Im Labyrinth der Yogastile
Dieses Thema ist vielleicht fällig, aber ich habe es immer gescheut: Yogastile ausklamüsern! Das Dickicht durchschaue ich selbst nicht zu hundert Prozent, und würde doch zu gerne Klarheit schaffen.
Das Menü hält folgende Stile bereit – und das ist nur ein kleiner Ausschnitt: Acro, Aerial, Anusara, Ashtanga, Bikram, Budokon, Forrest, Hatha, Hormon, Hot, Iyengar, Jivamukti, Yin, Kundalini, Katonah, Postnatal, Power, Prenatal, Nidra, Sivananda, Shadow, SUP, Vinyasa, und und und …
Und während ich den Satz schreibe, ist bestimmt schon wieder ein neuer Stil auf dem Markt aufgetaucht.
Eine Bekannte fragte mich neulich: sie möchte mit Yoga beginnen, welchen Stil ich ihr empfehlen könnte. Die Frage hatte ich mir selbst immer gestellt. Und hat man beim Yogalehrer nachgefragt und sich gar auf Google-Suche begeben, hat dies meist auch nicht zu mehr Klarheit geführt. Ein einziger Irrgarten, der sich vor einem ausbreitet und vom 100stel ins 1000stel führt.
Meinen meisten Freundinnen würde ich empfehlen, mit Vinyasa anzufangen, auch wenn es für fast alle Yogastile Anfängerkurse gibt. Vinyasa aber deswegen, weil dieser Stil vielleicht die meiste Lebensfreude verkörpert, die Materie nicht ganz so trocken dargereicht wird und die Asanas trotzdem korrekt ausgeführt werden. Vinyasa hat einen schönen Flow, und man fühlt sich immer mit einem „Standbein“ noch in der Außenwelt verankert und nicht gleich ganz im eigenen Körper und Empfinden allein gelassen. Mit sich selbst umzugehen muss ja erst erlernt werden. Oft sind Vinyasa-Stunden untermalt mit Musik, Sanskritbegriffe werden übersetzt oder maximal zusätzlich angesagt, und der Atem wird eingebunden. Man kommt definitiv aufgerichteter aus der Stunde heraus und hat den körperlichen Benefit. Man kennt doch nur zu gut das Bild, dass ein Mitmensch äußert, er müsste auch dringend Yoga machen. Und im Anschluss an diese Aussage darf man gleich seine Vornüber- Bückpostion betrachten – mit dem Begleitkommentar, dass es nicht mal bis zu den Knien reicht. Meist ist genau das der erste Schritt, der Menschen in eine Yogastunde treibt. Mir ist es recht – und dass Yoga so viel mehr ist, muss ich ja nicht gleich mit der Holzhammermethode um die Ohren werfen.
Allen Yoga-Angeboten, die in Europa auf dem Stundenplan stehen, liegt Hatha zugrunde. Hatha bedeutet, dass man seinen Körper überhaupt als Werkzeug einsetzen darf, um dann im glücklichen Fall Einheit zwischen Körper und Geist zu spüren. Dass der Körper ins Yoga eingebunden wird, war geschichtlich nicht immer so – Jahrhunderte lang sollte einfach nur der Geist gebändigt werden, und dieses hungrige und gierige Tier „Körper“ stand dafür einfach nur im Weg.
Ist jedoch eine Hatha-Stunde in einem Yogastudio ausgeschrieben, handelt es sich meist um eine relativ statische Praxis, ruhig gehalten, wobei die Asanas aber durchaus gemixt sind von leicht bis herausfordernd – aber das entscheidet dann auch jeder Körper individuell. Wenn Yoga durch die Bank einfach ist, kann man sich sicher sein, dass irgendetwas falsch gemacht wird. Das Gerücht, dass Yoga entspannend ist, trifft nur auf sehr wenige Asanas zu. Eher soll es lehren, enstpannt durch das Leben zu gehen, auch wenn einem der Sturm um die Ohren pfeifft.
Ist man sich aber übrigens schon bewusst, dass das alltägliche Leben einen auffordert, nicht noch mehr gepusht zu werden, vom Berufsleben getrieben, ist der Burn-Out zum Greifen nahe, dann sind klassische Hatha-Stunden oft ideal. Zumal man in diesem Stil auch mehr Zeit aufbringt, die Asanas mit ihren Ausrichtungen präzise zu erlernen.
Ein Pauschalrezept gibt es aber nicht. Meistens muss man selbst durchprobieren, vieles hängt dann auch vom Lehrer ab und natürlich erlebt jeder Yoga anders.
Neulich dachte ich, ich hätte für mich DEN Yogastil gefunden, der passgenau auf mich zugeschneidert wurde (also abgesehen, von Jivamukti, für das mein Herz Flammen schlägt): ich las über Forrest-Yoga. Yoga im Wald! In der Natur eingebunden. Das war meins. Nun ja, ich sollte unbedingt mein Englisch verbessern. Forest, den Wald, den ich meine, schreibt man nur mit einem „r“. Forrest-Yoga heißt deswegen so, weil die Erfinderin mit ihrem Nachnamen diesen Stil so benannt hat. Nachdem ich das erfahren hatte, wollte ich mich gar nicht weiter damit auseinander setzen – auch wenn ich dabei vielleicht etwas verpasse. Aber die Enttäuschung sitzt – oder ich möchte gar enttäuscht sein. Also liegt es vielleicht noch an mir, Yoga zwischen Bäumen, auf Moosboden und mit Rehen und Wildschweinen als Zuschauern patentieren zu lassen.
Patentiertes Yoga ist das Stichwort: einige der oben genannten Stile dürfen sich nur so bezeichnen, wenn die Lehrer bei diesen Yogasystemen ihre Ausbildung genossen haben und sich stets darin weiter fortbilden. Der Vorteil ist, dass man sich als Schüler einer hohen Qualität sicher sein kann. Der Nachteil: die Geldmühlen laufen und jeder Vertreter seines Stiles wirft seine Argumente in die Waagschale, der Bessere zu sein und andere Stile zu missbilligen. Zu Gute halten muss man aber, dass es sich mit einer hundertprozentigen Überzeugung auch besser unterrichten lässt.
Auf alle Stile einzugehen, würde zu weit führen und jedem kann ich ohnehin niemals vollständig gerecht werden, deswegen hier meine eigensten Eindrücke in Kurzform: bei Katonha ist der Schwerpunkt sehr auf die Körperausrichtung gelegt und lässt dabei sogar die Mathematik blass aussehen. Taoismus hat einen höheren Stellenwert als die Philosophie der hinduistisch geprägten Stile.
Budokon vermischt die Asanas mit Bewegungen aus der Kampfkunst und ist choreographisch nicht ohne, wie mir meine jüngsten Erfahrungen zeigten. Ohne den Kopf einzuschalten geht hier gar nichts. Da dieser Stil auch sehr auf Muskelkraft ausgelegt ist, kann es sein, dass in einer Budokon-Yogaklasse genauso viele Männer wie Frauen zu finden sind. Shadow Yoga ist ebenfalls fließend und mit vielen Elementen aus Tai Chi und indischen Tänzen angereichert.
Anusara Yoga arbeitet viel mit Spiraldynamik und auch exakter Ausrichtung. Jivamukti Yoga hatte erstmals wieder alte Schriften in die westliche Praxis eingebracht und lässt in jede Stunde Philosophie einfließen. Musik, Meditation und kraftvolle Beanspruchung des Körpers kommen auch nicht zu kurz.
Bei Aerial Yoga hängt man in Tüchern von der Decke. Diese Variante ist besonders geeignet für diejenigen, die erst mal ihre Angst von Überkopf-Übungen überwinden müssen. Das Schweben in der „Hängematte“ ist himmlisch – aber auch hier verbirgt sich die eine oder andere Herausforderung.
Bikram Yoga ist eine Unterart von Hot Yoga, findet also in einem 35 bis 40 Grad warmen Raum statt und die Asana-Serie erfolgt immer im gleichen Ablauf. Dieses Yoga konnte vom Erfinder nicht geschützt werden. Es ist auch der wohl einzige Yogastil, bei dem eine Spieglewand nicht tabu ist.
AcroYoga kommt nicht etwa davon, seine Aggressionen zu bewältigen – wie ich anfänglich dachte – sondern von Akrobatik. Man muss auch mindestens zu zweit, eher zu dritt sein, um eine Übung durchzuführen. Danach geht es direkt zum Circus Roncalli! Schmackhaft wird das Ganze mit dem Hinweis gemacht, dass auch Thai-Massage einfließt. Vielleicht sollte ich es wenigstens mal ausprobieren – auch wenn mir persönlich der Gedanke widerstrebt, Yoga nicht allein auszuführen.
Balance-Übungen wie im AcroYoga kann man auch im SUP-Yoga hervorragend ausprobieren. SUP steht für „Stand Up Paddling„, Yoga auf einer Art Surfbrett auf dem Wasser. Selbst wenn SUP sehr weit von klassischem Yoga entfernt ist, ist es für das Gleichgewicht eine der größten Herausforderungen – beziehungsweise kann sehr erfrischend enden.
Bei Postnatal– und Prenatal-Yoga liegt auf der Hand, worin der Nutzen besteht. Der Markt ist groß, Schwangeren-Yogakurse sind gut gebucht. Es ist durchaus sinnvoll, dass man während und nach der Schwangerschaft ein anderes Yogaangebot angereicht bekommt, sollte man in dieser Phase doch einige Asnasa und Pranayamas unterlassen und dem Beckenboden mehr Beachtung als sonst schenken.
Von Hormonyoga habe ich bisher meine Finger gelassen, Hormone können verrückt machen – von meinen möchte ich überhaupt nichts wissen, werden diese angesprochen, wollen sie womöglich noch ausbüxen. Das ist doch immer so, wenn etwas konkret und bewusst angesprochen wird. In fast allen Yogastilen wird irgendwann mal der Kehlkopf zusammengedrückt, was zumindest für die Schilddrüse heilsam ist – für mich wird oft ein Kloß im Hals aufgelöst.
Kundalini Yoga nach Yogi Bhajan sieht verrückt aus. Über Minuten werden vor allem die Arme über den Kopf geworfen und gleiche Bewegungsabläufe wiederholt. Das lässt ziemlich schnell einen trance-artigen Zustand erreichen, und am Ende des Tages sind Energien freigesetzt worden, Blockaden gelöst, und man ist glücklich. Und Glücklichsein ist Geburtsrecht. Kundalini Yoga nach Yogi Bhajan ist nicht zu verwechseln mit dem eigentlichen Kundalini Yoga. Kundalini ist eine Energie, die man in fast allen Yogastunden als Bonbon erfahren kann, sie wird aber meist bewusst stimuliert. (Eines der besten Dinge, die man erleben kann, aber darüber lasse ich mich gern ein anderes Mal aus.)
Yvengar Yoga: Alle Hilfsmittel des Alltags sind erlaubt, um die Gliedmaßen künstlich zu verlängern und Unterstützung für den Körper zu finden. Dazu zählen außer der bekannten Yogamatte: Gurte, Blöcke und auch mal einfach ein Stuhl oder noch profaner, die Wand.
Power Yoga wird bis zur körperlichen Erschöpfung betrieben, der Name ist nicht umsonst. Selbst kenne ich powervolle Yogastile, aber nicht das Power Yoga nach Bryan Kest, hier soll dann vor allem der Sportler abgeholt werden. Spiritualität ist nicht dabei. Es ist maximal ein erster Schritt, um manche Menschen überhaupt auf die Matte zu bekommen – und manch eine Yogi-Entwicklung hat ja schon erstaunliche Züge und Verwandlungen erlebt.
Yin Yoga findet ohne großen Einsatz von Muskelkraft statt und konzentriert sich auf die Faszien und den Parasympathikus. Das ist genau das, was der Berufsalltag bitter nötig macht. Auf dem Menüplan der Yogastile entspricht Yin Yoga dem ersehnten Nachtisch.
Da Yoga Nidra auch auf manch einem Stundenplan steht, möchte ich auch das kurz ansprechen, selbst wenn es gänzlich bewegungsfrei ist. In Savasana liegend, wird man mit geführter Meditation zuerst angeleitet, und dringt in kürzester Zeit in andere Bewusstseinsebenen ein. Es ist Therapie und eine halbe Stunde Yoga Nidra kann den mangelnden Schlaf einer ganzen Woche wieder wett machen – auch wenn man in Nidra nicht einschlafen soll und der Geist nach wie vor wach ist, jedoch wie ein Laserstrahl ein Thema beleuchtet. Eigentlich wünsche ich mir, es viel öfter auf den Stundenplänen zu finden. Yoga Nidra heilt.
Das Yoga der Moderne hat sich stark an den Menschen und seine Entwicklung angepasst und bezieht Erkenntnisse aus Sport und der Medizin mit ein. Das Gleichgewicht im Körper hat sich im Westen durch das, was wir Zivilisation nennen, ziemlich verschoben. Wir sind aus der Balance und dem Fließen mit der Natur weiter denn je entfernt. Sogar neue Namen für krankhafte Haltungfehler gibt es mittlerweile, und ganz ehrlich: wer leidet nicht an dem „upper crossed syndrom“ (der Handyhaltung, bei der Nacken und Schulter auf einmal 25 Kilo statt der vorgesehenen 5 Kilo tragen müssen).
Jeder Yogastil hat seine Berechtigung. Nichtsdestotrotz ist es faszinierend, wie ausgeklügelt schon das alte Wissen war und alles mit der naturgegebenen Weisheit bereits richtig gemacht wurde. Genau diese Intuition muss von uns wieder erlernt werden. Bollwerk um Bollwerk muss abgebaut werden, um zu unserer Natur zurückzukehren. Es ist immer gut, dem alten Wissen zu huldigen und es nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Unter den traditionsreichen Yogastilen, auch wenn diese schon zur Neuzeit gehören, gibt es einen Stil, vor dem ich mich bis heute fürchte: Ashtanga Yoga! Dieser Stil wurde ins Leben gerufen, um vor allem die männliche Jugend einer königlichen Kaste auszupowern. Ashatanga erfolgt immer einer festen Abfolge von Asanas, die Serie genannt wird. Und erst, wenn man die erste Serie beherrscht, darf mit Serie zwei begonnen werden. Zur Serie eins gehört, dass Supta Kurmasana beherrscht wird (also Schildkröte mit über den Kopf geschlungenen Beinen – und ich wäre einfach nur glücklich, die Schildkröte ohne supta zu können … und von meinem hoffnungslosen Uttpluthi, das ich Plutonium nenne, da es die gleichen verdichteten Kräfte benötigt, die in einem radioaktivem Atom stecken, ganz zu schweigen). Die Asanas reihen sich in einem Affentempo aneinander, und der westliche Bürostuhlhocker hat mit Ashtanga eine Lebensaufgabe gefunden – und eine tagtägliche dazu. Ohne Disziplin geht hier nichts. Zumindest ist Ashtanga die Wurzel auch von Power Yoga, Jivamukti Yoga und dynamischen Vinyasa-Stilen. Deswegen werde ich mich eines Tages daran versuchen müssen – meine größte Triebfeder ist jedoch meine Angst davor. (Liebe Yogastudios in und um Stuttgart: Samstag abends wäre für mich noch eine kleine Zeitlücke frei für einen Intro-Kurs!)
Und auch hier lauert die Verwechlungsgefahr: es gibt Ashtanga Yoga wie gerade beschrieben und Ashtanga Yoga als philosophischen Weg (auch Raja Yoga genannt). Da soll mal einer durchsteigen können!
Sivandana Yoga findet man besonders vertreten in den deutschlandweiten Zentren von Yoga Vidya. Es ist sehr angelehnt an indische Traditionen und folgt auch einer strikten Abfolge der Asanas. Spiritualität und Ganzheitlichkeit spielen eine zentrale Rolle. Man muss es mögen, kann aber auch lernen, es zu mögen. Man zieht jedenfalls sehr viel Wissen daraus.
Um es ganz kurz zu machen: Probiert einfach aus! Für jeden ist auf dem Menü etwas dabei, und der Tisch ist reichlich gedeckt!
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