Bitte einmal Lungenflügel volltanken!

Am Atlantik sitzen, am besten in der Nebensaison! Das Meer ist zu frisch, um sich in die Fluten zu werfen – aber man sitzt da und möchte nicht aufhören, dieser Musik zu lauschen, wenn die Gischt sich türmt und auf den Sandboden niederkracht, das Wasser sich dann wieder zurückzieht zur Beratung, und dann wieder Anlauf nimmt, um am höchsten Punkt Hallo zu sagen. Ein nicht endender Kreislauf (Parivartam) und die Momente, in denen wir uns wahrscheinlich am allernächsten sind. Momente, die wir aufsaugen, abspeichern wollen, sie unvergänglich in einen Bilderrahmen in uns aufhängen, um sie jederzeit und hoffnungsfroh wieder abzurufen zu können für Zeiten, die es erfordern. Die Zeit am Meer öffnet all unsere Sinne: Wir sehen die Blautöne, wir hören die Kraft, wir schmecken das Salz, und wir fühlen das Leben.
Wir müssen aber nicht unbedingt ans Meer fahren. Genau das, was das Meer macht, findet ja bereits in uns statt. Wir sind eine Reflektion der Natur. Unser Atem entspricht dem Wellengang des Ozeans. Jedes Einatmen erneuert uns, mit jedem Ausatmen geben wir verbrauchte Energie ab. Es ist so faszinierend – ein Hauch von Nichts, ohne das wir aber nicht sein können. Die Natur hat es so eingerichtet, dass wir uns nicht weiter um unsere Atmung kümmern müssen. Sie findet einfach statt – im vegetativen Nervensystem, das sich um die Grundbedürfnisse unserer Lebenserhaltung sorgt. Schade eigentlich. Richten wir auch nur einmal am Tag einen kleinen Lichtstrahl Bewusstsein auf die Atmung, und wir können uns fast nach Wunsch verändern. Wenn unser Hirn zum Beispiel mal wieder „Hey Macarena“ singt und dazu tanzt, so ganz unangemessen zur momentanen Situation, dann können wir es mit bewusstem Atem doch rasch wieder auf Spur bringen. Der Geist passt sich dem Atem an. Hecheln und schnaufen wir in der Gegend herum, so wirft unser Geist auch Speere von den Zinnen der Burg.
Wieviel die Atmung bedeutet, habe ich bereits beim Gerätetauchen erfahren. Man lernt schon in seinen ersten Schwimmbadlektionen das Pivotieren. Pivotieren bedeutet: man liegt auf dem Grund, und ohne sein Jacket weiter mit Pressluft zu füllen bewegt sich unser Oberkörper mit einem Atmenzug, also gefüllten Lungen, nach oben, während man auf den Flossenspitzen steht. Mit dem Ausatmen sinkt der Oberkörper wieder Richtung Grund. Übrigens praktiziere ich diese Schwimmbadboden-Übung auch oft an Land auf der Yogamatte, zum Beispiel in der Heuschrecke (Shalabasana) oder dem Bogen (Dhanurasana). Ich steige und sinke in diesen Asanas mit der Atmung. Ich fühle mich schließlich in einen Tauchurlaub ein, und bin regelrecht enttäuscht, wenn das Asana für beendet erklärt wird. Da Tauchen selbst gerne mal zur Competition ausartet und es so manchem darum geht, wer am längsten unten bleiben kann (also seine Flasche nicht leergeatmet hat), dreht sich alles darum, mit seinem Luftvorrat zu haushalten. Kleinigkeiten können schon für extrem höheren Luftverbrauch sorgen. Vergleiche ich den Luftverbrauch für den gleichen Tauchgang am Anfang und am Ende des Urlaubs, ist ein deutlicher Unterschied festzustellen. Am Anfang ist man noch richtig unentspannt: Der Sprung ins Wasser und die Ungewissheit, wie kalt wird es? Wie ist die Sicht? Kann ich heute problemlos den Druckausgleich in den Ohren meistern? Wie stark wird die Strömung sein? Je mehr Tauchgänge dann absolviert sind, desto mehr groovt man sich ein. Es sind auch nur Mys, die ein Gesicht verziehen lassen – an Land kaum zu erkennen, fließt bei kleinster Anspannung sofort Wasser in die eigentlich passende Tauchbrille. Sind wir nervös und angespannt, verbraucht dies enorm viel mehr Luft (in den Tauchflaschen ist übrigens Pressluft drin, also 78% Stickstoff und 21% Sauerstoff und restliche 1 % anderes Zeugs – und kein reiner Sauerstoff, wie gerne irrtümlich behauptet wird). Natürlich sind es vor allem physikalische Faktoren, die auf den Luftverbrauch einwirken, wie die Tiefe und der damit verbundene Umgebungsdruck, der pro 10 Meter um circa 1 bar anteigt. Beim Tauchen bin ich jedenfalls gezwungen, auf die Atmung zu achten. Das kann sogar lebensrettend sein, ohne hier jetzt einen Tauchkurs abhalten zu wollen. Eine Vollatmung ist auf jeden Fall erstrebenswert: Gleichmäßig in den Bauch einatmen, dann in den Brustkorb und bis zu den Schlüsselbeinen hochgleiten lassen. Und umgekehrt ausatmen, vielleicht einen Tick langsamer und in umgekehrter Reihenfolge. Tauchen ist Yoga unter Wasser. Ich empfehle es jedem – dazu kommt noch der schwerelose Zustand und neue Welten, die man sich erschließt.
Zum Glück geht im Yoga der Tauchurlaub weiter. Die Kontrolle des Atmens heißt hier Pranayama (Prana= Lebensenergie und Ayama = kontrollieren). Dass wir den Atem sogar auf eine bestimmte Stelle lenken können, um Schmerzen zu mildern, ist ja bekannt. Genauso wie auch lästige Gedanken und Gefühle ausgeatmet werden können. Aber vielleicht immer wieder eine gute Idee, sich das nochmals ins Gedächtnis zu rufen. Die Atmung ist der Guide für unsere Asana-Praxis. Ist er gleichmäßig, können wir unsere Sonnengrüße vollendet ausführen. Beginnen wir zu japsen, sollten wir ohne Scham zu verspüren in die Stellung des Kindes (Balasana) gehen. Laute Pressatmung steht übrigens ausschließlich gebärenden Müttern zu. Was in einer anstrengenden Praxis hörbar werden darf, ist die Ujjayi-Atmung. Die Ujjayi-Atmung wird auch ozeanische Atmung genannt. Da ist es wieder, das Meer! Und was bin ich deswegen in dieses Wort verliebt! Praktizieren wir Asanas in der Dehnung und halten diese lange, also leiden (das kann natürlich auch schöner umschrieben werden mit „das Feuer anheizen“ – Agni –, um Transformation zu erlangen), dann atmen wir lautlos und medititativ. Baden-Württemberg ist ja berühmt dafür, dass man laut jammert und ganz leise glücklich ist (Sinn und Zweck der schwäbischen Ausführung besteht darin, den Mitmenschen zu signalisieren, dass es einem nicht zu wohl ergeht, damit diese nicht etwa auf die Idee kommt, einen Teil des Glücks einzufordern). Im Yoga also bitte einmal andersrum. Achja, und in Wirklichkeit sind wir Schwaben gar nicht so geizig wie es das Vorurteil behauptet – Bewohner anderer Bundesländer sind mir schon viel unangenehmer aufgefallen!
Das Pranayma, welches auch übrigens einen Part des achtgliedrigen Pfades ausmacht (sollte davon schon mal jemand gehört haben – ich hebe es mir für einen künftigen Beitrag auf … vielleicht) beinhaltet verschiedenste Atemtechniken mit jeweils unterschiedlichen Absichten. Vollatmung und Ujjayi wurden ja bereits erwähnt. An heißen Sommertagen bewirkt die Shitali-Atmung Wunder und führt dazu, dass die Körpertemperatur nicht überkocht. Mit Kapalabhati lässt sich der Körper energetisieren und reinigen– und es bringt im wahrsten Sinne des Wortes den Schädel zum Leuchten. Daher auch die Übersetzung: leuchtender Schädel. Es gibt noch unendlich weitere Atmetechniken, die ein passionierter Yogalehrer auch mit Freude zeigt.
Eine, unter der ich besonders leide, ist die Wechselatmung (Anuloma Viloma, was übersetzt „gegen den Strich“ bedeutet und das vollkommen zurecht meines Erachtens): mit der rechten Hand in der Vishnu-Mudra (also Daumen und Ringfinger kommen an die Nasenflügel, während Zeige- und Mittelfinger am Daumenballen liegen) verschließe ich immer ein Nasenloch und atme kurz und zügig ein, halte lange an, und atme dann durch das andere Nasenloch wieder aus. Anschließend folgt der Ablauf andersrum. Meine Griffel im meinem Gesicht kann ich ja schon mal überhaupt nicht ausstehen – es raubt mir buchstäblich den Atem. Falls ich bisher noch keine Klaustrophobie hatte, dann zeigt sie sich in der Wechselatmung (und in überfüllten Bussen und Bahnen) .
Die Finger im Gesicht sind aber noch der kleinste Widerwille. Verstärkt wird das Ganze durch meine Panik, welcher Yogalehrer wohl den Takt vorgibt. Für die Wechselatmung gilt jedenfalls ein Takt. Ob der Yogalehrer sich wohl in einen halb so großen Menschen einfühlen kann, dessen Lungenflügel noch mit schwarzen Resten aus der ehemaligen Raucherzeit geteert sind? So ein Luftanhalten kann an die 35 Sekunden andauern (nach Schulbuch müsste es eigentlich ein Vierer-Takt sein: wie zum Beispiel 8 Sekunden einatmen, 32 Sekunden anhalten und 16 Sekunden ausatmen). Aber mein Oberyoga-Meister, Mario Esposito, hat seinen eigenen Takt (er darf das – würde es Yoga nicht schon geben, hätte er es erfunden). Er verfeinert lediglich, was in alten Schriften niedergeschrieben ist, mit denen er sich komplett verwoben hat, und er lehrt durch seinen Erfahrungsschatz. Er ist allwissend und nebenbei auch noch der Ausrichtungs-Guru schlechthin. Aber so sehr ich ihm in seiner Yogapraxis vertraue, so sehr fürchte ihn auch, besonders bei der Wechselatmung. Sein eigener Rhythmus im Luftanhalten zählt wohl an die 70 Sekunden, da kann man ja, wenn man zum gemeinen Menschen herunter rechnet, 35 Sekunden zumuten! Ein paar Runden davon, und man steht kurz vor dem Abnippeln (also ich zumindest). Aber noch nicht genug: Wie ich schon erwähnte, kann bereits kleiner Stress zu enormen Luftverbrauch ausarten. Gedanken auch! Gedanken ernähren sich von Luft (vielleicht gibt dieser Umstand für sich schon zu denken). In der idealen Wechselatmung wäre also mal denkfreie Zone tatsächlich angesagt. Wird dies allerdings vom Yogalehrer auch noch anmoderiert, ratet mal, was dann passiert? Jeder kennt doch diese entsetzlichen Sushi-Restaurants, in denen Fließbänder mit den japanischen Spezialitäten auf Tellern vorbeiziehen (natürlich kalt und eingetrocknet). Und genau so passiert es, das Fließband rattert durch den Kopf: eine Apfeltarte hier, ein Weihnachtsgeschenk dort, und ein „Ach, was muss ich morgen im Büro alles erledigen“ und „Hilfe, ich ersticke“, und das alles mit der Hintergrundmusik „Hey Macarena“. Aber leider gilt: Das was man nicht mag, genau das braucht der Körper. Tun wir nur Dinge, die uns leicht fallen, sind wir nicht ausgewogen. Yin und Yang – ganz einfaches Prinzip. Und: es wird tatsächlich durch Übung besser. Zwar mit den üblichen Babysteps, aber immerhin geht es vorwärts. Derweil wird mein Wechelatmungs-Takt-Ansager, Mario, noch meine Zornesfalte ertragen, samt der Feuerblitze, die ich abschieße. Er ignoriert es – was für Bruchteile von Sekunden mal überhaupt nicht meiner Absicht entspricht. Aber ganz ehrlich: im Nachhinein bin ihm für diese Geste und Güte unendlich dankbar – und nicht nur dafür. Seine Erfahrung sagt ihm, wohin der Weg führt. Und Gott würde schließlich auch nur mit den Achseln zucken.
Ach so, und ja, nach ein paar Runden Wechselatmung fühlt man sich doch verdammt viel besser und geklärter … Die Erleichterung, dass die Wechselatmung ihr Ende gefunden hat, spielt da aber wohl auch noch eine sehr große Rolle!
P.S.: Pranayama ist einfach ein Fass ohne Boden. Je öfter ich meinen Text durchlese, desto mehr Sachen fallen mir auf, die noch fehlen. Bitte liebe Leser verzeiht mir, wenn ihr Lücken findet, meine Erklärungen zu vage sind und im schlimmsten Falle sogar fehlerhaft. Es ist mein persönliches Erleben, und was ich möchte, ist, dass Ihr als lohnenswert erachtet, es selbst auszuprobieren. Natürlich unter Fachanleitung! Und am allerbesten hier: www.esposito-yoga.de oder Ihr kommt hierher:
www.jivana-yoga.de. Da ist Mario freundlicher Studioleiter und unterrichtet auch selbst ein paar Stunden. Seine Frau, die Susi, ist ebenfalls Yogalehrerin, so ganz anders im Unterrichtungsstil und dennoch herausragend. Es ist faszinierend für mich, wie man als Yogalehrer-Paar seine Praxis so unterschiedlich gestalten kann und jeder für sich vollkommen ist und ich beide nicht mehr auf meinem Stundenplan vermissen möchte. Zur Vielzahl der Yogalehrer, und dass es weder falsch noch richtig gibt, lasse ich mich sicher demnächst nochmals aus!
Hach, und wäre es nicht ein und der Lebenssinn, man könnte einfach unter einem Olivenbaum sitzen und nur bewusst atmen … und lieben!
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