Me too?

Vielleicht muss ich etwas in meinem Vorleben falsch gemacht haben, dass ich als Mensch wiedergeboren bin. Aber ich muss auch etwas verdammt richtig gemacht haben, dass ich als Frau wiedergeboren bin.
Nichts anderes möchte ich sein. Als Mann würde ich nicht ansatzweise funktionieren, es müsste erst ein chirugischer Eingriff erfolgen, der den XXXL-Superball-Emotionsknoten bei mir entfernt. Warum weinen immer noch so wenig Männer, obwohl sie es mittlerweile dürften? Müssen sie einfach nicht? Irgendwas läuft doch bei denen schon anders. Mir bekannte Frauen, die einen Mann als Partner haben, sind meist genervt, wenn auf so manche Lebenssituation kühl, sachlich und unemotional reagiert wird. Gerade dann, wenn man die Bestätigung bräuchte, dass man doch jetzt wirklich ungerecht behandelt wurde, man im Recht ist, richtig reagiert hat und der andere doch wirklich so was von saudumm ist, kann eine beschwichtigende männliche Reaktion rasend machen … aber auch Segen sein. Zumindest ich bekomme sofort Magenschmerzen, wenn es zwischenmenschliche Unstimmigkeiten gibt – und von ein paar anderen weiblichen Kandidaten ist mir der Zustand auch bekannt. Ein paar Atmezüge später bin ich oft froh, wenn ich wieder geerdet werden konnte und mir glaubhaft darlegt wurde, dass doch wirklich alles halb so wild ist. Schön, dass es so farbenfroh auf unserem Planeten zugeht und es unterschiedlichste Menschenkonstrukte gibt – in sogar mehr als zwei Geschlechtern. Die verschiedenen Verhaltensmuster sind nicht strikt getrennt, aber in der Regel typisch für Mann und Frau. Ob es nur Hormone sind, Erziehung, abgeguckte Verhaltensmuster? Das versuche ich bis heute herauszufinden. Klipp und klar ist: von der Wertigkeit her sind wir alle gleich.
Die Diskussion ist aber in vollem Gange und wurde neu entfacht durch die „Me too“-Kampagne!
Lange dachte ich, worüber regt sich nur die Frauheit auf? Wäre es nicht sinnvoller, sich zu kümmern, dass unser Planet überhaupt bestehen bleibt, keine Bomben mehr herab hageln, jede Pflanze, jedes Tier in seinem Bereich in Frieden leben kann, und man nicht das letzte seiner Art in hoch geschützten Reservaten besichtigen muss, unsere Meere wieder sauber werden und Menschen nicht verhungern müssen? Die Liste an To-Dos kennt kein Ende. Allein, dass in anderen Teilen der Welt Mädchen so wenig wert sind, dass sie im Straßengraben zum Sterben ausgesetzt werden, treibt mir die Tränen in die Augen. Und dass vielerorts in schwindelerregenden Zahlen immer noch Mädchen an ihren Genitalien grausam verstümmelt werden, ist unvorstellbar. Verdammt, keine Lust empfinden zu dürfen, wenn man diesen Eingriff überhaupt überlebt.
Westliche Frauen sind es aber, die auf die Barrikaden gehen. Um eine Filmrolle zu ergattern, muss(te) man sich ganz schön demütigen lassen. Nein, ich heiße das nicht gut, ich rede es nicht schön. Ich fühle mich ohnmächtig für alle, wenn aufgrund des Alters, der Religion, des Geschlechts ein Leben in Freiheit verwehrt bleibt. Es ist aber gerade die mondäne Filmbranche, die von medienträchtigen Skandalen lebt, die einen Skandal als erwünschten Nebeneffekt oft zum Überleben braucht. Der Zeitgeist vor zwei Jahrzehnten, soweit wie die aktuellen Anklagen zurück reichen, war doch ein ganz anderer: je mehr man sich die Birne mit Drogen zu dröhnte, desto besser. Je mehr Sex, desto mehr Sales. Je häufiger in den Klatschspalten, desto effektiver die PR-Maschinerie. Es gab nichts, was nicht ausprobiert wurde – und ausprobieren musste man sich.
Aber drehe ich doch mal das Zeitrad zurück und beobachte mich selbst. Dann ist die nächste Reaktion nämlich auch ein Hände-über-dem-Kopf-Zusammenschlagen: Ja, auch ich. Me too! In welche Abhängigkeiten habe ich mich nur begeben? Der Wunsch, geliebt zu werden, ließ manche Verzweiflungstat geschehen – oft leise, schleichend und unbemerkbar. Eine klare Erkenntnis gab es immer erst im Nachhinein. Aber zum Glück gab es das Nachhinein. Eine wahre Glückssträhne musste ich haben, dass das Schicksal mir immer einen Notausgang anbot. Mancher Weg aus dem Schlamassel war steinig und schmerzhaft.
Trotzdem reagierte ich mit leichtem Unverständnis, als ich von einem Gerichtsprozess las, angestrengt von einer Dame, die im Formular einer Bank als „Kundin“ und nicht als „Kunde“ benannt werde wollte. Las ich da richtig? Wurde unsere knapp „bemannte“ Justiz für eine sprachliche Titulierung aufgehalten. Musste womöglich ein Vergewaltigungsprozess dafür aufgeschoben werden? Wie kann man sich nur so an unserer Sprache aufhalten und sich so aufregen? Sprache ist immer dem Wandel unterzogen, aber doch eher in Richtung Vereinfachung. Mit der Anrede „Kunde“ kann ich mich sehr wohl als Mensch identifizieren. Mehr suggeriert das Wort „Kunde“, dass man mein Geld möchte – aber das ist ein anderes Thema. Zumal es auf dem Markt der Menschheit sogar mehr als zwei Geschlechter gibt, die auch gerne alle zu ihrem Recht kommen wollen. Einem „Unisex“ sehe ich entspannt entgegen, und dazu fände ich sogar eine unhierarchische Sprache vorteilhaft: das „you“ im Englischen hat sicher vielen schon in prekären Situationen geholfen.
Bis jetzt fühlte ich mich gleichberechtigt als Frau, einzig das Schlangestehen für einen Toilettengang rief gegenüber den Männern etwas Neid hervor. Aber bin ich vielleicht doch blind?
Eine meiner Mit-Yoginis schilderte mir ihre Situation, als sie in ihrem Single-Haushalt auf einen Handwerker angewiesen war. Es fing bereits im Türrahmen an, dass sie von oben bis unten gemustert wurde, weiter am „Herd des Unglücks“ dann für dumm verkauft wurde und nicht genug: sinnlose Reparaturen fielen an und daraus resultierend himmelschreiende Kosten. Da kann Frau noch so eine hohe berufliche Position haben. Ergeht es nicht fast jeder Frau so?
Und Position im Beruf! Es ist unverständlich, dass für gleiche Arbeit geschlechterspezifisch unterschiedlich bezahlt wird. Nein, das verstehe ich nicht. Nun, ich selbst kenne es nicht, man müsste vermutlich in einem größeren Unternehmen tätig sein. Meine Berufslaufbahn war immer von Kleinfirmen geprägt – ohne Betriebsrat, ohne Urlaubsgeld, Überstundentarif, Lohnerhöhungen und was es sonst noch so an Bonbons gibt. Es gab nie einen Vergleich für mich. Aber gäbe es einen, ginge mir so ein Lohnunterschied mächtig „auf den Sack“.
Genauso fällt mir auf, dass ich beim Betreten eines Ladens mit meinem Mann gerne übergangen werde. Freundlich grüßt man ihn zuerst. Sieht mein Mann nach der finanzstärkeren Kreditkarte aus oder etwa kauffreudiger? Rollstuhlfahrer können ein Lied davon singen, als unmündig übersehen zu werden.
In einem berühmten Stuttgarter Konsumtempel, der sich zu den Besten zählen will, wagte ich es, mich für meine Hochzeit nach einer sündhaft teuren Handtasche umzuschauen – auf die ich gespart hatte. So teuer, dass ich mich darauf freute, Champagner angeboten zu bekommen, auch wenn ich Kamillentee bevorzuge. Auf die Verkäuferin musste dann ich in dem kundenleeren Laden zugehen. Schnippisch kam die Antwort, die Tasche wäre für eine Hochzeit zu groß. Ich kam nicht mal dazu, ihr mitzuteilen, dass es sich lediglich um eine standesamtliche Feier handelt. Das nachfolgende Pärchen wurde von ihr überschwänglich begrüßt, da hatte Mann vermutlich schon mit der Kreditkarte am Türrahmen gewunken. Hach, hätte ich doch an dem Tag nur mein Chanelkostümchen und die Perlenohrringe angezogen, meinem Mann die Haare mit Gel angelegt und ihn mitgenommen – vielleicht wäre am Ende doch Umsatz zu verbuchen gewesen. Stattdessen habe ich seit acht Jahren, dem Zeitpunkt meiner Hochzeit, nie wieder einen Fuß in den Laden gesetzt.
Und ist es nicht auch so, dass die Verpackung einer Frau mehr wert ist als ihre Herzensgüte oder ihr Wissen? Und so rauschen dümmliche Make-Up-Anleitungen tagtäglich im World Wide Web an mir vorüber, und ein Tag ohne Abnehmtipps ist nicht mehr denkbar. Es wird uns verkauft, dass es die größere Sünde ist, dick zu sein als dumm zu sein.
Untragbar ist der Zustand, dass alleinerziehende Frauen sich selbst um den Unterhalt kümmern müssen. An allen meinen Fingern kann ich eine Freundin aufzählen, die diesen nervenaufreibenden Weg gehen muss. Natürlich windet sich der Unterhaltpflichtige und geht sogar so weit, auf einmal trotz guter Ausbildung Arbeitslosigkeit vorzuschieben. So etwas ist zermürbend, und die Doppel- und oft Dreifachbelastung macht schlichtweg krank.
Auch selbstverständliche Dinge wurden doch erst vor kurzem erreicht: ich war bereits auf der Welt, bis heute glaubend, in eine moderne Welt hineingeboren worden zu sein – aber erst fünf Jahre später wurde das Gesetz geändert, dass eine Frau ohne die Genehmigung ihres Mannes arbeiten darf. Erst 1977! Sexuelle Gewalt in der Ehe war bis 1997 lediglich in Kavaliersdelikt.
Es waren Frauen, die für unsere Rechte gekämpft haben, für eigentlich Selbstverständliches. Bequem hatten sie es sich nicht gemacht, und für mangelnden Liebreiz wurde frau (ich groove mich gerade doch ein) auch noch verhöhnt. Niemals falle ich einer Alice Schwarzer in den Rücken!
Das war erst kürzlich. Eine Generation zuvor musste frau zum Teil froh sein, geheiratet zu werden, um sich von der Abhängigkeit des ungeliebten Elternhauses in die nächste Abhängigkeit zu begeben.
Zwei Generation zuvor glich das Schicksal einer Frau dem des Blattes im Wind. Frau wusste nicht, wie ihr geschah, an wen man wirklich geriet und wie das Leben weiter gehen sollte insbesondere als Kriegswitwe. Und ständig die Frage, wie man überlebten sollte und konnte. Wenn ich mir vorstelle, dass meine Oma mit sechs Kindern in einen Bunker rennen musste, wie sie ihre Kinder zu Bauernhöfen schicken musste, um dort überhaupt etwas Essbares zu erbetteln, dass es damals weder Waschmaschine noch Spülmaschine gab, lässt mich das tief vor meinen Vorfahrinnen verbeugen. Für Emotionen gab es keinen Platz.
Und auch heute noch: nicht zu unterschätzen ist häusliche Gewalt gegen Frauen. Physisch und psychisch wird immer noch tyrannisiert, gepeinigt und terrorisiert. Ein freies, angstfreies Leben ist vielen nicht vergönnt. Die Bekanntschaft mit einem Richter am Landgericht legte eine erschreckende Zahl solcher Fälle zu Tage – und die Dunkelziffer ist unbekannt. Wer denkt, dass häusliche Gewalt nur in der schmuddeligen Hochhaus-Wohnung im Ghetto vorkommt, irrt – quer durch alle Schichten wird geprügelt.
https://www.frauen-gegen-gewalt.de/gewalt-gegen-frauen-zahlen-und-fakten.html
Wir sind noch lange nicht bei einer Gleichberechtigung angelangt. Nichtsdestotrotz wünsche ich mir für unsere Sprache etwas mehr Lockerheit.
Wir Frauen sind die Hälfte der Bevölkerung, fünfzig Prozent. Wir nehmen niemanden etwas weg, wir bereichern.
Hauptsache Mensch!
Meine Spende geht an: http://www.desertflowerfoundation.org/de/was-ist-fgm.html
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