Die Bandhas

In den ersten Yogastunden hört man schon soviel Sanskrit, dass sich flott ein automatischer Selbstschutz aktiviert, der anweist „da rein und da bitte wieder raus“! Und auch nach Jahren bin ich immer noch damit beschäftigt, Asanas auf Sanskrit-Ansage richtig umzusetzen. Und schaut man sich bei seinen Mit-Yogins um, geht es denen genauso – die Interpretationen sind vielfältig. Ein Folgelachen ist zum Glück international zu verstehen. Aber so sehr ich anfänglich Sanskrit-Ansagen arrogant und hochnäsig fand, hat mich „das System“ mittlerweile geschluckt und lässt mich eine weitere Tür in eine neue Welt betreten.
Die Ansage „Bandhas setzen“ drängt sich nun fast in jeder von mir besuchten Yogastunde auf und lässt sich dann auch nicht mehr so ohne weiteres übergehen.
Was aber sind Bandhas? Bandhas sind Verschlüsse, die man im Körper setzt. Äußerlich kaum bis nicht sichtbar, aber von innen stark zu spüren. Ihr Sinn ist es, die Energie im Körper, die durch Asanas und Pranayama (Atemübungen) erzeugt wird, zu behalten, richtig zu kanalisieren, zu vermehren oder zu drosseln. Außerdem geben die Bandhas Halt und Stabilisation in den Asanas – demzufolge kann das fachmännische Auge natürlich doch von außen sehen, ob Bandhas gesetzt wurden. Ohne Bandhas schwabbelt man ganz schön in der Gegend herum, und natürlich leidet in erster Linie mal wieder die Wirbelsäule darunter. Für den „gemeinen Yogin“ gibt es drei Bhandas im Körper, die wichtig sind. Es gibt weitaus mehr – aber wichtig für den Anfang sind drei Stück. Und glaubt mir, die sorgen schon für Vollbeschäftigung.
Das erste Bandha nennt sich Mula Bandha, es sitzt zwischen Anus und den Sexualorganen.
Gefühlt dürfte es so sein, als stündet Ihr kurz vor der Geburt (also aus Sicht der gebärenden Mutter, nicht des Babys – nur zur Klarstellung). Rosemaries Baby oder ein so genanntes Arschlochkind (dieser Ausdruck stammt nicht von mir. Und redaktionelle Anmerkung: es gibt natürlich keine frisch geborenen Arschlochkinder – nur Liebesmangel könnte diesen Werdegang begünstigen) erwartet Euch, und Ihr wurdet darüber in Kenntnis gesetzt. Also ist es der Moment im Leben, wo auf Euren Schultern die Verantwortung lastet, die Menschheit vor Bösem zu bewahren. Nur Euer Mula Bandha entscheidet, ob Ihr die Welt retten könnt vor der Teufelsbrut, und so schiebt und zieht Ihr mit Eurer Muskelkontraktion zwischen Anus und Sexualorganen das nach oben, was nicht rauskommen soll. Männer benötigen ja nicht mal die Vorstellung von der Geburt eines Teufels, die möchten überhaupt nicht irgendetwas durch die ihnen zur Verfügung stehende Öffnung gebären (vermute ich mal). Wissenschaftlich begebe ich mich übrigens auf Glatteis, da mir die Urgewalt einer Geburt nie vergönnt war. Natürlich ist das Mula Bandha aber kein Gewaltakt, und das Kind soll ja dann auch nicht durch Brachialkraft wieder im Halse stecken bleiben. Das Ganze geht viel subtiler vonstatten und geschieht mit einer fließenden Sanftheit. Geübte Yoginis spüren anscheined sogar, dass Ihr Beckenboden aus drei Ebenen besteht und jede Ebene für sich ansteuerbar ist. Sogar hier hat die Natur wieder einen riesigen Vorsprung gegenüber vom Menschen Erschaffenem. Das Raumschiff Enterprise ist nur zweiteilig abkoppelbar. Aber bevor ich meinen dreiteiligen Beckenboden spüren werde, verspreche ich lieber, an meiner Sprache zu arbeiten und mich künftig um positivere Vergleiche bemühen. Kann ja nicht sein, dass es im Yoga immer um Leben und Tod geht (na eigentlich schon).
Das zweite Bandha nennt sich Uddiyana Bandha. Die Vorsilbe „Ud“ steht für „nach oben“ und „uddi“ für „nach oben fliegen“. Und so geschehe es auch mit unserer Energie. Es geht also immer weiter empor. Mit Uddiyana Bandha wird der Nabel nach innen und dann leicht nach oben gezogen. Das Ganze passiert beim Ausatmen. Es entsteht ein Vakuum, und man kommt optisch einem indischen Rishi doch sehr nahe – also wieder mal alle anderen, nur ich nicht. Zumindest werde ich immer wieder von zwei bis drei Yogalehrerinnen ermahnt, dass ich meinen Nabel doch bitteschön hochziehen soll. Ja Hallo? Gefühlt kommt mein Nabel doch längst an der Wirbelsäule wieder hinten raus, so sehr ziehe ich nach innen. Es ist wohl wieder an der Zeit, ein paar Kilos abzuspecken – oder aber ich muss demnächst in der Bauch-Weg-Unterhosen-Kaufabteilung zuschlagen. Meine Yogalehrerinnen könnten mir aber ruhig auch mal ins Gesicht gucken, spätestens da sieht man mir mein Uddiyana Bandha an. Nicht dass ein Uddiyana Bandha überhaupt ins Gesicht gehören würde – aber anscheind ist es wieder einmal meine Eigenart, dass ich erhöhte Konzentration nicht verbergen kann, sie steht mir förmlich ins Gesicht geschrieben: die Stirn wölbt sich zu einem Faltenmeer, meine Augen quellen über, und dass ich mir meine Zunge dabei noch nicht abgebissen habe, grenzt an ein Wunder.
Stöhn! Außer Funktionsunterwäsche wäre ein Botox-Spritzchen zu empfehlen! Die nicht äußerlich sichtbaren Bandhas und auch die leichtläufig aussehende Yogapraxis waren anders gedacht! Ein weiter Weg liegt vor mir – und halleluja, ich muss mich nicht in Korsetts werfen oder mich glattbügeln lassen, ich arbeite ja schließlich innerlich an mir.
Das dritte Bandha ist der Kehlverschluss, das Jalandhara Bandha. Wir haben so viel emporgezogen, dass wir diese ganze positive Energiewolke doch erstmal nicht entweichen lassen sollten – aber stattdessen sie in Richtung des Schädels dirigieren. Gesetzt sieht dieses Bandha auch nicht gerade hübsch aus: zuerst wird der Nacken nochmal schön lang gezogen, dann aber wird das Kinn Richtung Schlüsselbein gesenkt. Unweigerlich kommt nicht nur ein Doppelkinn, sondern manchmal sogar ein Dreifachkinn zur Geltung. Ich liebe dieses Bandha trotzdem, es gibt im Yoga einige Asanas, die den Kloß im Hals wegdrücken können – das Jalandhara Bandha verfügt auch über diese Fähigkeit.
Von einem schilddrüsenkranken Menschen, der immer von seiner „Schildkröte“ sprach, habe ich mir seine Vokabel so sehr zu eigen gemacht, dass auch ich mittlerweile die Schilddrüse in das nette freundliche Tier umbenannt habe. Also: das Jalandhara Bandha wirkt wundervoll harmonisierend auf Eure Schildkröte ein.
Natürlich kann man alle drei Bandhas beliebig kombinieren, und auch alle drei auf einmal setzen. Diese höhere Kunst der Drei zusammen nennt sich Maha Bandha. Es verlangt volle Konzentration ab, und dem Herrn im Himmel sei Dank, dass noch keiner ein Foto von mir dabei gemacht hat. Keine Konzentration, sondern im Alltag ganz von selbst, setzen wir es zum Beispiel ein, wenn wir etwas Schweres heben. Vermutlich macht jeder Mensch, der auf dem Bau beschäftigt, mehr Yoga als ich auf der Matte.
Mula Bandha festigt den Rumpfbereich, und Uddiyana Bandha streckt die Wirbelsäule um mindestens 0,5 Zentimeter, Jalandhara Bandha hebt die Energie nochmals ganz nach oben und lässt sie nicht entweichen. Und so sehr ich die Bandhas mittlerweile in meinen Asanas einsetze, so sehr fürchte ich sie im Pranayama – den reinen Atemübungen. Hilflos überfordert fühle ich mich, besonders in der Wechselatmung (Anuloma Viloma) – ich bin die Hitzequelle per se, ein Hochofen wie er im Bilderbuch steht. Das muss reichen, ein Bandha würde mich zum Bersten bringen. Also ignoriere ich die Ansage des Yogalehrers und hoffe auf ein Gelingen in späteren Zeiten. Eines Tages werde ich schon noch lernen, meine Energie richtig zu zügeln. Zügel haben die ähnliche Funktion wie das Joch – das Ursprungswort des Yogas. Der Weg ist das Ziel!
Der Einsatz meiner Bandhas findet aber doch tatsächlich weniger auf meiner Matte statt als im Alltag. Mit Knieschonern bewaffnet robbe ich auf allen Vieren auf dem heimischen Fußboden und wische fröhlich vor mich her. Ich gehe in Katze-und-Kuh-Position, also lass den Rücken im Einatmen in ein Hohlkreuz sinken, im Ausatmen runde ich mich zu einem Katzenbuckel (Katze-Kuh wird in vielen Yogastunden am Anfang gemacht, damit mensch überhaupt bewusst wird, dass man seine Wirbelsäule mobilisieren kann und nicht ein einziger Zementklumpen ist). Das ist dann schon mal der Anfang meiner Putz-Choreographie. Meine Bandhas kann ich bei der Hausarbeit hervorragend einsetzen. Nicht, dass mich jetzt jemand für eine Super-Hausfrau hält – ich putze ja dann doch nur, wenn Besuch droht, Fenster bekomme ich dreckiger verschmiert als sie vorher waren und Hemden haben nach meinem Bügeleiseneinsatz noch mehr Falten als es die Waschmaschine vollbracht hat. Ja, und nicht dass es tolle Putzinnovationen auf dem Markt gäbe, vom elektrischen Wischmop bis hin zum Saugroboter, die mir demütiges Knien ersparen könnten. Nein, mein Mann ist der felsenfesten Auffassung, dass es bei unserer diversen Bodenbeschaffenheit und -Stücklung auf nur wenigen Quadratmetern, nichts Geeignetes gibt. Also nehme ich weiterhin für all diese unterschiedlichen Bodenbeschaffenheiten ein und denselben Putzlappen und ein und dasselbe Putzwasser. Finde den Fehler! Aber immerhin, ich kann das Bandha-Setzen somit zur Weltklasse treiben … vorausgesetzt, ich lade Besuch zu mir ein. Und ein bisschen kleinlaut muss ich dann schon zugeben: Putzen macht sogar Spaß! In kurzer Zeit erhält man ein befriedigendes Ergebnis: dem Dreck da unten so nahe zu sein – der Sandkasten für Ü25 – , diesen dann kumuliert im Putzlappen aufzunehmen und ihn schließlich der Toilettenspülung auf Nimmerwiedersehen zu übergeben.
Im Yoga passiert übrigens das Gleiche von innen. Der ganze verklumpte Dreck, die verstaubten Wollmäuse, die jahrelang mit sich rumgetragenen Schmerzbälle werden mit Eurer Energie weggesprengt wie mit einem Laserstrahl.
Ist doch angenehmer, die Enterprise durch die unendlichen Weiten zu steuern als durch das Asteroidenfeld.
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