Nur eine neue Mattentasche?
Natürlich versuche ich erst mal mit allen Mitteln dagegen zu halten, dass mir meine Stimmung vermiest. Und so konnte ich meinen anfänglich nicht ganz so glücklichen Besuch der Yogaworld 2018 wieder umgehend mit einem positiven Erlebnis wett machen. Gerettet hat mich die Begegnung mit der Standbesitzerin von Goldwerk am Schliersee.
Der eigentliche Zweck meines Messebesuchs war ja eigentlich, sowohl auf der benachbarten Gartenmesse ein paar Blumensamen zu erwerben (jetzt warte ich nur noch darauf, dass der kalifornische Mohn erblüht) als auch endlich eine Yogamatten-Tasche zu finden. Bisher hatte ich meine Yogamatte immer unter den Arm geklemmt wie die Franzosen ihr Baguette – das Baguette scheint dadurch leckerer zu werden, bei meiner Matte habe ich Zweifel. Beziehungsweise zählen erst der Schweiß, das Blut und die Tränen ab Yoga-Stundenauftakt – der Weg davor wird noch nicht mit eingerechnet. Meiner Matte bin ich noch so einiges schuldig: sie trägt mich, erdet mich, schluckt viel und verzeiht noch mehr. Klar, dass sie da Patina abbekommt, aber man muss ja nicht offenherzig mit all den Narben, Wunden und auch Freuden Gassi gehen. Also hat meine Matte eine hübsche Verpackung definitiv verdient.
Nun handelt es sich aber leider um mich, die nach einer Mattentasche sucht. Eine x-beliebige kaufen ist bei mir nicht drin. Und im Schul-Nähkurs konnte ich auch nicht ganz so glänzen. Also liegt es an anderen, meinen Forderungskatalog zu erfüllen. Dieser besteht aus: schöne Farbe, Crossovergurt und leichtem Material. Hört sich ja eigentlich gar nicht so schwer an. In meinem Kopf schwebte mir eine Tasche vor, die ein gelbes Zitronenprint ziert! Mir war nach Urlaub, wo dicke gelbe Zitronen im strahlend blauen Himmel über meinen Liegestuhl baumeln. Man kann mir definitiv nicht nachsagen, ich wüsste nicht, was ich wöllte. Fatal ist, dass, sobald ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, es so auch sein muss. Abweichungen im Millimeterbereich sind da nicht drin. Ob ich das auch auf das wahre Leben übertragen kann? Habe ich mich in meiner Yogalaufbahn nicht genügend in Toleranz erproben dürfen? Diese Fragen werden mich wohl noch eine Weile verfolgen. Nichtsdestotrotz – eine Tasche, die mir nicht gefällt, werde ich auch nicht nutzen. Da bleibe ich nun mal schleckig. Dabei möchte ich es doch eigentlich immer nur einfach und unkompliziert. Unkompliziert hört für andere allerdings schnell auf, wenn ich in Farbdiskussionen verwickelt werde. Während mein Mann zum Bespiel über drei Grundtöne verfügt, klappen bei mir sowohl der Pantone- als auch der HKS-Fächer mit allen Nuancen auf.
Ein weiteres Hindernis ist, dass die nützlichen Dinge, die der Markt hergibt, nicht immer schön sind – und die schönen Dinge nicht immer nützlich. Und so schrumpft der Kreis der Konsumgüter zwischen all den überfüllten Regalen auf ein Minimum – und proportional zu der verwertbaren Menge wachsen die Müllberge an. Für die Dinge, die wir nicht brauchen, gibt es dann die Werbe- und Marketingbranche, die uns vermitteln soll, dass wir doch auch diese unnützen Dinge brauchen. Und ich scheine eine eigene Werbeagentur in mir selbst zu haben. In mir schillern Farben, Bilder und ganze Szenerien. Jedes Ding, was ich kaufe (und sei es nur ein Haargummi), bekommt seine Erlebniswelt drumrum gebastelt. Eine Kleinigkeit kann mich zum Beispiel in eine Traumkulisse beamen. Mal ist es die Küste von Malibu, mal die Berge des Himalayas, dann ein kleines Café in Paris und das nächste mal finde ich mich in 1001 Nacht wieder – und mir gehen die Kulissen nicht aus. So kann dann ein kleiner Neuerwerb mir eine ganze Reise schenken.
Also gebe ich mich auch nicht mit irgendeiner Mattentasche zufrieden – meine Impression möchte ich schließlich dazu haben. Und genauso wichtig wie Äußerlichkeiten kommt zu allem Überfluss dazu, bei wem ich eingekauft habe. Ich habe nicht nur meine Filmkulissenwelt, ich habe auch noch meine Gefühlswelt. Nette Verkäufer übergeben mir nicht nur ihre Ware, ich kann auch gleich ein bisschen gutes Herz von ihnen erstehen und mir einverleiben.
Auf der Yogaworld gab es so einige Taschen. Von „weiß mit Zitronen“ hatte ich mich ja schon längst verabschiedet. Aber es gab auch sonst nichts, was mir auch nur ansatzweise zusagte. Und dabei hatte ich doch meine Toleranzgrenze sogar vom Millimeterbereich in den Zentimeterbereich aufgestockt. An dem Stand von Goldwerk bin ich erst vorbeigeschlichen. Die Mattentaschen und Meditationskissen waren handgemacht und sehr hochwertig. Allerdings für meinen Geschmack viel zu bunt und mir meine eigene Welt wegnehmend. Gerade wollte ich weiterlaufen, als die Standbesitzerin Silvia mich fragte, was ich mir denn vorstellen würde. Um ihr zu signalisieren, dass sie niemals im Stande wäre, meine Wünsche zu erfüllen, und um weiterziehen zu können, sagte ich ihr „Weiß mit gelben Zitronen“. Ich hoffte insgeheim, sie würde sich abwenden und verabschieden mit „Sorry – haben wir nicht im Programm“.
An ein freundlicheres Lächeln als das, das mir geschenkt wurde, kann ich mich nicht erinnern. Ihre Augen blitzen vor Freude. Sie könne mir ja eine Tasche machen. Und in dieser Sekunde war mir die Tasche auch schon fast egal. Genau diese positive Person wollte ich mir einverleiben – einfach nur ein kleines Stück von ihr: einem Menschen mit Herz und Lebensfreude.
Ich meldete mich bei ihr ein paar Tage später per E-Mail, und die Bestellung der Tasche wurde verbindlich. Auch als ich mir jetzt doch einen anderen Stoff wünschte, schluckte sie es, ohne mit der Wimper zu zucken. Plötzlich wollte ich nämlich meinen Italien-Urlaub unter Zitronenbäumen eintauschen in die kalifonischen Küste. Meine Farbvorstellungen müssen immer wieder wahre Verzweiflungsakte in Silvia hervorgerufen haben. Es wurde nach meinen Wünschen fliederfarbener Stoff bestellt … allerdings mehrmals – es gibt ja schließlich verschiedene Fliederfarben. Also musste ich Silvia erklären, dass ich nicht den Fliederbusch aus dem Garten von Familie Müller, auch nicht den von Familie Schmidt, sondern den an der Ecke zwei Parallelstraßen weiter von Familie Unbekannt mit Hund im Sinn hatte. In anderen Worten Pantone-Farbe 271, aber ja nicht übergehend in benachbarte Pantone-Feld 265.
Ich bekam meine Tasche! Und da ist er, mein kleiner Kalifornien-Urlaub! Ich habe die Musik der 80er im Ohr! Und das Beste: ein Stück Silvia erworben.
Ich bin überglücklich!
PS: es wird die Ausnahme bleiben, dass ich über meine Einkäufe und Dinge allgemein berichte, aber hier ging es definitiv um die Erlebniswelt.
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