Der Geduldsfaden ist der zäheste Muskel. Oder: Wo ein Wille ist, ist nicht immer ein Weg
Dass Yoga kein Sport ist, keine Leibesertüchtigung oder gar esoterische Gymnastik, hatte ich ja bereits erwähnt. Das Ziel im ursprünglichen Yoga ist es, Erleuchtung (Samadhi) zu erlangen. Und da nun mal die Energie von unten nach oben steigt, ich aber unter einer Skoliose in der Wirbelsäule leide, kommt an dieser Stelle so manches zum Stocken und der geradlinige Pfad zur Erleuchtung scheint mir verwehrt zu sein. Man könnte es wie ein Flippergerät beschreiben – die Murmel kommt immer wieder zurück. Aber eines Tages werde ich auch bei mir Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel finden, und ich werde mich dabei sogar rechts und links umgeschaut haben ;-).
Der Körper ist unser Werkzeug, mit dem wir uns diesem Ziel annähern können. Und dafür braucht man verdammt nochmal Muskeln – und einen Geduldsfaden stärker als ein Drahtseil.
Eine Sekunde zu lange in der Plank-Position stehen gelassen, und ich könnte den armen Yogalehrer gedanklich ins Höllenfeuer schicken. (Schlechte Gedanken gehören aus dem Yoga verbannt, und wer sich einen Gefallen tun will, verbannt diese auch auch aus dem wahren Leben.) Die meisten Yogastile sind sehr kraftvoll – Yin Yoga mal außen vor, darüber auf einem anderen Blatt an einem anderen Tag. Die Kunst ist, den Geist loszulassen, auch wenn das Leid, das das Asana einfordert, unermesslich scheint. Der Filmtitel „Die hard“ passt da ganz gut.
Und wenn man denkt, man beherrscht endlich den nach unten schauenden Hund (Adhomukhashvanasana ) – und dies ist eine Ruhepositionen im Yoga – Pustekuchen! Nicht, dass man die Füße nicht noch weiter nach hinten stellen könnte, was die Enttäuschung natürlich wieder in die Höhe treibt, wo man doch gerade dachte, dass endlich die Fußsohlen den Boden erreichen. Nicht dass man den Rücken nicht noch mehr in die Länge ziehen könnte, nicht dass die Schultern nicht noch weiter in Außenrotation gerollt werden könnten und nicht dass man sein Gewicht nicht gleichmäßiger von den Handgelenken auf die Fingerkuppen verlagern könnte.
Zitat einer meiner fantastischen Lehrerinnen: „Sobald sich ein Asana einfach anfühlt, ist es nicht richtig ausgeführt. An Yoga ist nichts leicht.“
Hilfreich könnte auch sein, sich mal aus seiner Komfortzone zu bewegen und eine andere Stunde bei einem anderen Lehrer zu besuchen. Das gleiche Asana wird bei einem anderen Lehrer vielleicht mit anderen Schwerpunkten angesagt. Während man bei einen Lehrer krampfhaft die Oberschenkel zusammengepresst hat, ist die Ansage bei einem anderen Lehrer, dass man seinen Kopf weiter nach vorne bewegt. Ausprobieren hat noch nie geschadet.
Es gibt Asanas, die sind sogar vollkommen utopisch. Hirn spricht zu Körper: einfach nicht machbar. Und ich meine noch nicht mal die Poser-Stellungen auf Instagram. Macht es trotzdem, fallt hin, bestätigt Euch ruhig, dass es nicht funktioniert. Das Leben möchte Euch lehren und eine Sache beibringen: Gleichmut. Hinnehmen, was ist.
Es erscheint einem gern als Böswilligkeit, dass der Neuling im Yogakurs die Sache auf Anhieb hinbekommt, an der Ihr schon zwei Jahre arbeitet. Es sind der Körper und der Geist abwechselnd, die einem einen Strich durch die Rechnung machen. Wenn Ihr Eure Zehen erreichen wollt (die es gar nicht zu erreichen gilt, sondern in der Regel soll das Brustbein nach vorne geschoben werden), tauchen auf einmal aus dem Nichts Muskeln auf, die einen regelrecht in die entgegengesetzte Richtung ziehen ;-).
Es ist oft zum Aus-der-Hautfahren, man möchte vor Wut aufstampfen und Rumpelstilzchentänze vollführen. (So mache ich das in meinen vier Wänden, und ab und an in meiner Klasse – bin ja nur Mensch. All meine Yogalehrer habe ich mittlerweile erfolgreich an mein Gejammer gewöhnt, dass ich zu kurze Arme habe. Vermutlich wären diese sehr enttäuscht, wenn dieses Hintergrundgeräusch von mir plötzlich wegfiele.) Aber der Punkt der Erschöpfung tritt ein – und dann auch das Aufgeben. Man macht einfach nur noch stoisch weiter, und wenn man schon nicht mehr daran glaubt, siehe da: es geht einen Millimeter voran. Der Weg beginnt!
Das Leben lehrt einen nun jedoch eine andere Taktik: „Wollen, machen, wieder aufgeben“ beim nächsten unlösbaren Asana im Hinterkopf abzuspeichern als insgeheim „Doch wollen“. Am Ende des Tages klappt es ja vielleicht doch, sich selbst positiv zu überraschen. Vielleicht ist das Zweckpessimismus – und auch dieser dreht wie ein Hamsterrad. Wie und wann man abspringt, ist wohl eine Lebensaufgabe. Genauso wie das richtige Maß finden, an Wollen und Zulassen und von Gleichmut ganz zu schweigen.
Irgendwie ist es jedenfalls schön, dass man nie fertig sein wird!
Eine Schnecke möchte einen hohen Berg besteigen.
Sie fragt einen Zen-Meister um Rat.
Dieser antwortet:
„Geh, Schnecke, aber geh langsam.“
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