Die Kunst des Loslassens

Man muss die Feste feiern wie sie fallen … oder liegt etwa Magie in der Luft? Meine Bedürfnisse und Wünsche sind den aktuell angebotenen Workshops wohl Befehl.
So wenig wie ich mich gerade um meine Asana-Praxis im Yoga schere, so zahlreich sind gerade die tiefergehenden Workshops auf dem Markt vertreten. Ist das Zufall oder nur meine Wahrnehmung?

Das „Fuß über Kopf“ im Stuttgarter Westen.
Eine dreiteilige Workshop-Reihe mit Magdlena Werner zum Thema Psychologie steht gerade auf meinem Menüplan. Und als Geschenk dazu darf ich gleich ein Yogastudio ausprobieren, welches ich zuvor noch nicht kannte, aber dessen guter Ruf ihm vorauseilt: das Fuß über Kopf. Mitten im Stuttgarter Westen entzückt es mit Berliner Hinterhofcharme ohne viel Gedöhns und Schnickschnack.
Magdalena, kurz Lena, kannte ich noch von früher – sie unterrichtete in meinem Studio, in dem ich mein Dauerabo habe. Ich kam nicht besonders regelmäßig zu ihren Stunden, da ihr Unterrichtstag der Samstag war und ich es vermied, am Wochenende fremdgelenkt zu sein. (Die Zeiten haben sich geändert: jetzt empfinde ich alles als Fremdlenkung, was mich vom Yoga abhält…) Erst zum Schluss kam ich immer öfter in ihre Stunden, und ihr Wissen und ihre ruhige Art brannten sich wie ein langsamer Schwelbrand in mir ein. Und meist dann, wenn ich nach einem Lehrer süchtig geworden bin, hört dieser auf. Lena wollte sich mehr auf ihren Hauptjob konzentrieren und Jugendlichen mit Selbstzerstörungsantrieben wie dem Ritzen helfen. Lena ist Psychologin. Hilfe! Davon erfuhr ich erst in einer ihrer letzten Stunden. Ihr erinnert Euch: „Wohin nur mit meinen Händen, was verraten meine Pupillen, und wohin galoppiert wieder meine Mimik – und zwar ohne mich?“ Zeit, dass ich mich nun selbst mit Psychologie beschäftige – um mir die Angst zu nehmen, dass ich bis aufs Knochenmark durchschaut, durchleuchtet und geröntgt werde. Nun, Lena ist Mensch, und zwar einer der angenehmsten Sorte – einfach hinreißend. Die Angst, sie zu grüßen und zu umarmen, ist mir schon mal genommen. Und zum Glück gibt sie nun wieder regelmäßig Yoga-Unterricht.
Von meiner gebuchten Dreier-Reihe habe ich bereits einen Kurs hinter mich gebracht: „Die Kunst des Loslassens“. Und auch hier hat sich wieder ein Schleier der Unwissenheit gelüftet.
Ich wurde neulich gefragt, ob ich denn überhaupt so viel aus meinen Workshops erzählen dürfte. Ja! Ich beschreibe schließlich meine persönliche und subjektive Erlebnisreise. Es bleibt immer genug übrig, was noch in Erfahrung gebracht werden muss und was ich nicht preisgebe. Im Gegenteil, ich würde mir wünschen, alle Menschen kämen in den Genuss, sich dem Leben, ihrem Leben und damit auch dem Yoga zu öffnen.
Also hier wieder ein Schmankerl von aufgesaugtem Wissen: Wie Erinnerung überhaupt entsteht.
- Erinnerung des Verstandes und des Gehirns
Wird unser Gehirn doch immer so hoch gelobt. Wir unterscheiden uns durch unser Gehirn in klug oder dumm (ohne das eigentliche Eichmaß zu kennen, was wirklich intelligent ist). Aber so klug ist das Gehirn dann doch auch wieder nicht. Ein kleiner heimtückischer Trickbetrüger trifft es eher. Leider spiegelt unser Hirn keine wertneutralen, objektive Zustände wider. Es erkennt die Wahrheit nicht. Sind wir mit einer Situation konfrontiert, wird das als Erfahrung eingelagert. Das ist Überlebensstrategie. Wir sollen natürlich sofort gewarnt werden, um nicht noch einmal denselben Fehler zu begehen. Und deswegen bedient sich unser Gehirn des Stilmittels der Übertreibung. Eine schlechte Erfahrung wird für Überlebenszwecke in eine viel geräumigere Schublade abgelegt, die ausnahmsweise auch mal nicht klemmt, als gute Erfahrungen. Nach denen müssen wir tief kramen. Also: einmal quietschende Autoreifen beim Überqueren der Straße gehört, und wir werden so schnell nicht mehr bei Rot über die Ampel gehen.
Einmal bin ich als Kind in einem bretonischen Hafengebiet bis zum Rumpf im Morast eingesunken. Und natürlich werde ich mich nie wieder so leichtfertig der Muschelsuche in schlammigen Untergründen hingeben. Allein schon der Anblick von Booten auf Sandgrund während der Ebbe lässt mich sofort Abstand nehmen. Und, hah, bis zum Rumpf – da haben wir es schon! Es waren doch nur die Knie (nicht dass das nicht ausgereicht hätte, um sich nicht mehr bewegen zu können). Meine Regenbogengummistiefel, aus denen ich rausschlüpfen konnte, habe ich dann noch im Sonnenuntergang ganz versinken sehen. Ein wahres Drama habe ich drumrum gestrickt.
Und es gilt wieder: Du bist nicht Deine Erinnerungen! Traue ihnen nicht! Viel gefährlicher wäre es, nichts Neues mehr im Leben auszuprobieren, in unserer eigenen Endlosschleife zu stecken, Situationen falsch zu beurteilen, Vorurteile zu pflegen und keine neuen Chancen einzuräumen – weder gegenüber Situationen noch Menschen. Wir würden uns zum Sklaven unserer selbst machen. Ein Armutszeugnis fürs Leben! - Das Zell- und Körpergedächtnis
Da werden uns Schuhe vor die Türe gestellt, die wir anziehen müssen. Schon mit der ersten Zellteilung im Mutterleib werden wir programmiert, und zwar unabhängig von der ohnehin vorhandenen Genetik. Die Mutter überträgt ihren Hormonhaushalt auf ihr ungeborenes Kind. Ist der Pegel der Stresshormone bei der Mutter hoch, ist die Wahrscheinlichkeit groß, ein gestresstes Kind auf die Welt zu bringen – immer auf der Jagd nach Problemlösungen. Es gibt nicht nur Helikoptereltern, es gibt auch Helikopterkinder. Ein umgehängtes Bild im gewohnten Raum wird sofort erkannt und als Störfaktor identifiziert. Haben die Großeltern und Eltern ihre Kriegstraumata mit sich getragen und sich nie die Zeit gegeben, diese furchtbaren Erlebnisse zu verarbeiten (oder es gab beim Kampf ums nackte Überleben auch dafür überhaupt keine Zeit), wird dies an die Folgegenerationen weitergegeben. Auf immer verdammt! Und egal welches Trauma unsere Eltern geprägt hat, ob sie davon überhaupt selbst wissen – die Kinder tragen die Folgen. Das erklärt, warum manche Reaktionen überhaupt nicht zu einer Situation passen.
Ich hatte sowas ja schon geahnt, aber dass es nun wirklich wissenschaftlich erwiesen ist, finde ich spannend bis fast beruhigend. Wir können nichts für das, was wir nun mal sind. Dass wir dann allerdings nichts dafür unternehmen, dass es uns besser geht, dafür können wir etwas. Mit dem neuesten Wissen lässt sich doch jetzt schon viel anfangen. Und auch eine Bodymap, also eine Körperkarte, liefert Indizien, was da in uns rumort. Ein Bandscheibenvorfall kann aussagen, dass man sich vom Leben im Stich gelassen fühlt. Wer alle Körperteile kartographiert haben möchte, muss sich dafür an Lena wenden. Es ist so spannend!
Das Loslassen und sich verändern ist natürlich auch kein Spaziergang, oder neudeutsch: es ist kein Ponyhof. Ohne sich Zeit zu nehmen und Ruhe zu gönnen, funktioniert es nicht. Heilung passiert nur in Ruhezuständen, deswegen konnten die Kriegsgenerationen vor uns gar nicht anders handeln. Für den Heilungsprozess an sich gibt es überhaupt kein Zeitlimit. Wie oft tröstet man einen Menschen oder vor allem sich selbst mit Worten und Gedanken wie: „Nun, Ihr wart drei Jahre zusammen, spätestens in drei Jahren ist alles vorbei.“ Leider stimmt das nicht. Ein Schmerz kann verdammt tief sitzen.
Das Hirn sagt auch, „hey, ist doch alles supergut“, und hält sich mit diesen Glaubenssätzen über Wasser. Leider steht genau dieses Organ, welches wir als Hauptdarsteller in uns betrachten und von dem wir denken, dass es uns ausmacht, nicht mit unserem Körper und unserer Seele im regelmäßigen Austausch. Es ist vielleicht doch der Körper, der mit mehr Intelligenz arbeitet – zumindest was unser Innenleben angeht.
Unser Gehirn ist sogar ein richtiger Faulpelz. Verweilen wir bei unserem alten Mustern, belohnt es uns sogar dafür und schüttet Glückshormone wie Konfetti aus. Klar macht das süchtig. Für unser Hirn ist das aber der Energiesparmodus. Und Körper und Seele werden weiterhin krank im Schlepptau hinterhergezogen. Bis der Fluss in uns versiegt ist, die Augen trübe sind, und uns ein echtes, authentisches Leben verwehrt blieb. Also Kopf aus und Herz an! Der Fluss in uns will strömen, am liebsten frei von Staudämmen und Blockaden. Er entspringt in unseren Nieren und wird Prana oder in der chinesischen Medizin Chi genannt.
Ja, und nachdem wir wissen, mit welcher Bockigkeit und Sesshaftigkeit eine schlechte Erfahrung es sich in uns gemütlich gemacht hat, kann man dieser sehr wohl etwas entgegensetzen: drei gute Erfahrungen! Da ich momentan wieder nichts besseres zu tun habe als ans Essen zu denken: das letzte miserable Restaurant muss dringend ausgeglichen werden. Drei gute Essen werden nun folgen.
Und dann wären da noch unsere Gedanken. Positiv denken und in liebevollen Worten, schafft ganz neue neuronale Verbindungen. Vielleicht nehme ich mir auch dies zu Herzen, besonders im Autoverkehr. Aber wie oft erwische ich mich dabei, dass ich mir sogar selbst einen Vorwurf nach dem nächsten mache. Was wir uns als Kind so sehnlichst gewünscht hätten, bei einem Fehler in den Arm genommen zu werden und gesagt zu bekommen, dass doch alles nicht so schlimm ist, das können wir mit uns selbst machen. Liebe bekommt uns einfach besser, auch wenn der Hass uns schneller nährt und einfacher abzurufen ist.
Und wenn die Selbsthilfe nicht greift, sollte sich man sich Hilfe von außen holen. Das ist ein mutiger Schritt, aber es machen so viele, nur leider redet kaum einer darüber – es scheint immer noch ein gesellschaftliches Tabu zu sein. Dabei machen wir so doch nur unser Selbst besser, authentischer und ehrlicher. Was kann uns mehr wert sein? Das Schönste ist, Verantwortung für sich selbst zu tragen! Da darf uns keiner reinquatschen, uns belehren oder es uns ausreden! Veränderung kann auch zeitweise einsam machen, ein Freundeskreis kann zerbrechen – aber ein neues Grundstück wird frei, und etwas Neues darf sich darauf entstehen. Vielleicht bleibt es auch bei einer Wiese, und wir können Bienen nähren.
Ich freue mich auf die nächsten beiden Workshops mit Lena: „Die Kunst der Akzeptanz“ und „Die Kunst der Freiheit“. Yippie!
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