Hamptons Beaches oder von Lerchen und Eulen
Es ist ja überhaupt nicht selbstverständlich, in den Urlaub zu fahren – aber eines der schönsten Dinge, die man unternehmen kann. Mein Mann, der beste der Welt, hatte Wochen zuvor Tag und Nacht gearbeitet. Wie man es als Selbstständiger halt so macht. Es war also besonders für ihn ein Tapetenwechsel nötig. Ich hingegen fülle meine Freizeit mit Yogakursen an allen Enden und Ecken auf. Der Unterschied zwischen ihm und mir: er ist auch im Stress noch freundlich, nett und ausgeglichen, während ich gerade mal noch eine Stunde nach meiner Yogapraxis ein friedfertiges Gemüt ausstrahle, bevor mich dann der Alltag erfasst und ich wieder in den grumpy Strudel eingesogen werde. Es gibt noch viel zu tun bei mir! Oder: Jeder Jeck ist anders, von Gerechtigkeit bei der Vergabe des Gemüts kann jedenfalls keine Rede sein. Das muss ich alles schon als Vorwort voranstellen, damit ich auch anmelden kann, dass wir nach Nordamerika gingen – denn mein Mann durfte sich den Urlaub aussuchen!
Er mag es dort einfach, und als Selbstständiger bleibt man ja auch nicht länger als zehn Tage seinem Schreibtisch fern, was für ein Ziel in den USA noch im Rahmen ist. Also war es wieder mal nichts mit Bali. Aber ich liebe ihn und genieße das Zusammensein gerade im Urlaub – wo doch im hektischen Alltag oft nicht mal Zeit für kleinste Besprechungen bleibt. Also ich war nicht gerade vernarrt in das Ziel und dann wird man plötzlich überrumpelt und man steht da: in den Hamptons. Und wie vernarrt und verliebt ich nun bin. Besser hätte es nicht sein können. Wir waren nur vier Tage dort, bevor es weiter in die große Stadt, New York City, gehen sollte. Diese Tage werden mir unvergesslich bleiben. Mit Handschuhen, Mütze, Wollpulli und Steppjacke war der Koffer prall gefüllt, denn: Was hatte ich nicht schon im nordamerikanischen Sommer gefroren. Jetzt war Ende Oktober, und am Meer muss einem der Wind ja erst recht um die Ohren blasen. Die Winterkleidung hatte ich umsonst eingepackt. Der Himmel strahlte im klarsten Blau, und die Strände luden zum Spaziergang barfuß ein. Die Freudentränen liefen nur so. Wie gut kann es einem denn bitteschön gehen? Der Nachthimmel offenbarte jeden Stern – und das so nah, dass ich mich nicht mehr einnern konnte, ihn so offenherzig über mir gesehen zu haben. Die Leute grüßten freundlich und freuten sich über jeden noch so kleinen Smalltalk (wo man doch denkt, es leben in dieser Gegend nur die Schönen und Reichen sehr zurückgezogen in ihren Villen). Und jeder war eins mit der Natur – vielleicht bis auf den einen Tankwart, der meinte, Gott hätte ihn vergessen.
Übernachtet hatten wir am letzten Ende der Hamptons in Montauk. Vermutlich ist im Sommer die Hölle dort los, doch wir hatten ja schon Ende Herbst – aber eben das gute Sommerwetter für uns gepachtet. Long Island, welches in den Hamptons endet, zieht sich doch sehr sehr lange hin – was auf der Karte nach kurzer Distanz aussieht, benötigt unter Umständen dann doch mehr Fahrzeit als gedacht. Natürlich musste mein Mann vor Ort an seinem Laptop noch einige Stunden Arbeit investieren, und so dachte ich mir, ich störe am wenigsten, wenn man mich im Yogastudio abgibt.
Das erste Studio, das mich laut Internet interessierte, war www,hamptonsyogahealingarts.com, natürlich ein Jivamukti-Ableger! Leider zog sich der Fahrweg von Montauk nach Westhampton über eine Stunde, und nur deswegen ist es bei einem einmaligen Besuch geblieben. Ich hatte mich sofort zu Hause und willkommen gefühlt.
Die Besitzerin, Abby Vakay, hat mich mit offenen Armen empfangen. Das einzige, was ich dringend lernen muss: nicht so deutsch zu sein. Man kommt maximal fünf Minuten vor Beginn der Stunde, und doch nicht ganze fühnfzehn Minuten vorher! Ich habe auch gelesen, dass Menschen, die über Gebühr rechtzeitig vor Ort sind, Pessimisten sind. Ja, genauso ein Mensch bin ich: so rechne ich mir Stau ein, überlege im Vorfeld panisch, ob ich einen Parkplatz denn wohl finde oder muss unterwegs einen Toilettenstop einbauen. Dagegen sind die, die eher spät sich auf den Weg machen, Optimisten, weil sie ja denken: alles wird sich fügen und passen. Vielleicht ist es auch nur ein weiterer Minderwertigkeitskomplex von mir. Denn die kleinste Einheit, die man ja beitragen kann, ist, pünktich zu sein.
Bei Abby habe ich jede Menge Halbmonde (Ardha Chandrasana) gemacht, und ich nehme mir als Hausaufgabe aus dem Urlaub mit, diese schön fleißig weiterzuüben. Bei den Schülern ließ sich übrigens auch kein superreicher, hochnäsiger oder arrgoanter Mensch enttarnen – alle super nett und zuvorkommend, und die Yogastunde gestaltete sich rund, und nicht wie ich mir vielleicht vorgestellt hatte, amerikanisch laut und durch ein Mikrofon schallend angesagt. Gerne wieder.
Mein zweites Studio war das www.yogalilamontauk.com. Bodenständiges Yoga, Menschen wie überall auf der Welt. Was hatte ich mir nur gedacht? Weit und breit konnte ich keine durch Schönheitschirurgie entstellten Menschen entdecken – für Liftings hatten sie zu viele Stirnfalten, es gab Kleine, Lange, Große, Dicke, Schwangere, X-beinige und Andersrumbeinige in dem Kurs. Die Zeitschriften sind einfach doch nur Photoshop und „normal“ eine Einstellung am Wäschetrockner. Wenn diese Menschen aber aus der Yogastunde kommen mit einem Lächeln, sind sie alle die Schönsten.
Mein drittes Studio hatte ich gleich zweimal besucht: www.byogahive.com. Ich hatte eine wundervolle Lehrerin erwischt, Anna Chung. Die Stunden bei ihr waren sehr kraftvoll und anfeuernd, so dass ich mich am zweiten Tag danach nur noch liegend, Guacamole essend (ich liebe Guacamole) am Strand sehen wollte. Ich freue mich jedoch wahnsinnig darauf, Anna wieder zu sehen, und mir meine Yogaeinheiten von ihr abzuholen. Dafür lasse ich doch Bali gerne sausen!
Da ich versuche, Yoga nicht nur auf der Matte zu praktizieren, sondern in mein Leben zu integrieren und in den Straßen der Städte zu sehen, immer suchend nach dem Guten, dem Leuchten und im Zweifel es auch in mir anzuzünden, habe ich meine schönste Erfahrung früh morgens am Strand gemacht. Jetlag sei Dank, dass man die ersten Tage so früh am Morgen raus kommt und ab fünf Uhr früh den Sonnenaufgang am Strand aufflammen sieht. Niemals würde mir zu Hause passieren, so früh aufzustehen – geschweige denn, mich überhaupt zu bewegen. Aber ich scheine doch eine morgendliche Lerche zu sein … nur in einem anderen Land halt, auf einem anderen Kontinent. Kann ich das bitte beibehalten? Es ist herrlich, sich schon früh morgens mit dem Besten aus dem Leben zu konfrontieren: der Natur, der Bewegung, dem Atem! Und so begenete mir in aller Herrgottsfrühe am Strand eine einheimische Dame, die versuchte, ein Selfie von sich und dem Sonnenaufgang hinzubekommen. Ich hatte sie dann gefragt, ob ich nicht das Fotomachen für sie übernehmen kann und sie erwiderte, „dass mich ja wohl Gott geschickt hätte“. Wer mich kennt, weiß, dass mir das Wort „Gott“ gerne das Blut in den Adern gefrieren lässt. Sicherlich werde ich mich zu „Gott“ auch nochmals in einem Blog-Beitrag äußeren. Um es hier erst mal kurz zu halten: das Göttliche sehe ich sehr wohl rund um mich herum, und ja es macht mich demütig. Was meine Strand-Dame angeht, habe ich ihre Worte angenommen, bin nicht erstarrt – es war doch schließlich ihr Ausdruck für große Dankbarkeit. Und obwohl sie dort lebt, am schönsten Zipfel der Erde, ist es nicht selbstverständlich für sie, dieses Leben zu leben. Sie hat mich jedenfalls zu Tränen gerührt.
Auch ich bin für diese nicht selbstverständliche Reise, gefüllt an Impressionen, anhaltend für eine Lebensdauer, tief dankbar. Aber gerade so weit weg kann man sich auch mal wieder so richtig schön „back to basics“ atmen.
Euch allen wünsche ich die schönsten Sonnenaufgänge und dass Ihr sie alle so dankend annehmen könnt.
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