Aller Anfang ist schwer oder: Ab wann ist Yoga Yoga?
Noch nie war das Zitat von Konfuzius „der Weg ist das Ziel“ so treffend wie für Yoga.
Wie ich dazu kam? Als ich noch Verwalterin eines Gebäudes in Stuttgart war, stand eines Tages eine Yoga-Lehrerin vor mir, die gerne einen Raum anmieten wollte, um Yoga in kleinen Gruppen zu unterrichten. Versuchte ich bis dato eine Vorbeuge, reichten meine Hände doch tatsächlich bis zu den Knien und so dachte ich mir, „Machste mit. Schaden kann es nicht. Bei den kurzen Wege im eigenen Bürogebäude gibt es jetzt keine Entschuldigung mehr“. Es hat mir überhaupt keinen Spaß gemacht! Nach der Stunde war die Erleichterung immer groß, dass ich überlebt habe, nur in Shavasana (der Totenstellung) konnte ich glänzen. Aber nach jeder durchkämpften Yogastunde habe ich mich schon mindestens einen Zentimeter größer gefühlt (bei 157 cm Körpergröße kommt es darauf an ;-)). Ein ersichtlicher Fortschritt war jedoch nicht in Sicht. Immer noch konnte ich die Vorbeuge nicht, und vom Spagat habe ich nur geträumt. Wo im meinem Kopfkino doch der perfekte Roundhousekick von Jean Claude van Damme stattfand oder ich die Hauptdarstellerin in Flash Dance sein konnte. Meine äußere Form blieb allerdings „Kartoffel“. Hatte ich Kopfweh, kam mir das als Ausrede so was von gelegen, die Yogastunde nicht zu besuchen. Dieser Kampf konnte kein Yoga sein!
Was jedoch Yoga war, und mich trotzdem zu den Stunden getrieben hat, war meine Lehrerin. Die Herzenswärme, die sie ausgestrahlt hat und mich magnetisch in die Stunden reingezogen hat, ihre Nähe zu spüren, das ist aus meiner Sicht heute viel mehr Yoga als in einen Kurs einmal pro Woche zu gehen und Asanas zu machen. Sie war mein Türöffner für meinen Weg und dafür bin ihr unendlich dankbar. Yoga ist kein Sport. Es entzündet irgendwo in irgendeiner Zelle des Körpers eine Flamme und steckt langsam ganze Zellregionen an, bis der Körper und dann irgendwann auch der Geist angesteckt ist und alles zu glühen und zu funkeln beginnt. Ein Feuer ist entzündet! Von Anfang an ist Geduld gefragt, und manche Talsenke erstreckt sich auf dem Weg unendlich lang. Stoisches Weitermachen hilft, und auch die Aufgabe der Frage, ob man jemals begabt dafür erscheint. Nur einen klitzekleinen Motivationsmotor muss jeder finden. Bei mir war es wie gesagt die Bindung zu meiner Lehrerin.
Nachdem meine Lehrerin an einen anderen Ort in ein anderes Land gezogen ist, habe ich gut zwei Jahre pausiert und hatte dann selbst einen anderen Job. Rauchen hatte ich mittlerweile aufgegeben, eine Beziehung mit meinem Bauch allerdings nicht mehr. Die Lackfarbe meiner Fußnägel durfte ich raten beim Heruntergucken. Etwas musste wieder passieren. Und in meinem Kopf geisterte der Satz „Yoga hat nicht den Sinn von Abnehmen“, aber der Gedanke an Sport ließ mich nicht gerade von der Couch hüpfen. Jetzt hatte ich doch bereits Yoga angefangen, die Mühe meiner Yogalehrerin sollte nicht „für die Katz“ gewesen sein, und vielleicht war es doch ein Weg, wieder Bauchgefühl zu erlangen? In einem Stuttgarter Yogastudio schaute ich vorbei und hatte mir bereits einen festen Yoga-Tag ausgesucht. Also wieder einmal pro Woche, schließlich will man sich ja nicht übernehmen und seine Kräfte einteilen. Das neue Studio, sehr praktisch zwischen Arbeitsplatz und Zuhause gelegen, war groß, schick, puristisch, ganz nach meinen Geschmack, und mit einer Vielzahl an Stunden und Lehrern bestückt. Ganz anders als mein damaliges „Yoga-Wohnzimmer“. Und genau deswegen musste ich auch Unbehagen überwinden, die Yogalehrer erfüllten optisch alle Klischees schöner Menschen, und bei all dieser Pracht erwartete ich auch kein gutes Herz vorzufinden – dafür Anonymität. Ich sollte mich so getäuscht haben!
Jedes Mal war es Zufall, wenn ich über mein Soll, also „Yoga bitte nur einmal pro Woche“, noch eine Stunde mehr genommen hatte. Mehr als sterben konnte ich ja nicht. Bei manchen Ausprobieren hat mir der eine oder andere Yogalehrer oder dessen Yogastil nicht gepasst, und manchmal wie durch ein Fingerschnippen beim zweiten Versuch dann doch. Wie bei allem im Leben: je niedriger die Erwartungshaltung, desto besser das Erlebnis! Die Hemmschwelle schlechthin war jedoch: jede Stunde musste ich dagegen ankämpfen, den Eindruck nicht loszuwerden, dass Yoga eine Plattform für ausgediente Ballerinas und Tänzer ist. Das bekommt man alles aus einem Seitenblickwinkel mit, trotz Ansage des Yogalehrers (unzählige viele von ihnen haben auch einen tänzerischen Hintergrund und die Basis ist von Kindesbeinen an gelegt, sich gummiartig bewegen zu können), nicht nach links und rechts zu schauen. Da hilft nix. Meist schlingen sich endlos lange Beine vom Matten-Nachbarn wild um die dazugehörigen Köpfe herum, die Vorbeugen sind bei manchen so tief, dass man diesen Schlangenmenschen noch ein Loch vor den Füßen in die Tiefe buddeln müsste, damit sie überhaupt Befriedigung finden. Und dann ich, Kati-Kartoffel, mittendrin! In meiner Kindheit habe ich es immerhin bis zum Purzelbaum geschafft, und das war es. Ich speie in jeder Vorbeuge bis heute noch Feuer – ob das die erweckte Kundalini (Energie und Kraft, die von unten im Körper sich langsam wie eine Schlange aufrichtet) bei mir ist? In meinem Fall besitzt die dann allerdings einen Drachenkopf und hat noch nicht den richtigen Ausgang gefunden ;-). Aber: über dieses Gefühl freue ich mich heute. Während die Ballerina-Menschen viel weniger Widerstände vorfinden, darf bei mir ein Knoten nach dem nächsten platzen. Der unbedingte Wille, neidische Blicke in Richtung Nachbarmatte – sie kommen heute viel seltener vor als zu Beginn. Ich bin mein mein eigenes Zuhause und darf darin aufräumen und dekorieren und wegwerfen wie es mir passt. Vergleiche und Wettbewerb sind uns nicht nur im Sportunterricht beigebracht worden. Dies alles abzuschütteln und das feste formatierte Zellgedächtnis aufzuweichen, ist mitunter die Aufgabe des Yogas. Jeder hat einen anderen Zeitpunkt, und es wird auch nie ein „ich habe fertig“ im Yoga geben. Ein Horizont folgt dem nächsten. Auch verbindet sich nicht immer Geist und Körper gleichzeitig, einer prescht mal nach vorne, dann hinkt der andere wieder. Der Moment beide im Gleichschritt zu haben, ist pures Glück. Ich bekomme eine Ahnung davon!
Jeder Atemzug, der bewusst passiert, ist mehr Yoga als perfekt ein Asana (eine Körperstellung) darzustellen.
Ach ja, und alles fällt an seinen Platz mit der Zeit, die meisten Rookies möchten ja mit Yoga beginnen und äußern den Wunsch „bitte ohne das esoterische Gedöns“. Schon ein „OM“ zu chanten, wird Richtung Sekten-Ritual geschoben. So auch bei mir … anfangs. Zitat eines meiner Yogalehrer: „Yoga ohne Philosophie ist wie Schwimmen ohne Wasser“. Ich bekomme mittlerweile „den Hals nicht voll“, alle Aspekte im Yoga zu erfahren, nicht nur Asanas. Die Dimensionen des Yogas sind unendlich und eigentlich beginne ich jeden Tag neu mit der Entscheidung, in welche Richtung ich heute das Universum begehe.
Achso, als nettes Beiwerk und ohne es beabsichtigt zu haben, den Nagellack an den Fußzehen kann ich mittlerweile wieder sehen :-)!
Also macht Euch alle an Yoga ran: jung, alt, dick, dünn! Ihr seid alle einzigartig und wunderbar! Schüttelt das Schönheitsideal ab, das Euch die Medien einimpfen. Vernachlässigt Euch nicht – Eurer Glück und Leuchten reflektiert und steckt an! An manchen Tagen und aus machen Perspektiven ist man so unwichtig wie ein Sandkorn. Aber dieses ist nun mal da, und warum soll es nicht glitzern?
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