor mehr als zwanzig Jahren ausgereicht und mir auch definitiv schon das Leben gerettet. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Angst verhindert nicht den Tod, hindert uns aber daran, das Leben in seiner Fülle an uns heran zu lassen. Wir trauen uns aber nicht, sie näher zu betrachten und ein bisschen tiefer sinken zu lassen. Wenn wir die Angst nicht als Freund bei uns aufnehmen, richtet sie nur Schaden an. Natürlich soll sie uns im ersten Moment dazu verhelfen, unsere Beine in die Hand zu nehmen und vor dem Säbelzahntiger zu fliehen. Dauert die Angst aber länger an und lässt sich nicht abschütteln, müssen wir sie in uns aufnehmen. Dabei finden wir meist Erstaunliches heraus: all die Gedanken, die Zweifel, wer wir sind, das Gerede, dass wir uns doch auf den Weg zu uns machen sollten und wir gar nicht wissen wie wir das bewerkstelligen sollen. Dann kann gerade die Angst der Ferrari sein, der uns am schnellsten zu unserem Selbst bringt, zumindest müssen wir uns mit uns auseinandersetzen.
Aber auch ich saß an meinem ersten Tag im Home-Office, blickte auf meine Pflanztöpfe und überlegte, wie dringend ich wohl Kartoffeln und Erdbeeren anpflanzen müsste, um besser für die Selbstversorgung gerüstet zu sein. Wie ein Film wurde mir jedes Lebensmittel, was ich in der Vergangenheit verkommen ließ und wegwarf, nochmals vor Augen geführt. Sämtliche Dienstreisen mussten jetzt noch abgesagt werden. Ach, eine Telefonkonferenz würde ausnahmsweise ausreichen? Verlangte die Welt nicht schon viel früher nach diesen Lösungen?
Und da war der Moment, der alles in mir umkehrte. Zwar wollte mein Hirn unbedingt sich noch in allen Farben ausmalen, was noch alles in Zukunft passieren würde und alle Konsequenzen vorhersehen. Aber von meinen Schultern fiel eine Schwere ab ohne dass ich je merkte, sie gehabt zu haben. Pause! Entschleunigung! Zeit! Hallo Leben!
Viele Interessengemeinschaften haben sich eingesetzt, die Welt ein Stückchen besser zu machen: Aufhören, Tiere wie Produkte am Fließband zu quälen. Massentierhaltung untersagen, um das Klima zu retten. Weniger Autos in der Stadt, weniger bis keine Flugreisen. Bessere Honorierung und gesellschaftliche Stellung für Kranken- und Pflegeberufe. Empathie für Menschen, deren Leben sich durch Krieg sekundenschnell verändert hat. Zusammenhalt in der Politik, und sich nicht immer nur gegenseitig das Schlechte unter die Nase reiben. Mitmenschliche Fürsorge, Nachbarschaftshilfe, Schutz der Schwächsten! Dass Wirtschaftswachstum anderen Werten weichen muss. Diese und bestimmt noch viele weitere Einsichten finden sich auf einmal vereint und umgesetzt. Nicht mal mit einer Übergangsphase, während noch für Jahrzehnte der Kohleabbau subventioniert wird.
Die Veränderung ist jetzt da! Sie kam ohne Kampf und ohne großes Zutun der Menschen. Vielleicht ist es genau das, was uns Angst macht – dass wir nicht auf alles Einfluss haben und vom Spiel des Lebens wie ein Blatt im Wind bewegt werden. Im Kleinen werden wir bereits belohnt: In China verzieht sich der Smog und offenbart blauen Himmel, die Wasserkanäle in Venedig sind schon wieder bis auf den Grund sauber, Delfine kommen bis an den Hafen geschwommen, die Natur traut sich immer näher heran, um uns die Hand zu reichen. Vielleicht wird uns verziehen, dass wir diese Hand immer weggeschlagen haben. Alle Interessengemeinschaften scheinen im Moment zusammengeführt worden zu sein.
Der Job eines Virus ist zu überleben und sich dafür immer wieder zu verändern. Das Corona-Virus gab es schon seit Urgedenken und brachte bereits eine Vielfalt an Krankheiten und Seuchen hervor. Die meisten Epidemien, und wie in diesem Fall Pandemien, nahmen ihren Beginn auf Tiermärkten, in Ställen oder Tierfabriken. Wir ernährten uns schon längst nicht mehr zum Selbsterhalt, sondern „produzierten“ im Überfluss weiter aus Gier. Das Geld floss, und andere fühlende Wesen hatten dafür Torturen zu erleiden. Die Hölle auf Erden. Ob nun in anderen Ländern Haustiere und exotische Tiere oftmals bei lebendigem Leib gehäutet oder in kochendes Wasser getaucht werden oder ob bei uns massenhaft das Leid hinter dicken Mauern versteckt wird – wer der herzlosere Schurke ist, ist nicht auszumachen. Früher blickten wir, meist unter Tränen, dem Tier in die Augen und beteten, dass uns das Töten des Hungers wegen verziehen wird. Bei jedem heute von uns gequälten Tier nehmen wir uns nicht mal mehr die Zeit, ein Danke zu sagen. Die Qualen, zu viel Gefühlsinvestition würde uns die Herzen brechen. Aber die Natur verlangt nach einer Balance. Und wenn wir keine anderen Zeichen erkennen wollen, muss es nun mal etwas lauter werden. Bei so vielen Veränderungen, die gerade Einzug halten, fällt eine Ernährungsumstellung auch nicht mehr schwer.
Die Hoffnung des kleinen Elefanten ist es, dass die guten Veränderungen beibehalten werden.
Und da Not immer erfinderisch macht, bin ich total stolz auf so unendlich viele Yogastudios aus meinem Umkreis, die nun alle möglichen Arten von Online-Kursen anbieten.
Bitte macht alle mit und unterstützt Eure Yogastudios und Freiberufler: macht bei ihren Online-Kursen mit, lasst Euch Eure gebuchten Workshops nicht ganz zurückzahlen. Vielleicht könnt Ihr anbieten, Monatskarten und Abos nicht um die kritische Zeit verlängern zu lassen. Oder wenn Ihr selbst als Yogalehrer unterrichtet habt, mal eine Stunde unter den Tisch fallen lassen, wenn Euch noch ein anderer Job ernährt.
In der Gemeinschaft Yoga zu praktizieren ist definitiv schöner und persönlich muss der kleine Elefant feststellen, dass er noch viel an seiner Selbstdisziplin arbeiten muss. Dennoch sind die vielen neuen Online-Angebote auch eine Chance, neue Studios und Lehrer in Stuttgart kennenzulernen.
Ausprobiert hat der kleine Elefant neulich schon eine Reihe von Yoga Vidya. Die Sonnengrüße bei der Studioleiterin, Corinne Hebeler bzw. Anandaprema, sind die Schönsten der Welt – jede Position ist mit einem Mantra unterlegt. Überhaupt, es gibt in keinem Asana Eile oder Hektik, und Ihr könnt wunderbar entspannen mit Annadapremas Stimme genießen. Das Ganze ist kostenfrei, meldet Euch einfach bei der Facebook-Gruppe an: Yoga in der Zeit von Corona.
Die besten Ausrichtungsanleitungen online bekommt Ihr von Änna, der Studioleiterin vom Yoginzky – und zwar ebenfalls kostenfrei auf Youtube.
Auf Spendenbasis in beliebiger Höhe könnt Ihr bei Susi Esposito mitmachen. Die ganze Familie lebt freiberuflich von Yoga. Meldet Euch bei Ihr am besten per E-Mail, denn je nach Teilnehmerzahl entscheidet sich Susi noch für das geeignete Übertragungsmedium. Sie bietet dann Vinyasa und therapeutisches Yoga an und nimmt gerne Wünsche, Wunschtage und Wunschuhrzeiten an. Susi wird so gut es geht zwischen Mehrheitswunsch und Kinderbetreuung balancieren.
Weitere Online-Angebote gibt es zu kleinen Preisen (bitte seid großzügig) von fast allen Yogastudios – vielleicht bekommt der kleine Elefant die nächsten Tage eine Übersicht zusammen und kann eine Online- Plan veröffentlichen.
Wenn Ihr aber die Kontaktdaten Eurer Lieblings-Yogalehrer habt: diese freuen sich garantiert wie ein Tofuschnitzel, wenn sie Euch beiseite stehen dürfen. Ihr könnt mal schamlos, ohne eine Gruppe um Euch herum zu haben, alle Fragen loswerden, die Ihr schon immer hattet. Am besten vereinbart Ihr einen Preis vorab, damit es weder Erwartungen noch Enttäuschungen in die falsche Richtung gibt.
Aber auch, wenn sich viele Schüler den Kopf zermartern, wie sie ihre Yogalehrer und Studios ein bisschen unterstützen können, gibt es auch den umgekehrten Fall: Dass der Yogalehrer den Schüler retten möchte. Schließlich gibt es auch unter den Schülern solche mit jetzt null komma null Einkommen, die aber noch Monatsbeiträge an die Studio zahlen müssen, aber dafür keine Gegenleistung mehr bekommen. Vor allem ihnen will Yogalehrer united, genannt „0711 Yoga Collective“ helfen. Auf die Idee kam Maja, die Studioleiterin des Yoga Studio Fox mit noch weiteren Yogalehrern und Studiobesitzern. Es handelt sich bei „0711 Yoga Collective“ um einen kostenlosen Youtube-Kanal mit Yoga-Sessions sämtlicher Stile. Ende der Woche könnte Ihr hier schon erste Videos sehen!
Kathi von Yogabubble hat dafür dieses wunderschöne Logo erstellt – alles, was normalerweise Monate an Vorbereitung dauert, geht jetzt rasend schnell. Not macht erfinderisch! Ein Instagram-Kanal existiert auch schon.
Die Idee ist taufrisch, deswegen konnten noch nicht alle Yogalehrer und Studios gefragt werden, ob sie mitmachen wollen, aber die Plattform ist da – und wie schön, dass es diesen gemeinsamen Zusammenhalt gibt und nicht jeder nur sein eigenes Süppchen kocht. Also schaut bitte vorbei!
Das Virus könnte eine riesengroße Chance bergen. Alle Sorgen bringen uns momentan nicht weiter. Spielen wir das Spiel des Lebens für den Moment, was vielleicht Pause heißt. Dieses Spiel nennt sich auf Sanskrit so wunderschön „lila“. Mögen wir uns in Vertrauen üben.
Das Schluss-Asana einer jeden Yogastunde ist Savasana. Es wird oft als Schlussentspannung anmoderiert, in Wahrheit ist es jedoch das schwierigste Asana überhaupt: die Stellung des toten Mannes, in moderner Sprache des Menschen. Gelernt werden muss, ein bisschen zu sterben und loszulassen. Das anzunehmen, auf das wir keinen Einfluss haben. Der Gedanke an Tod und Sterben muss keineswegs destruktiv sein. Er bringt uns dem Leben wieder näher.
Ansonsten: Jeder hat doch mindestens noch 30 ungelesene Bücher im Regal! Und mit dem Wissen, dass es Leben rettet, macht das Zuhausebleiben doch auch ein bisschen Sinn und Spaß!