Von guten und schlechten Lehrern
Yogalehrer sind Geschmackssache und dabei vielseitig und bunt wie eine Blumenwiese. Trotzdem kann man von ihnen nicht auf die restliche Menschheit schließen. Yogalehrer sind anders.
Natürlich hinterlassen auch sie einen Lenkradbiss, wenn sie im Stau stehen und die Zeit zum Unterrichtsbeginn schon angezählt wird. In den meisten Situation bleiben sie jedoch gefühlt gefühlsneutral beziehungsweise gleichbleibend freundlich, lassen sich nicht zu sehr von Emotionen aus dem Konzept bringen, und scheinen jedem Sturm gewachsen zu sein. Sie begegnen einem meist besonnen und mit einem Lächeln und lassen sich weder durch Gewitterwolken herunterziehen, noch gibt es aber den Zustand himmelhochjauchzend.
Man muss an ihnen schon dran bleiben, neugierig und treu bleiben und dann wird man überflutet von Überraschungen. Ein guter Schüler macht auch erst einen guten Lehrer. „Die harte Nuss knacken“ wäre ein falscher Ausdruck – weil Yogalehrer nun mal alles andere als hart sind. Nicht selten sind sie Kritik ausgesetzt und es scheint, wenn man es ihnen Gesicht ins Gesicht sagt, ist ihnen das lieber als das, was sonst Gang und Gäbe ist: der Umkleidekabinen-Tratsch ohne Anwesenheit ihrer selbst. Sind sie über das Missfallen des Schülers in Kenntnis gesetzt, können sie darauf reagieren, beziehungsweise ihren Standpunkt erklären, warum sie es so machen. Eine Umkleidekabinen-Kritik ist hingegen hinterrücks. Nicht dass es dort nicht auch Lob gibt, aber nicht selten ist es auch so, dass der Lehrer es mal wieder keinem recht machen konnte: da war dem einen mal wieder die Stunde zu lasch, dem anderen zu kraftvoll, das eine Asana vollkommen falsch angesagt, die Stimme des Lehrers zu laut, zu leise, zu schroff, die Musik war auch Müll, achja und zu teuer ist doch eh immer alles. Das ist die Freiheit des Yogaschülers.
Einen Yogalehrer, der über seine Schüler herzieht, habe ich noch nicht erlebt. Zeuge wurde ich jedoch, dass Schüler auch schon mal mitten im Unterricht die Matte zusammengerollt und kopfschüttelnd das Studio verlassen haben (Kreislauf und Schwindel sind natürlich entschuldigt). So viel Resilienz und Standfestigkeit wie sich ein Yogalehrer erarbeitet hat, muss dies trotzdem verdammt weh tun. Die meisten möchten so gerne geben, Verständnis ebnen und Gutes tun, und dann dreht sich alles um 180 Grad. Es gibt zwar gute Literatur zum Thema „nichts persönlich nehmen“ oder „sich einen dicken Pelz zulegen“. Aber ich glaube, das Geheimnis ist, dass der Yogalehrer durch Feinfühligkeit und höhere Sensibilität als beim Durchschnittsmenschen seinen Werdegang genommen hat. Man entscheidet sich für diesen Beruf, weil man oft an der harten Gesellschaft zerbrochen ist, weil das Leben Spuren hinterlassen hat und der Sinn des Lebens mit Yoga vielleicht doch besser ergründbar ist.
Yogalehrer ist übrigens meist ein Nebenberuf, eher Berufung … aus Leidenschaft halt. Die Brötchen lassen sich damit selten verdienen, es sei denn man springt auf den marktschreierischen Werbe-Zug auf, was sich aber mit dem yogischen Weg oftmals in die Quere kommt. Die, die Yoga hauptberuflich machen, mussten fast alle Sicherheiten aufgeben, die ein Erste-Welt-Land bietet. Mut, nichts als Mut! Ich ziehe meinen Hut und verneige mich.
Ein guter Yogalehrer, das musste ich lernen, freut sich übrigens, wenn der Schüler Schwamm ist, der auch wirklich Wissen aufsaugen will und ein Loch in den Bauch fragt (naja, vielleicht überspanne ich ja mal wieder den Bogen). Ein Lehrer ohne Schüler ist kein Lehrer. Es braucht beide Seiten. Und letztendlich wird auch fast jeder angeleitet, seinen eigenen Lehrer in sich zu finden. Hilfe von außen ist manchmal bitter nötig, und egal in welchem Lebensabschnitt wir gerade stecken oder sogar feststecken, einen Wegweiser zu haben tut gut, wenn nicht gar Wunder. Nicht selten ist ein Yogalehrer den ähnlichen Weg schon vorangegangen. Nicht jeder Lehrer ist „Liebe auf den ersten Unterricht“, aber es ist durchaus lohnenswert, zu beobachten, was passiert, wenn man mit Zähigkeit und Disziplin weitere Male ausprobiert.
Und zu „aller Anfang ist schwer“: wie oft wurde ich aber auch im Yogaunterricht korrigiert? Der Arm steht nicht senkrecht zur Decke, die Hüfte könnte viel paralleler sein, der Nabel zieht nicht genug nach innen oben und am allermeisten: mein in Falten geworfenes Anstrengungs-Gesicht. Was fühlte ich mich schon kritisiert. Nichts scheine ich zu können. Dann beobachtete ich (manchmal ist es eben doch hilfreich, sich im Raum umzuschauen und den Blick auf die anderen Kursteilnehmer schweifen zu lassen), wie Yogalehrer andere Yogalehrer korrigieren. Seitdem hatte sich das Blatt für mich gewendet. Eine Stunde ohne Korrekturen an mir, und ich fühle mich aufgegeben und als hoffnungsloser Fall beiseite gelegt. Natürlich gibt es auch hier Unterschiede, manche Lehrer korrigieren immer und manche mögen es einfach nicht und wollen das selbst erzeugte „von-innen-spüren“. Ich für meinen Fall bin mittlerweile dankbar, wenn ich von außen einen Input bekomme.
Natürlich ist mir auch schon der „schlechte Lehrer“ auf der Matte erschienen. So war ich der Meinung, der Zeitpunkt wäre gekommen, eine körperlich anspruchsvolle Stunde bei einem der angesagten Lehrer zu buchen. Kaum da, wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich immer als das schlechte Beispiel hergezogen wurde zu Demonstrationszwecken, wie man es halt eben nicht macht. Ein Gefühl, das ich aus meiner Schulzeit nur allzu gut kannte. Ich fühlte mich bloßgestellt. Zum Stundenende bei angesagtem Lehrer durften wir noch einen Handstand wagen. Mein erster Handstand nach circa 30 Jahren! Und wie damals nahm ich Schwung und schellte mit Karacho gegen die Wand. Was für einen Spaß das machte. Sollte die Yogastunde doch noch ein gutes Ende nehmen? Die Antwort ließ nicht allzu lange auf sich warten: nein, sie sollte kein happy end haben. Nein, es durfte nicht mal so geschwind Spaß machen. Zu früh gefreut! Wie konnte es anders sein, ich hatte es falsch gemacht und alle Schülerköpfe drehten sich zu mir um, nachdem ich meinen Tadel einkassiert hatte. In einen Yogahandstand wird nicht reingesprungen. Die Kraft des Bauches hebt einen in die Umkehrhaltung. Um Tapferkeit zu beweisen, probierte ich das aus – ich fiel auf den Kopf. Der Stunde war ich nicht annähernd gewachsen und das obwohl ich doch schon länger übte. Auf der Toilette als Rückzugsort nahmen auch prompt ein paar Tränen ihren Lauf. Dieser Lehrer unterrichtete kein Yoga, sondern gab einen astreinen Turnunterricht. Besonders aufgeschlossen in der Stunde und um einen liebevollen Umgang bemüht, war er gegenüber den jungen und hübschen Damen. Ich war nun mal nicht mehr jung und hübsch. Ich fühlte mich missbraucht als Transportmittel, dass er sich selbst reden hört und sich selbst darin nur allzu gut gefällt. Was war ich wütend. Sollte ich von nun an in keine Yogastunde jemals wieder gehen, dann war er daran schuld. Aber gelernt habe ich doch ein bisschen, zumindest über mich. Hätte ich nicht gelassener reagieren können, warum hat er mich zum Heulen gebracht? Aufgegeben habe ich jedenfalls nicht. Meine Bauchmuskeln hatte ich in meinem Trotz trainiert, so dass mir zwar immer noch nicht der freistehende Handstand gelingt, aber eine Plank-Position länger auszuhalten ist als zu meinen Anfängen. Mit Yoga hat das nicht viel zu tun: Ehrgeiz, Trotz, Wollen und Können!
Mein zweites Fallbeispiel zu Schlechtem-Yogalehrer-Sein begegnete mir noch zu einem viel früheren Zeitpunkt meiner Yogaanfänge, noch bevor die zweijährige Yogapause kam und ich zu einem Zeitpunkt dachte, einmal Yoga in der Woche reicht vollkommen aus – der herabschauende Hund war ja ganz schön anstrengend. Ich hatte nur die eine Lehrerin, meine Nesli, sie prägte mich und ihre Sätze waren für mich die einzige Wahrheit. Sich auf andere Yogalehrer einzulassen, war ein Ding der Unmöglichkeit. Schnelle Asana-Wechsel konnten nicht richtig sein, ich lernte, dass Asanas richtig ausgerichtet sein müssen, und hierfür nahm man sich Zeit. Nesli war meine Sonne, mein Fixstern, und alle anderen irrten. Bestärkt in meiner monotheistischen Ansicht wurde ich als Nesli für einen Tag einen Ersatzlehrer für sich suchte. Gerade mal knapp zehn Yogastunden mochten es sein, die ich hinter mir hatte, und daran gewohnt, dass diesen hinderlichen Sanskritbegriffen eine deutsche Anleitung folgten. Die eingesprungene Lehrerin machte nur Sanskrit-Ansagen. Sehr wohl hatte diese Person ein Briefing bekommen, dass es sich bei unserer kleinen Gruppe um „absolute beginners“ handelt. An dem Tag war die Gruppe so klein – weil Nesli mit Ankündigung fehlte –, dass es sich nur um mich handelte. Ich witterte einen schönen Einzelunterricht zu bekommen, und dass man sich jetzt erst recht auf mich einlassen könnte. Ich bat sie, die Ansagen doch auch noch zu beschreiben, da ich dem Sanskrit noch nicht wohlgesonnen war und Yoga an und für sich noch mein Interesse vollends wecken musste. Mir blökte ein „Warum?“ entgegen, und holzig und ohne jede Empathie wurde der Unterricht fortgesetzt. Also die Ersatzperson machte Yoga für sich, denn ich konnte ja nichts umsetzen. Und dieses Mal schüttelte nicht der Schüler, also ich, den Kopf, sondern sie. Ich holte es nach, allerdings auch wieder auf der Toilette. Mein großes Talent ist es, allen Menschen direkt die Wahrheit zu sagen – „the German hammer approach“, wie ein ehemaliger Chef über mich zu sagen pflegte. Aber diesmal fehlten mir sogar die Worte. Meine Lehre daraus: egal wie fortgeschritten eine Yogapraxis sein mag, gib jedem eine Chance sich zu entwickeln, und hole ihn da ab, wo er sich befindet.
Ein guter Lehrer bleibt einen selten fürs Leben erhalten. Hatte ich mich an einen nicht nur gewöhnt, sondern ihn lieben gelernt, verließ er mich: Ortswechsel, Jobwechsel oder Schwangerschaft – die Konstante im Leben eben: die Veränderung! Aber mittlerweile gefällt mir der Reichtum an unterschiedlichsten Stilrichtungen mitsamt ihren unterschiedlichen Lehrern. Der eine bringt mir Philosophie näher, der nächste Anatomie, wieder ein anderer lehrt mich Gottheiten, dann einer über Ayuverda und der nächste bringt mich einfach zum Lachen. Flexibilität wird von mir gefordert, so muss ich hin und wieder ein fest erlerntes Asana aufgeben. Wollte der eine Lehrer noch im Bogen geflexte Füße, sagte der nächste es an mit Füße gerade lassen, der eine Lehrer sagt „Po anspannen“ in der Kobra, der nächste „locker lassen“. Es gibt einfach kein richtig und falsch im Yoga. Hinterfragt man die Unterschiedlichkeit, gibt es meist auch eine Erklärung, und jeder Lehrer hat eine plausible. Nur der Schüler selbst vermag für sich irgendwann ausfindig zu machen, was für den eigenen Körper passt – das kann eine Weile dauern.
Gute Yogalehrer, so dachte ich lange Zeit, verfügen über jahrelange Erfahrung. Nun musste ich mich aber auch hier eines Besseren belehren lassen. So ganz frisch ausgelernte oder gar in der Ausbildung noch steckende haben auch ihre ganz eigenen Vorteile. Das Wissen ist noch frisch und will raus zu den Schülern. Auch dass verschiedenste Varianten noch ausprobiert werden müssen, macht die Unterrichtsstunden unvergleichlich abwechslungsreich und sehr gut vorbereitet.
Und was kann überhaupt alles Lehrer sein? Ein Baum, meine Katze oder neulich das kleine Mädchen in der Bahn, das so interessiert und wach geschaut hat, und mich damit wieder an meine fast aufgegebene Neugier erinnerte.
Eine Schülerin meinte neulich nach geübter Kritik am Lehrer, „es sind ja Profis, die müssen das abkönnen“. Was für eine andere Sichtweise als die meine. Alle meine Lehrer sind mir bisher auf Augenhöhe begegnet, mit offenem Herzen. Ja, sie sind Profi im Menschsein. Sensibilität hat sie erschaffen. Hoffentlich wird bald meine Ferse wieder gut. Ich möchte unbedingt wieder am Unterricht teilnehmen, und mal wieder einen Yogalehrer umarmen und ihm sagen, wie toll sein Unterricht ist.
OM
saha navavatu
saha nau bhunaktu
saha viryam karavavahai tejasvi navadhitamastu ma vidvisavahai
om shanti shanti shanti
OM
Mögen wir beide, Lehrer und Schüler, beschützt werden. Mögen wir durch unsere Gemeinschaft genährt werden.
Mögen wir mit großer Energie zusammenarbeiten. Möge unser Lernen brillant sein.
Mögen wir niemals miteinander streiten
Om Frieden, Frieden, Frieden.
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