Take my breath away … not! Never ever again!

Dieses Jahr wollte ich ja eigentlich kürzer treten mit Yoga-Workshops, damit ich in meiner Freizeit breiter aufgefächert bin. Pustekuchen. Und Puste ist das richtige Stichwort. In meinem Social-Media-Kanal poppte ein Workshop auf namens „Atem Class“ und kam mit einem sehr ansprechenden Wolkenbild daher. Gebt mir ein schönes Bild und ich bin Opfer. Ohne die Beschreibung groß zu beachten, hatte ich das Ding gebucht. Atem kann man ja immer brauchen. Ich malte mir das Versprechen aus, dass ich in den Pranayama-Techniken für die Atemanhaltephasen (Kumbhaka) Hilfswerkzeuge angereicht bekomme. Zum Beispiel wie ich das Gefühl loswerde, kurz vor dem Erstickungstod zu stehen. Oder es ist der Atem für den Alltag, und ich bekomme ein Hilfmittel angereicht, wie ich nicht mehr hyperventilieren muss wenn der Chef wieder etwas auf gestern gehabt haben will. Es sollte ganz anders werden.
Kurz vor dem zweitägigen Kurs in der Yogablume hatte ich mir dann doch den Beschreibungstext etwas näher angeschaut, um zu wissen, womit ich mir wieder meine Freizeit verbaue, und war auch schon wieder etwas missmutig: Atmung! Ja also, wenn ich das nicht beherrschen würde, wäre ich ja schon längst in der Kiste. Atmen? Tu ich! Wie konnte ich mir nur einen Zwei-Tage-Kurs im Atmen buchen und mir nehmen, die Wohnung mit Frühjahrsblumen zu bestücken, die Möbel nach meinen neuesten Vorstellungen zu verrücken, ein Buch zu lesen, und, und, und? Immerhin, das Schlagwort „Transformational Breath“ machte mich neugierig. Transformation ist ja schon so ein bisschen neuer Mensch werden. Ob aber esoterisch angehauchte und orange gekleidete Menschen wohl kommen würden, ob überhaupt jemand kommt oder nur ich dem Wolkenbild zum Opfer gefallen bin?
Letztendlich war der Kurs sehr gut besucht, und es waren alles bodenständige Menschen. Und wie sich gegen Ende des Kurses gezeigt hatte, einfach die liebenswertesten Menschen überhaupt. Gefühle wurden, das nehme ich vorweg, auf jeden Fall als Ergebnis von „Transformational Breath“ offengelegt – sogar bei einer offensichtlichen Buchhalternatur.
Christine Schmid, die Kursleiterin und mein Atem-Coach für die nächsten zwei Tage, erschien auf der Matte. Sie strahlte genau diese Ruhe und Klarheit aus, die mir als Person fehlt, um ausbalanciert sein. Erste Zustimmung machte sich in mir breit: „Bitte liebe Christine, gib mir was von Dir! Kann man Ausstrahlung wie eine Organspende in einen anderen Menschen einpflanzen, nur eine winzige Zelle von Dir, und ich werde sie wachsen lassen?“
Das Atmen musste definitiv der Schlüssel sein. Laut Christines Erzählungen war sie früher im Berufsleben genauso eine Getriebene und litt unter Kopfschmerzen, und ihre Lebensqualität schien sehr überschaubar zu sein. Aber „Transformational Breath“, was Christine in ihrer Auszeit in den USA von der Gründerin Judith Kravitz lernte, versprach ja schon durch seinen Titel, eine Hausnummer größer zu sein als nur bewusstes Atmen. Mit einer typische Pranayama-Technik wie im Yoga wurde ich nicht konfrontiert (uff!).
Christine ist Deutschlands einzige Coachin für Transformational Breath. Umso mehr kann ich mein Glück gar nicht fassen, dass dieser Workshop im beschaulichen Schwabenland stattfand und ich dabei war. Danke an mich, dass ich auf schöne Bilder „hereinfalle“. Was für ein Privileg, diesen Kurs für mein Leben mitbekommen zu haben. Christine bildet zum Glück die nächste Generation an Transformational-Breath-Coaches aus. Eine ihrer Schülerinnen war als Assistentin bei uns dabei: die liebenswerte Sandy, die selbst durch den Weg des Nichtwollens erstmal gehen musste (das werden dann die besten Lehrer), war mit dabei, und sicherlich gibt es auch bald die Atemkurse hier: Haus Erfenstein!
Es ist noch viel mehr drin, also sozusagen Luft nach oben, als sich nur seines Atems bewusst zu sein. Wir sind in der Lage, belastenden Kram wirklich abzuwerfen, wenn man uns ein paar Werkzeuge anreicht. Über so manchen Ballast sind wir uns ja gar nicht bewusst, so tief vergraben sitzt er. Da dachte ich immer, so sehr wie ich mein Herz auf der Zunge trage, so sehr wie ich meine Hosen runterlasse, da hat doch ein Unterbewusstsein kein Chance, sich einzulagern – ich lebe an der Oberfläche. Die Tiefpunkte in meinem Leben und die nicht wenigen schmerzhaften Erinnerungen aus meiner Kindheit, die haben andere Menschen ja auch. Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Meine Päckchen grüßen mich regelmäßig mit einem „Hello“, und ich nehme sie an und hatte mir selbst einmal das Versprechen gegeben, niemals zu verbittern. Nach meinem Workshop musste ich aber erkennen, dass es mein Unterbewusstsein doch gibt, und zwar gar nicht so klein. Und wenn man aus ihm Stoffbahnen machen würde, könnte der Künstler Christo nicht nur das Versailler Schloss damit einhüllen, sondern die Unendlichkeit. Wie schwer so ein Kummerrucksack wiegen kann, spürt man erst, wenn man ihn mal abgelegt hat. Man weiß es vorher ja auch nicht besser.
Was hat Christine nur gemacht, dass ich zu mehr Lebensqualität gelangt bin? Die Methode ist laut und wild. Weit entfernt von sphärischen Klängen, tibetischen Mönchsgesängen oder sanftem Panflötengedudel. Etwas AC/DC braucht es schon als Zutat. Wir durften auf laute Musik abhotten, unsere Arme beim Einatmen in die Luft strecken und beim Ausatmen wieder nach unten. Nach zwei Titeln war ich schon gut erschöpft (zu meiner Verteidigung: es waren die Long Versions), danach durften wir uns hinlegen, wahlweise auf Bauch oder Rücken, uns Raum geben, die Kiefer wie ein Karpfen öffnen, weiter die Bässe der Musik spüren, und dann ging es weiter mit „kick, pound and tone“. Und hier werde ich mich jetzt in Schweigen hüllen. Würde ich es beschreiben, wer weiß ob es abschreckend wirkt? Und das wäre kontraproduktiv. Ein Quäntchen Mut gehört jedenfalls dazu. Und hätte ich die Methode vorher sehen dürfen, wer weiß ob ich mir den Genuss des Workshops gegönnt hätte? Macht aber einer in der Gruppe den Anfang, steckt das auch andere an. Ich möchte unbedingt jeden dazu ermutigen, auch dieses Erlebnis zu haben. In aller Kürze: Wir greifen unsere Ebenen im Körper an, alle drei gleichzeitig:
- die körperliche Ebene: um Verspannungen zu lösen und die Selbstheilungskräfte zu aktivieren
- die emotionale Ebene, um den verdrängten Dreck an die Oberfläche zu katapultieren und dann loszulassen
- die spirituelle Ebene (da ist jeder durch seinen Glauben natürlich individuell inspiriert), um Vertrauen zu entwickeln und den Mut aufzubringen, wir selbst zu sein.
Es ist wieder der Körper, der uns die Tür aufhält, nach innen zu gehen. Und dort lässt sich alles aufwirbeln, schütteln, erbeben und ertönen, wir sind ja beweglich. Nur der verdrängte Müll, der Kummer und der Gram, die dümpeln in sehr niedrigen Frequenzen dumpf und schwer in einem Morast vor sich hin. Durch Bewegung, Schwingungen und Töne können wir diese aber kurzwelliger werden lassen und auf andere Ebenen katapultieren. Dabei kann man sich wortwörtlich den Drecksack vorstellen, wie er auf einer Schaukel sitzt, und wir schubsen ihn an. Das macht ihm zunächst ziemlich Spaß und er kann uns ärgern und sich immer öfter beim Hochschaukeln mit einem „Hello again“ melden. Bis die Tränen fließen. Natürlich ist das schmerzhaft, aber nun wird der Drecksack greifbar. Wir wussten von seiner Existenz ja nicht mal, und nun erkennen wir, was da in unseren Tiefen rumort. Wiederholen wir unsere Übungen und sorgen für immer mehr durchdringende und kurzwelligere Energie, erwischen wir irgendwann mal den Zenit, wo der Drecksack sich nicht mehr an den Schaukelseilen halten kann und abspringen muss. Wer so fies war, darf ruhig mit dem Gesicht im Schlamm liegen bleiben.
Von Beginn unseres Tanzes bis zum Liegen hatten wir den Mund locker geöffnet und atmen auch durch diesen. Das ist ungewohnt, strömt doch direkt und ungefiltert ein kalte Luftbrise in unserem Körper nach unten, und der Rachen wird trocken. Aber es entspannt den Kiefer so ungemein, und der Kiefer wiederum ist das Spiegelbild unseres Beckens. Locker im Kiefer, locker aus der Hüfte … und das Mittelstück, die Wirbelsäule, bleibt auch flexibel. Es ist so logisch.
So ein Transformational-Breath-Coach kann auch Menschen nach ihrem Atem analysieren. Begegnet mir ein Psychologe und outet sich als dieser, weiß ich sofort nicht mehr, wohin mit meinen Händen, und hoffe, meine Mimik entgleitet mir nicht komplett. Bei Christine ist es noch unheimlicher – sie erkennt die ganze Persönlichkeit am Atemmuster: eine Schülerin lag als Studienobjekt auf dem Boden, und Christine konnte ihr Leben sehr genau wiedergeben anhand der Atmung. Zittert das T-Shirt leicht in der Einatmung, bestimmt das Zwerchfell diese Bewegung, bedeutet das, dass der Mensch sich nicht genug Raum gibt, gut zu sich selbst zu sein. Und zuerst müssen andere versorgt werden, bevor man an sich denkt, andernfalls fürchtet man Liebesentzug. Schon an der Atmung von Kindern kann man Ähnliches feststellen. Sind sie ungeliebt oder fühlen sich so, möchten sie sich noch kleiner machen, wenn nicht sogar verschwinden. Sie trauen sich nicht, raumgreifend zu werden, und unterbewusst spiegelt genau das die Atmung wieder. Die flache und unterversorgende Atmung bleibt dann auch so, bis wir Greise sind. Es sei denn, wir werden uns darüber bewusst und gehen die Sache an.
Und es wird noch unheimlicher: nach dem ersten Tag mit fröhlichem Hüpfen und Tanzen wachte ich mit Schmerzen auf. In meiner linken Hüfte war etwas verschoben und verklemmt: ein Band, ein Nerv, ich weiß es nicht. Ich konnte kaum aufstehen. Wut, Verzweiflung, sicher auch Selbstmitleid flossen in Tränen hinunter. War ich nicht genug bedient mit meiner Ferse und meinem Nacken? Ich überlegte mir, ob ich am Folgetag überhaupt zum Workshop gehen konnte. Aber vielleicht hatte ich ja Glück, und einer der Teilnehmer war Physiotherapeut und konnte mich auf die Schnelle wieder einrenken? Die Treppe zum Studio hoch war ein Martyrium. Angekommen entdeckte ich Christine in einem Separée bei den Vorbereitungen für ihren Unterricht. Es sind die Momente, in denen Yogalehrer sich noch einmal für einen Moment Ruhe gönnen, sich konzentriert zurückziehen und durchatmen, bevor der Sturm losgeht. In diesem Moment einen Lehrer anzusprechen kann zur Folge haben, der unbeliebteste Schüler auf dem Planeten zu werden – in irgendeiner Form wird der Groll des Lehrers einen erfassen. Man braucht nicht damit rechnen, ohne Folgen rauszukommen. Aber ich wusste nicht, ob sich nochmals ein Zeitfenster auftun würde, und ich war verzweifelt – ich musste doch Bescheid geben, dass ich nicht den Elvis Presley abgeben kann und dass Bewegung mir Schmerzen bereitet. Und dann kam alles anders: ich war Christine willkommen – dieses Gefühl gab sie mir. Ich konnte kaum damit umgehen, da es nicht meinen Erwartungen entsprach. Ohne mit der Wimper zu zucke, analysierte sie meine linke Hüfte als doch sehr interessant, mein Körper käme mit meinen Lebensveränderungen und Schritten nicht mit. Widerworte in meinem immer noch verblüfftem Zustand konnte ich nicht geben, und wenn man schon liebevoll empfangen wird, gehört sich das ja auch nicht. Aber was sind das nur für nette Menschen, die denken, meine Grobstofflichkeit könnte etwas Feinstoffliches sein? Ich würde einfach am nächsten Werktag einen Orthopäden aufsuchen, der meine Hüfte wieder in die richtige Bahn lenkt. Eine Nacht nach dem Workshop erinnerte mich nur noch eine kleine Stelle wie ein blauer Fleck an mein Gebrechen. Ein Wunder – oder ist in mir doch mehr? War das jetzt durch die Atmung erzeugt? War das schon einer der greifbaren Drecksäcke?
Aber auch unsere Atmung und das neue Lebensgefühl sind ja gar nicht so unwissenschaftlich. Unseren Körper haben wir zeitlebens mit uns herumgeschleppt, und was unser Hirn schön in Schubladen steckt, die so verklemmt sind, dass sie nicht mehr aufgehen, hat unser Körper ganz anders abgespeichert. Unser Körper arbeitet ohne Schubladen, nur mit Schichten. Mit unserer Atmung erreichen wir diese und erlangen wieder Gefühl. Richten wir in uns Chaos an, wird alles durchgeschüttelt und neu geordnet. Viel Geschlucktes kommt wieder zum Vorschein. Und durchaus verspürten einige Teilnehmer Übelkeit, und Schleim löste sich. Das alles dürfen wir von uns geben und ausscheiden – zum Drecksack mit dazu.
Atmung ist Medizin! Wie wir atmen, so leben wir! Atmen wir nicht, leben wir nicht. Atmen wir intensiv, leben wir intensiv … um Christine nochmals zu zitieren.
Ich gebe meinen Atem so schnell nicht mehr her. Seit meinem Workshop ist mindestens ein Widerstand weggefallen. Nun volle Lungenflügel voraus!
Ein anderer Mensch bin ich durch „Transformational Breath“ übrigens nicht geworden, aber eine neue Lebensqualität habe ich gewonnen. Und EIN Anderer zu sein, ist nicht gleich DER Andere zu sein. Aber dazu sicher ein anderes Mal.
Ich bin tief dankbar für die schönste Wochenendgestaltung jemals. Danke an Christine Schmid und Sandy Assmann und allen mutigen Teilnehmern! Und dafür, dass dieses Event stattgefunden hat an das Herz der Yogablume: Nicole Riedinger, Tina und Amelie!
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