Meditation
Auch Nicht-Yogis meditieren. Es fällt mir fast schwer, diesen Satz zu äußern, weil Meditation doch das eigentliche Yoga ist. Aber beim Yoga wird so viel um diesen Kern herum gebaut, weil sonst ja niemand in die Yoga-Klassen gehen würde. Dieses Drumherum möchte ich übrigens auch nicht missen. Ziel ist es aber, dass der „Yogi“ sich hinsetzen kann, endlich aufhört herumzuzappeln und meditiert. Also ist eher die Frage, was die „echte“ Yogapraxis ist. Asana heißt „Verbindung zur Erde“, was lange Zeit als „Sitz“ verstanden wurde. Unsere Körper erfahren durch Asanas – mittlerweile stehende, verknotete und übermenschliche – auf jeden Fall ihren Benefit, aber von Grund auf arbeitet alles darauf hin, das eine Asana zu beherrschen: den Meditationssitz. Könner nehmen natürlich auch Asanas jenseits des Sitzes als Meditationspraxis ein, egal ob es für mindestens zehn Atemzüge gehalten wird oder man sich dem Flow hingibt. Hauptsache das Denken hört auf. Meditationspraxen gibt es überhaupt unendlich viele. Letzendlich geht es darum, sich losgelöst von seinem Körper zu fühlen, sich auszuweiten in die Unendlichkeit und Eins zu werden mit dieser, sich nicht mehr zu identifizieren mit dem, was wir oder andere aus uns gemacht haben. Unser äußere Form ist begrenzt, unser Inneres nicht.
Lange Zeit war Meditieren den Yogis vorbehalten, diesen verrückten Gurkenschalenteetrinkern – so das Vorurteil. Jetzt ist Meditieren voll in Mode. Vom Rockstar über den Banker bis zum Sachbearbeiter meditiert der Querschnitt der Bevölkerung.
Die ersten paar Male beim Meditieren – hier jetzt die klassische Variante: „ruhig sitzen“ – , vielleicht sogar auch die ersten paar Monate hinweg zwickt und zwackt es. Und wie viele eingebildete Fliegen können auf einem nur landen? Die Beine schlafen ein und es ist einfach zum Aus-der-Haut-Fahren. Wie schwer kann ein simples Sitzen nur sein?! Vor allem der gerade Rücken macht richtig zu schaffen, und immer wieder klappt man in sich zusammen. Die Energie, die oben an unserem Haupt ankommen soll, muss jetzt einen erheblichen Umweg nehmen oder wird sogar abgebunden und versiegt. Die gewohnte Smartphonehaltung! Und um es in Zahlen festzuhalten: ein gerader Nacken muss 4 bis 5 Kilogramm Zuggewicht des Kopfes aushalten, bei einer leichten Neigung von 15 Grad zerren schon 12 Kilogramm an den Halswirbeln und nicht selten begegnen wir der 60-Grad-Neigung auf der Straße, was dann stolze 27 Kilogramm Zuggewicht ausmacht. 27 Kilo entsprechen einem Golden Retriever oder einem 8-jährigem Kind. Bürostuhlhaltung formt ebenfalls stetig unseren „Schnitzbuckel“, wie meine Großmutter zu sagen pflegte. Die Muskeln verkümmern, und die Natur hat sich bei ihrer Erfindung doch so viel Mühe gegeben. Oft bleibt uns gar nichts anderes übrig als einen Alltag zu leben, der für uns nie vorgesehen war.
Um so besser, dass wir uns im Yoga in alle Richtungen ausdehnen dürfen – in Bereiche, die uns vielleicht gar nicht vertraut sind. Wir lernen uns kennen. Für den geraden Rücken und die Bauchmuskulatur, die uns ebenfalls wie ein Korsett aufrecht hält, ist ein bisschen Knechten und Schinden sehr empfehlenswert. Und gut, dass es Asanas gibt, die Schultern öffnen und die Brustmuskulatur stärken und weiten. Es gehört im Yoga dann eben doch alles dazu. Nach körperlicher Anstrengung und sobald das Sitzen keine Mühe mehr macht, wird man belohnt. Durch Meditation erreicht man unendliche Weiten und Stück für Stück, wenn wir die Meditation zur Gewohnheit werden lassen, können wir diese Erfahrungen auch in den Alltag übernehmen. Von Fuß bis Kopf sind wir positiv gestimmt, und unser Gemüt wird unerschütterlich.
Ein nächstes Hindernis, was uns am Meditieren hindert, sind unsere Gedanken. Da werden bei den ersten Meditationsversuchen erst mal Einkaufslisten im Kopf erstellt, To-Do-Listen für den Arbeitsplatz. Ja nicht vergessen, der Freundin zum Geburtstag zu gratulieren und den Müll vor die Tür zu stellen. Hat jemand das Katzenklo sauber gemacht? Spätestens jetzt ist nicht mehr an Stillsitzen zu denken – lieber die Position verlassen, um mehr Zeit zu haben, die aufgestauten Dinge zu erledigen. Spätestens jetzt übermannt einen das Gefühl, dass Meditation egoistisch ist. Still sitzen, sich für kurze Zeit aus dem aktiven Leben rausnehmen? Was ist der Nutzen? Wäre es nicht der Gemeinschaft dienlicher, in dieser Zeit die Spülmaschine auszuräumen?
So oder ähnlich könnte ein Meditationsversuch anfangs aussehen. Und heißt es nicht, dass eigentlich erst das An-Nichts-Denken gilt? Wie geht das? Womöglich gar nicht, aber mit immer mehr Übung schaffen wir es, unsere Gedanken ziehen zu lassen und nicht mehr an ihnen anzuhaften. Und wenn wir ein Konzentrationsobjekt nehmen (das kann zum Beispiel ein Mantra sein oder der Atem), dann geht es ziemlich schnell, nicht auf den vielen anderen Gedanken-Hochzeiten zu tanzen. Wir können sogar absichtlich positive Bilder in uns aufsteigen lassen. Das Gehirn unterscheidet nicht zwischen dem, was visualisiert wird, und dem, was tatsächlich geschieht. Durch unser Denken erschaffen wir unsere Realität. Meditation verändert Gehirn und Geist. Ist meine Welt verändert, verändert sich auch die Welt selbst.
Deswegen ist der Vorwurf Egoismus auch komplett fehl am Platz. Die Welt wird an der kleinsten Einheit verändert, dem Selbst, und dann wird alles andere durchdrungen. Wir können in der Außenwelt bewusster und besonnener handeln, wenn wir uns kennen. Wir können uns viel schneller bewusst werden, was wichtig ist, und lassen uns nicht mehr so schnell in das Gedankenwirrwarr anderer mit reinziehen.
Durch Meditation nimmt die Dichte der grauen Substanz rund um die Amygdala ab, die für Verarbeitung von Stress und Angst zuständig ist. Dafür nimmt die Substanz im Hippocampus zu, der Selbstwahrnehmung und Mitgefühl steuert.
Es ist wissenschaftlich belegt, dass Meditation: die Stimmungslage hebt, die Gedächtnis-Leistung steigert, die Konzentrationsfähigkeit und die kognitiven Fähigkeiten verbessert. Dazu wird Bluthochdruck gesenkt, Schlafstörungen können in den Griff bekommen werden und Selbstheilungskräfte werden aktiviert.
Wer jetzt nicht meditiert, dem ist nicht mehr zu helfen!
Und es stimmt mit meiner Erfahrung überein: Seit einigen Monaten meditiere ich morgens und fühle mich für den restlichen Tag gewappnet. Ein Korkblock unter mir ist mittlerweile gemütlicher als jeder Sessel und so setze mich damit ins Badezimmer. Das ist etwas unorthodox, aber ich habe herausgefunden, dass es hier für mich am besten funktioniert. Der Lichteinfall durch das Dachschrägenfenster gefällt hier am besten. Mein Bad selbst ist alles andere als zeitgemäß gekachelt und es ist winzig – aber schon immer war ich eher der Höhlenmensch und fühlt mich in Denkkammern wohl. Nach dem Duschen ist die Temperatur in dem noch warmen Dampf perfekt für mich – in dem feuchtwarmen Klima fühlt sich mein Körper pudelwohl.
Der Meditations-Profi hingegen hat sich zu Hause eine Wohlfühl-Ecke mit einem kleinen Altar eingerichtet, zündet ein Kerzchen an, und hat dann noch neben einer Gottheit seiner Wahl frische Schnittblume stehen – dieser Anblick lässt umgehend alle Synapsen auf Meditationsbeginn einstimmen. Bei mir steht statt eines Altars vor mir die Toilette links neben mir. Was soll’s! Ist schließlich ja auch eine tolle Erfindung. Mein Wecker gibt mir nach zwanzig Minuten das Schluss-Signal, erfahrungsgemäß blinzel ich nach genau 18 Minuten meine Augen wieder auf und fühle mich topfit. Es gilt das richtige Maß zu finden. Zu lange in der Meditation macht dämmerig, zu kurz lässt nicht vollständig ankommen. Letztendlich verrät nach einiger Übungszeit die innere Uhr die richtige Dosis.
Meditation erfolgt in mehreren Stufen – nach klassischer Yogaliteratur: den letzten Dreien des achtgliedrigen Pfades, wobei der dritte Punkt schon das Ziel ist:
1. Dharana – Konzentration auf ein Objekt (man ist gut beraten, den eigenen Atem zu nehmen)
2. Dhyana – Meditation und Verschmelzen mit dem Konzentrationsobjekt
3. Samadhi – die allerhöchste Freiheit. Kein Ich-Gefühl mehr! Vollkomenene Losgelöstheit. Eins mit allem. Die Erleuchtung!
Diese drei letzten Stufen zusammengefasst nennen sich Samyama – die Einheit dreier kompletativer Übungen!
Frei nach mir würde ich den Schritt vor Dharana auch noch zur Meditation zählen: Pratyahara (das Zurückziehen der Sinne). Meine Augen sind geschlossen, ich entferne mich aus der Außenwelt und lande bei mir. Während die letzten drei Schritte ineinander fließen, mache ich den Schritt des Pratyahara noch ganz bewusst als Startsignal.
Wer Samadhi erfährt, ist angekommen. Nicht mehr gibt es zu erreichen. Das höchste Ziel im Yoga! Naja, die Inder wäre nicht der Inder, wenn er es nicht extra kompliziert machen und auch Samadhi noch feiner aufteilen würde. Durch Samadhi wird Kaivalya und Moksha (Freiheit und Befreiung) erfahren. Die, die bereits da waren, können natürlich nicht darüber berichten, weil dort ja gar kein Ich-Bewusstsein existiert. Aber es ist wie immer, der Weg dahin und auch die Annäherung an Samadhi sind schon lohnenswert. Und durch die vielen Wegstrecken zu diesem Ziel erlangt auch unser Körper Erinnerungsvermögen, und diese erleuchtungsnahen Momente sind durch stetes Üben immer schneller zu erreichen und abrufbar. Meditation lohnt sich immer, und man kann ganz gelassen sein, nicht immer am Gipfel ankommen zu müssen.
Die ersten paar Minuten meiner Meditation beginne ich damit, laut mein persönliches Mantra zu rezitieren. Für jeden gibt es ein individuell geeignetes Mantra, und ein erfahrener Lehrer hilft gerne beim Finden. Über meine unvergessliche Zeremonie, genannt Diksha, bei der Parameshvara mich in mein persönliches Mantra eingewiesen hat, werde ich vielleicht noch berichten. Das laute Vor-sich-hin-Murmeln und Wiederholen eines Mantras nennt sich Japa. Das Mantra wird nach Minuten immer leiser, bis die Klangwellen abebben und nur noch der Geist sie immer wieder abspult. Zugegeben, mir fiel das Rezitieren schwerer als die stille Meditation. In der Stille höre ich deutlicher, wenn ich abschweife und komme schneller zu meinem Konzentrationspunkt zurück. Dass man beim Rezitieren noch zusätzlich Selbstgespräche führen kann, ahnte ich nicht. Welch eine Schwatzbase mein Geist nur ist! Aber ich bleibe meinem Japa treu. Mein lautes Rezitieren reinigt zudem meine Stimmbänder, und gerade weil ich meine Stimme nicht besonders klangvoll finde, muss ich jetzt nicht das erste „Guten Morgen“ meinen Kollegen entgegen krächzen. Fast könnte man sagen, dass Japa auch eine Art von Kriya ist (Reinigung – ich hatte es ja schon mal beschrieben). Klassisch nach Tradition praktiziert kann man jetzt noch eine Mala (spirituelle Perlenkette) beim Rezitieren verwenden. Zu den Malas werde ich sicher auch noch ein Wort verlieren.
Meditiert! Mehr Medizin bekommt Ihr nicht! Meditation ist das echte Yoga!