Karma
Heute schon Karma-Punkte gesammelt?
Karma wird wie eine Währung gehandelt. Und Karma hat es auch weit über die Yogaszene hinaus zur Berühmtheit gebracht und wird entsprechend inflationär zitiert. Karma, das Gesetz von Ursache und Wirkung. Die Wohnungsspinne wird (zum Glück) schon lange nicht mehr aufgesaugt, man setzt sie behutsam in einem Glas Richtung Frischluft aus. Die Motivation dahinter ist, das Karma-Konto aufzufüllen und sich am gleichen Tag noch über einen Lottogewinn, Schönheit und Bewunderung freuen zu dürfen.
Oder vor kurzem, als der – ich sag schon mal ehemalige – Präsident der USA auf Covid 19 positiv getestet wurde: zu oft habe ich in den sozialen Medien gelesen, dass das gerecht sei und Karma sich den Richtigen ausgesucht habe. Daraufhin stand er natürlich auf und trieb weiter sein Unwesen.
Zellen, die sich verändern und zum Krebs heranwachsen, befallen generell Menschen, die es nicht verdient haben.
Da kann man ganz schön sauer werden auf Karma und auf den lieben Gott. Gäbe es eines von beiden oder beide, müsste es doch gerechter zugehen! Aber keiner da oben hält mal wieder das Gesetz ein. Eine gute Tat pro Tag stimmt doch den lieben Gott milde – oder füllt eben das Karma-Konto auf.
Vielleicht teilt aber das Leben, der liebe Gott und das Karma gar nicht in gut und schlecht ein? Launisch gibt es zurück wie einen Boomerang – und es trifft jemand anderen, die Nachfahren oder einen anderen Ort. Kein Wunder, dass der Lottogewinn, die Schönheit und die Bewunderung nicht eintreten oder lange auf sich warten lassen.
Vielleicht ist es auch einfach so ganz selbstverständlich, Wohnungsspinne und Co. in Bewunderung der unendlich vielen Geschöpfe in ihrer Vielfalt zu ehren und zu retten. Schließlich haben wir unser Heim auf dem Grund der Spinne gebaut, und wenn die Spinne schon unsere Nähe sucht, sollten wir uns doch geehrt fühlen. Wir haben also eher das Gebot von Ahimsa, der Gewaltfreiheit, eingehalten, als fleißig Karmapunkte eingesammelt.
Ich tue etwas und bekomme zurück. Tue ich etwas Gutes, muss Gutes zurückkommen. Mache ich etwas Schlechtes, kommt auch das zurück. Ich zahle auf ein Konto ein und bekomme zurück – natürlich nur mit Zinsen, sonst lohnt sich mein Aufwand ja nicht. Aber Karma ist eben doch das echte Leben: Wer ein Konto anlegt, darauf ein wenig Geld einzahlt, aber dann keine Umsätze mehr hat, und das Konto erst mal vergisst, wird sich nach wenigen Monaten wundern. Denn dann haben die Kontoführungsgebühren die Einlage aufgefressen, und man muss der Bank dankbar sein, wenn sie das Konto löscht, bevor es einen in den Ruin treibt. Genau so passiert in meinem näheren Umfeld!
Die Erfindung „Geld” könnte die Wurzel vielen Übels sein. Wegen bedrucktem Papier, von dem man mehr oder weniger hat, entscheidet sich, ob man ein sorgenvolles oder sorgloses Leben führt. Der Zweck von Geld ist es zu tauschen, Geld wird eingetauscht in Dinge und Leistungen, die Freude machen. Schon lange hat Geld ein Eigenleben – und noch viel mehr abgeleitete Formen davon wie Aktien, Derivate, Spekulationen. Sie alle sind nichts anderes als Wetten! Das muss man sich mal vorstellen: Es wird gewettet, wie Ernteerträge ausfallen werden, und nur die Wette an sich entscheidet dann darüber, ob ein Kontinent Hunger leidet oder nicht! Das hat mit Wahrheiten nichts zu tun – aber Energie wird dahin fließen und der Erfüllung der Wette auf die Sprünge geholfen. Auf der anderen Seite muss man nicht weit gehen, um zu sehen, dass sich Selbstverständliches nicht mehr geleistet werden kann: Essen für die Kinder, ein Dach über dem Kopf, eine Dusche. Und das wegen Zahlen, die auf Papier gedruckt sind und so eine aggressive Dynamik entfachen! Ein kleiner Ausflug in meine Gedankenwelt – und ein Hinweis darauf, dass ich mein Geld lieber sofort eintausche in Freude. Diese Freude ist allerdings immer weniger materiell. Im Moment sind es Online-Yogastunden. Die sind für mich teuer als je zuvor, pro Tag gebe ich acht bis zwanzig Euro aus, um möglichst viele zu unterstützen. Aber anders als auf dem Sparbuch bekomme ich so viel mehr zurück! Meist bekomme ich glücklich machende und wertvolle Worte des Lehrers mit, und diese erfüllen mich oder erweitern meinen Horizont. Dieses Karma-Gesetz funktioniert ganz gut, und es geht mir auch leicht von der Hand. Aber nicht immer ist es so, manchmal dann auch wie bei dem Konto: Manchmal muss man viel einzahlen, um überhaupt auf Null zu kommen.
Dass wir uns trotz aller Rückschläge um unser Karma kümmern, ist ja aber auch nicht das verwerflichste Motiv. In Karma steckt wie bei Kriya, die Silbe „kr” drin, die „machen, tun, handeln” bedeutet. Es gibt vier Yogawege, und übrigens nur einer davon – der des Raja Yoga oder auch Ashtanga Yogas – beinhaltet unter vielem anderen auch ein bisschen Asanapraxis, was sich bei uns als allgemeines Verständnis von Yoga durchgesetzt hat. Ein weiterer Weg ist Karma Yoga, Yoga der Handlung. Die Herausforderung ist jedoch, beim Handeln keine Erwartungshandlung zu haben. Würde ich mich jetzt als edler Spender sehen, der den Yogalehrer vor dem Hungertod rettet, wäre ich kein guter Karma-Yogi. Einfach geben, ohne etwas bekommen zu wollen! Keine Früchte der guten Tat ernten wollen! Genau das dürfte das Geheimnis des Lebens sein. Denn schon durch das bloße Tun werden wir doch belohnt, und das kann pure Freude bereiten. Mutter Teresa ist wohl der typischste Karma-Yogi, der einem einfällt. Ob nicht auch sie sich insgeheim ein Danke oder Lächeln gewünscht hätte, bleibt wohl dann dem Menschsein geschuldet. Aber geben ohne zu erwarten, lässt sich als Ziel kultivieren.
Handeln mit guten Absichten ist pure Energie. Schade, dass Energie nicht auf Anhieb sichtbar wird, bis jetzt bleibt es bei Wärme, Klang und Licht. Energie geht nie verloren. Aber das Universum mit seinen fernen Galaxien ist nun mal unendlich. In unseren Vorstellungen hört es ja gerne auf mit, „ja und was kommt nach unendlich?” Das Nichts? Was ist das Nichts? Ein grauer Nebelschleier? Und das Nichts ist dann auch wieder unendlich? Nein, da hilft kein Geld – wir sind begrenzt und bekommen maximal für Bruchteile von Sekunden eine Ahnung von der Unbegrenztheit, wenn wir uns zeitlos in unserem Tun verlieren und die Gedanken zur Ruhe gebracht haben. Sind unsere Gedanken aktiv, können sie so erschlossen werden, dass sie sowohl zur physischen als auch zur psychischen Heilung beitragen. Gedanken sind ebenfalls Energien und Handlungen, auch über unseren begrenzten Körper hinaus.
Die Regel fürs erfüllte Leben ist also ganz einfach: Handle als ob Du Deinen Nächsten liebst wie Dich selbst (oder lieben solltest – das wissen wir ja mittlerweile, dass wir besser dienen können, wenn wir uns selbst ganz gut ausstehen können). Beim Karma kommt eben auch nicht alles zurück auf unser Ich und unser jetziges Leben. Aber je mehr Menschen besser handeln, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass uns die Segensdusche treffen könnte. Betrachten wir Karma aber in dem Sinne, dass wir alle miteinander verwoben sind und die Weltseele, die Natur, die Schöpfung, das Bewusstsein allem zugrunde liegt, trifft uns Karma auf jeden Fall. Wir sollten Karma nicht an das jetzige Leben binden, sondern auch an das der zukünftigen Generationen. Wir sollten uns nicht schicksalergeben zuraunen, dass im Vorleben wohl etwas schief gegangen ist, sondern das jetzige Leben nutzen, um einfach etwas besser zu machen. Und wenn wir nicht an Reinkarnation glauben – Karma und Reinkarnation gehören zusammen wie Deckel auf Topf – dann kann man es immer noch für seine jetzigen Mitlebewesen nutzen. In einem Universum gefüllt mit guten Vibes lässt es sich besser reisen. Und gehe immer davon aus, dass schlechte Vibes nicht genug Schwungkraft haben und tatsächlich allein ihren Ausgangspunkt wieder treffen. Das Gift, das Du anderen verabreichst, musst zum Schluss Du selbst trinken. Vielleicht ist es auch nicht der ausreichende Schwung, der Schlechtes wieder auf Dich zurück rieseln lässt. Vielleicht strebt auch das Universum den Zustand des Guten an, indem es Schlechtes so schnell wie möglich wieder los wird oder eine Möglichkeit zur Nachbesserung gibt.
Zufälligerweise passt die Yogalehre, und wie sie Karma erklärt, ganz gut mit einigen meiner Hirngespinste zusammen.
Es wird in 3 Arten vom Karma (Gesamtsumme unserer Handlungen) unterteilt:
1. Sanchitta Karma – das ist der gesamte Speicher allen Karmas
2. Prarabdha Karma – das was tatsächlich auf unser jetziges Leben entfällt
3. Agami Karma – das zukünftige Karma, das aus dem Jetzigen resultiert
und darüber hinaus gibt es auch Karmagesetze:
1. das direkte Karmagesetz. Es beinhaltet
– alle physikalischen Gesetze – ein gutes Bespiel bei Parshvakonasana „drück den hinteren Fuß noch mehr in die Matte, dann kannst Du Deine Flanke noch mehr aufdrehen”.
– auch die Grundsätze der menschlichen Kommunikation. Hier rieselt es wohl nur so an Beispielen aus dem Alltag.
– das alltägliche Leben mit der Reaktion auf die Aktion
2. das Gesetz der Gedankenkraft. Das ist das ganz simpel: ich fühle mich nicht gut genug, dann bin ich auch nicht gut genug. Übrigens: diese Nicht-gut-genug-Gedanken sind ja immer sehr schnell durch die Hintertür geflitzt. Wir tun gut, wenn wir sie erkennen und egal durch welche Türe wieder rauslassen. Wenn sie partout bleiben wollen, müssen wir sie transformieren und nette Gäste aus ihnen machen. Die investierte Energie lohnt sich. Außer dem Menschen muss das kein anderes Lebewesen machen. Das ist unser Schicksal, aber wie gesagt: wir haben es in der Hand!
3. Das Gesetz der Kompensation
Religionsübergreifend und ethisch überall anzufinden: Was Du nicht willst, was man Dir tut, das füg auch keinem anderen zu. Es gibt so viele unheilvolle Verkettungen, wie zum Beispiel: Wem nehme ich eine Ressource weg, wenn ich morgens aufstehe und den Lichtschalter betätige? Aber deswegen müssen wir nicht verzweifeln und uns aus dem Fenster werfen. Es reicht einfach, immer besser zu werden und sich um die Dinge zu kümmern, über die wir aufgeklärt sind und die wir ändern können. „Peace starts on your plate” könnte so ein Beispiel sein. Und die Hoffnung ist ja auch nicht umsonst erfunden worden.
4. Das Gesetz der Evolution – jede Handlung beeinflusst unseren Charakter und hinterlässt Spuren. Bedeutet auch: zurechtzukommen mit dem was ist, und es als Aufgabe des Lebens anzunehmen. Das ist sicher ein zweischneidiges Schwert. So ergeben sich die Inder ihrer Kaste ohne Rebellion. Wichtig ist zu unterscheiden, wann setze ich zu viel Energie ein für die Dinge, die dafür bestimmt sind, dass ich sie annehme? Und wie viel Energie setze ich ein, um etwas zum Guten hin zu verändern? Oder wie sähe die Welt aus, wenn Frauen und Männer gleich behandelt werden würden, nicht unter Hautfarben unterschieden würde, oder erkannt werden würde, dass Tiere Lebewesen sind, die Schmerzen und Gefühle haben? Veränderung ist die einzige Konstante im Leben.
5. Die Gnade Gottes – was hilfts? Hier hast Du nichts mehr zu melden und musst Dich in Gottes Namen darauf einlassen! Genieße es einfach!
Karma und Reinkarnation gehören philosophisch zusammen: Was die Abläufe der verschiedenen Leben bestimmt, ist das Karma. Und Karma kann sich nur über verschiedene Leben entfalten. Karma gibt uns die Chance, Dinge umzudrehen. Ein Yogi strebt übrigens an, ohne Karma zu sein – dann ist auch das Rad der Wiedergeburten durchbrochen und endlich is a Ruah!
Das ist ja dann auch so ein persönlicher Albtraum von mir, stell Dir vor Du bist tot und merkst es nicht. Keiner hat Dir Bescheid gesagt, und Du gehst immer noch mit Deinem Aktenköfferchen morgens zur Arbeit, und das Telefon klingelt in einem fort.
Ich denke, ein bisschen Ruhe haben wir uns verdient – auch wenn wir die Unruhe selbst erschaffen haben.
Bis dahin mach Dich karmafrei, indem Du eben eine gute Tat nach der nächsten tust. Erwarte nichts, und mit dieser Aufgabe wirst Du ziemlich beschäftigt sein.
Keinesfalls aber funktioniert Karma so, dass Du Dich zurücklehnst und zuschauen kannst, wie Ungerechtigkeiten automatisch bestraft werden. Bei Karma geht es nur um Deine guten Taten.