Katja und der Lauf des Lebens
Heute vor genau einem Jahr, am 05.05.2017 verstarb meine Tante. Zeit meines Lebens schaute ich zu ihr auf, bewunderte sie, liebte sie. Wer sie aufgrund ihrer anarchistischen Lebensweise anging, und ungeachtet ihrer Anarchie keinen Anstand und keine ethischen Grundsätze wahrte, für den konnte es unbequem werden. Es gab eine klare Linie bei ihr.
Lange Zeit wünschte ich mir, ich hätte irgendein Andenken von ihr bekommen. Eines, was ich immer bei mir tragen könnte – ein Armband oder eine Kette, so wie es eben Brauchtum ist ist bei engen Bindungen. Alles was sie mir gab, war aber noch wertvoller: die schönsten Erinnerungen, auf immer eingebrannt. Und das Teilhaben an ihrem letzten Atemzug.
Materiell geerbt hatte ich dann lediglich ein paar Converse-Turnschuhe von ihr. Das kann bestimmt keiner von sich behaupten, dass er von einem Menschen Mitte 70 eine paar lässige Turnschuhe geerbt hat. Wenn ich mich an meine Kindheit zurückerinnere und meine nähere Umgebung unter die Lupe genommen habe, schienen Menschen ab der Mitte ihres Lebens scheintot: das Haar wurde kurz und grau getragen und der ganz Mensch verschwand in Kleiderstücken in verschiedenen Beige-Tönen – oder besser: er hatte sich unsichtbar gemacht. Solch ein Anblick ermunterte nicht gerade zum Älterwerden. Das macht ein Paar geerbte Converse-Schuhe von einer kanpp 75-Jährigen zu einem Fest. Ich soll wohl in ihre Fußstapfen treten und ihren Weg weiterlaufen. Wie groß kann nur eine Schuhgröße 37 auf einmal sein?!
Mein drittes Erbe, oder besser eine Übergabe, kann ich in vollen Zügen genießen – und hüte es aber auch zugleich wie einen wertvollen Schatz. Und immer wieder frage ich mich: gibt es Zufälle? Das dritte Geschenk heißt Katja!
Mein Tante hatte Katja in einer Tierarztpraxis kennengelernt – da treffen sich nun mal von Zeit zu Zeit Menschen, deren Herz für Tiere riesengroß ist. Ganze Gräben, sogar Feindschaften tun sich ja manchmal auf, wenn man sie entweder als Katzenmensch oder als Hundemensch outet. Als ob man sich entscheiden müsste! Aber so traf meine Tante, ehrenamtlich für die Katzenhilfe Stuttgart tätig, auf Katja, die herrenlosen Hunden eine Heimat gab und gibt – beide leidenschaftlich für wohl alle Wesen auf unserem Planeten in Liebe entbrannt. Außer denen, die Lebewesen nicht schätzen.
Dass die zwei sich kannten, erfuhr ich erst nach dem Tod meiner Tante. Und auch erst danach lernte ich Katja besser kennen, und meine Bindung zu ihr wurde stärker. Zufällig?!
Katja ist meine Jivamukti-Yogalehrerin!
Für mich schließt sich ein Kreislauf und ist in seiner doch so zufälligen Anordnung perfekt. Der Kreislauf von Geburt, Leben, Tod und Wiedergeburt heißt im Sanskrit Samsara. Hingegen nennt sich eine perfekte Aneinanderreihung von einzelnen Positionen, die einen Fluss ergeben, Krama. Wo diese scheinbar zufällige Übergabe von Menschenherzen zuzuordnen ist, weiß ich selbst nicht, zu sehr bin ich verblüfft. Es wird wohl irgendwo zwischen diesen Begriffen liegen – oder es gibt nochmals ein von mir noch unentdecktes Wort dazu.
Yogalehrer sind die neuen Rockstars! Kein Satz trifft besser auf Katja zu. Sie füllt die Yogahallen. Zu keiner Yogastunde von ihr musste ich mich bis jetzt überwinden, alles leuchtet in mir. Und so muss es auch anderen Yoginis und Yogins gehen, denn zwischen die ausgerollten Matten passt oft kein Pfefferminzblättchen mehr. Vor einiger Zeit wäre ich noch rückwärts aus einem überfüllten Raum geflüchtet. Jetzt finde ich es so wunderbar, das Leben gemeinsam feiern zu dürfen und dass man sich doch in der Gemeinsamkeit trifft. Wir wollen doch alle empfangen – ganz besonders Liebe.
Und wie meine Tante wird auch Katja niemals Gefahr laufen zu ergrauen oder zu „ver-beigen“. Ihr Körper erzählt Geschichten. Jedes mal entdecke ich ein neues Tattoo an ihr und starre ungeniert darauf, um dann zu merken, es sind gar nicht so sehr die eingravierten Zeichnungen und Geschichten auf ihrer Haut – es ist ihre laute Herzenswärme. Ihr Unterricht ist für mich Konzert, Urlaub und Energietankstelle zugleich.
Der „gemeine“ Yogalehrer läuft durch die Reihen, justiert hier und da nach und gibt Assists. Nach wie vor rinnt mir der Angstschweiß runter, wenn ich merke, dass ich jetzt wohl an der Reihe bin. Zwischen meinem Hüfte-Aufdrehen und dem allgemeinen Verständnis von Hüfte-Aufdrehen liegt doch noch mal gefühlt eine Reise um den Äquator. Also versuche ich, bevor der Korrekturgriff des Yogalehrers „droht“, wenigstens noch schnell ein paar Millimeter zu verbessern. Die unruhige Zappelei während dieses Vorgangs muss wie „sich ertappt fühlen“ aussehen und bleibt sicher nicht von den Augen des Yogalehrers unentdeckt. Bei Katja ist jedoch das Gefühl da, „oh bitte komm zu mir, lass mich noch eines Deiner Tattoos aus der Nähe betrachten“, um mich dann augenblicklich mit ihrem Atem zu verbinden und Ruhe in mir einkehren zu lassen.
Allgemein wage ich zu behaupten, dass Jivamukti-Lehrer hochsensibel sind. Alles was die Seele verwunden kann, liegt nicht verborgen in einer geschlossenen Blüte, sondern wie Rezeptoren an der Oberfläche – auf Empfang geschaltet. Das Schöne ist: es wird gar nicht der Versuch unternommen, Sensibilität zu unterbinden oder verhindern – Mitgefühl wird gepflegt und kultiviert. Mitgefühl für alle Lebewesen! Und hier bin ich zu Hause. Zu oft wird man in die Welt geschickt (ab und zu ist es nur der tägliche Gang zur Arbeit) mit dem Gefühl, von niemandem verstanden zu werden. „Da musst Du Dir halt ein dickeres Fell zulegen“– wie oft habe ich das schon zu hören bekommen. Nein, muss ich nicht. Schon gar nicht, wenn unter dem Schorf die Wunde sich weiter ausdehnt.
Katja ist meine Tankstelle an Mitgefühl, mein Vorbild dafür, zu sein, wer man ist – sich nicht verstellen zu müssen und die Quelle der Wahrheit zu sein. Nein, weit entfernt ist sie wahrlich nicht von meiner Tante!
Zu Katjas Yogastunden schlendere ich Samstag morgens ins Yogaloft und entdecke bei meinem Spaziergang durch Stuttgart-West immer wieder neue Hinterhöfe. Es ist, als ob ein kleiner Berlin-Urlaub für mich anfängt. Donnerstags geht es dann weiter in der Yogablume in Ludwigsburg, wo der Unterricht an warmen Tagen auf der herrlichen Dachterrasse stattfindet. Freude steigt in mir auf, wenn ich dann daran denke, dass ich gleich meinen Körper bewegen darf (das passiert nach wie vor immer noch oder überhaupt am liebsten mit Ansage), einen philosophischen Ausblick bekomme, an dem ich eine Weile hin- und herüberlegen kann kann – und den Katja meistens mit Liebe und Phantasie in eine Geschichte verpackt hat. Der beste Weg, dass ich lerne und aufnehme.
Gerade ein Raum mit so viel energetischen Schwingungen, mit so vielen hungrigen Menschen, zieht unheimlich viel Energie ab – und Katja war über 90 Minuten am Geben. Sie ist zu allen gleichermaßen freundlich und offen, auch wenn sich sogar teilweise die Stuttgarter Prominenz in ihren Klassen tummelt. Genau deswegen bin ich von den Socken, wenn sie sich ausgerechnet für mich am Ende der Stunde noch für einen kleinen Wortwechsel Zeit nimmt. Ihre Worte tragen mich über einen langen Zeitraum. Also reiße ich mich am Riemen, dass ich meine Jivamukti-Yogalehrerin nicht gänzlich aussauge. Es gilt wie beim Familien-Essen: einen Anstandsrest muss man übrig lassen!
Katjas Stunden findet Ihr unter raum3yoga. Zudem gibt sie immer wieder Workshops im Vinyasa Yoga in Sindelfingen (ein Studio, das ich erst noch ausprobieren muss) oder auch im Yoginzki in Stuttgart-Mitte.
Man weiß nie, welche Überraschungen das Leben für einen bereit hält, und dementsprechend plane ich ungern für die Zukunft. Aber wenn das Himmelsgestirn mir wohl gesonnen ist, würde ich mich irrsinnig freuen, einmal bei einem Yogaretreat in Goa unter Katjas Fittichen dabei zu sein. Freundin und Lehrerin hat man ja nicht immer in einer Person. Außerdem bin ich im Büro so oft eingespannt, für die lieben Kollegen Indien-Visa zu beantragen – da könnte ich jetzt auch mal am Zug sein!
Was mir nicht bewusst war, und Katja rief es mir neulich ins Bewusstsein: in Savasana, der Endentspannung, hamonisieren wir nicht nur unsere Energien nach den intensiven Asanas, wir üben uns auch im Loslassen und im Sterben! So schön wie in Katjas Stunden bin ich noch nie gestorben, und habe noch nie intensiver gelebt!
Alle Fotos mit Katja hat sie mir selbst zur Verfügung gestellt!
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